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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Krieger umwandelte und aus seinem aufgelockerten Boden die Blüthen des romantischen Ritterwesens hervorrief, so gediehen zu Hause im Schooße des üppigen Hof- und Vasallendienstes und in der jungen, noch nicht organisch ausgewachsenen, unbeschützten Ständegliederung die Giftblüthen der Junkerei und weiter hinab die ihrer äußersten Entartung in Verhöhnung aller öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die adligen Landfriedensbrecher, Placker, Schnapphähne, Mörder, Mordbrenner, Räuber und Nothzüchter. Unmittelbar neben dem gewinnenden Bilde des ritterlichen Gottes- und Minnedienstes stand die Carricatur junkerlicher Gewaltthat, Frivolität und Schändung.

Die letztere Erscheinung mußte an den Höfen der geistlichen Fürsten, wo die Frauen nicht das milde Scepter der Sitte und Zucht führen durften und deshalb die Leidenschaften ungezügelter auftraten, noch weit greller hervortreten. Stiegen doch die geistlichen Fürsten aus den begüterten Adelsfamilien des Landes über die Stufen des Altars auf den bischöflichen Stuhl, der im Laufe der Zeit im grellsten Widerspruch mit den Geboten Christi zum Fürstenthrone geworden war. Nirgend wucherte daher der freche und nichtswürdige Junkergeist üppiger als in den Ländern des Krummstabs, ja die stolzen Träger desselben, die sich gleichsam in aufgeblasener Selbstironie Nachfolger der Apostel nannten, brachten den ausgelassen wilden, übermüthig frivolen und höhnisch grausamen Junkergeist in sich selbst zur widerwärtigsten Erscheinung, während ihre Inful das warme Nest war, in welchem unter dem Schutze des Kreuzes die Basiliskeneier wüster Vergewaltigung ausgebrütet wurden. Die Geschichte der gefürsteten und Land und Leute beherrschenden Bischöfe im Mittelalter ist zumeist eine bluttriefende, von aller erdenklichen Schandthat und ungebehrdiger Rohheit beschmutzte und spricht in jedem Worte den Liebesgeboten des großen Menschenfreundes von Nazareth, als dessen Jünger sie sich zu gehaben erfrechten, den scheußlichsten Hohn.

Nur wenige einsichtsvolle, menschlich fühlende und wohlwollende geistliche Regenten jener Zeit machen von dieser empörenden Widerwärtigkeit ehrenhafte Ausnahmen, die dann diesem alle gesunde Lebensentfaltung vergiftenden Junkerunwesen mit seinen ehrlosen ekelhaften Auswüchsen mit mehr oder minder Entschiedenheit und mit mehr oder minder Erfolg bekämpfend entgegentraten.

Unter diesen Ausnahmen glänzt der Fürstbischof Konrad von Würzburg, der, aus dem Adelsgeschlecht derer von Rabensburg entsprossen, von 1198 bis 1202 dem Bisthum am Main mit Kraft und Würde vorstand, als ein Stern hervor und ist als ein echter deutscher Biedermann mit hohen Ehren und besonderer Auszeichnung zu nennen. Seine Stammburg, die Rabensburg, lag zwei Stunden unterhalb Würzburg an der rechten Seite des Maingrundes. Das adlige Haus, welchem Konrad entstammte, war eins der angesehensten im Reiche und durfte sich der Abkunft von dem Geschlechte der salischen Könige rühmen. Sein Vater, Dietho von Rabensburg, war ein Liebling des Kaisers Friedrich des Rothbarts gewesen und hatte mit Bewilligung desselben die geschiedene Gattin des Kaisers, die Gräfin Vohburg, von welcher sich Friedrich angeblich wegen zu naher Verwandtschaft getrennt, geheirathet, und die ehemalige Kaiserin war Konrad’s Mutter geworden. Deshalb war ihm der große Hohenstaufe, der mit seinen Eltern stets in freundlicher Verbindung geblieben, von Kindesbeinen an gewogen gewesen und hatte den durch Geist, Bildung und Persönlichkeit gleich hervorragenden Jüngling zu seinem Kanzler gemacht, welches wichtige Amt er auch unter Friedrichs Sohne, dem Kaiser Heinrich VI., bekleidet hatte. Dieser hatte ihm, in Messina erkrankt, den Oberbefehl über das für den vierten Kreuzzug bestimmte sechszigtausend Mann starke Heer übertragen, womit er, damals Bischof von Hildesheim, der unter Friedrich I. schon in Palästina gekämpft, die syrische Küste besetzte und mit dem jungen Herzog Friedrich von Schwaben, des Kaisers Sohn, die Gesellschaft der deutschen Brüder, den nachherigen Deutschorden, stiftete. Des Kaisers Tod rief ihn und das Heer zurück. Er begab sich in sein Bisthum nach Hildesheim, ging aber im folgenden Jahre, zum Bischof von Würzburg erwählt, in sein schönes fränkisches Heimathland. Der Papst Innocenz III. widersetzte sich zwar dieser Wahl, weil Konrad sich bei der zwiespältigen Kaiserwahl für den ihm verwandten und befreundeten Hohenstaufen, Herzog Philipp von Schwaben, erklärt hatte, der ihm, dem von Syrien Zurückkehrenden, auch die Kanzlerwürde bestätigt, während der Papst den Gegenkaiser Otto von Braunschweig, den Sohn des Sachsenherzogs Heinrich des Löwen, durchbringen wollte. Der alte Parteihader der Waiblinger und Welfen entbrannte auf’s Neue, aber Konrad gelang es dennoch den leidenschaftlichen Papst durch eine Reise nach Rom zu versöhnen, vom angesprochenen Bann befreit und als Bischof von Würzburg bestätigt zu werden.

Bischof Konrad war also einer der bedeutendsten Fürsten seiner Zeit, gleich ausgezeichnet von Geist und Gemüth, wie von Charakter und Willensstärke, der Schwert und Feder gleich kräftig zu führen verstand. Sein eifriges Bemühen ging dahin, in seinem geliebten Vaterlande die so tief gesunkene Zucht und Sitte, öffentliche Ordnung und Sicherheit unverzüglich aufzubessern und den Anhängern der Unzucht und Vergewaltigung mit Kraft und Nachdruck entgegenzutreten. Deshalb vermochte er auch den neuen König Philipp, die scharfe Verordnung über Landfriedensbruch, Mord, Brand, Raub, Nothzucht und Schändung zu erneuen. Da hielten nun die Junker und Schnapphähne einige Jahre Ruhe und Frieden im Bisthume, aber dann brach die Pestbeule wieder von Neuem auf.

Mit großem Mißfallen bemerkte der hochsinnige Bischof, daß seine nächsten Verwandten, die Söhne seines Bruders und seiner Schwester, sich einem leichtfertigen und lockern Leben hingaben und unter dem vermeintlichen Schutze des Krummstabs ihres Ohms sich Ausschweifungen aller Art erlaubten. Die ernsten Warnungen des sittenstrengen Bischofs vermochten die jungen Wüstlinge nur zu etwas mehr Vorsicht. Daß aber auch diese bald genug wieder aus den Augen gesetzt wurde, beweist der Vorfall, der den Bischof in der Glorie der höchsten Gerechtigkeitsliebe und Mannestugend zeigt und durch den tragischen Ausgang unsere höchste Theilnahme erregt.

Der älteste Sohn seines Bruders, ein schöner Jüngling und als sein Liebling von ihm zu seinem Erben bestimmt, hatte sich vor dem Ohm am meisten zu verstellen gewußt. Der Bischof glaubte ihn gehorsam und eines ordentlichen Wandels beflissen. Da entstand eines Tages in der ersten Woche des Christmonats 1202, ein Auflauf in den Straßen Würzburgs; man vernahm Ausrufe der Entrüstung und die Wehklagen eines Greises, den viele Bürger nach der bischöflichen Wohnung im Bruderhof führten. Dieser Häusercomplex liegt fast mitten in der Stadt nicht weit vom Dome und besteht heute noch in seiner alterthümlichen Form. Als die Männer vor dem Bischof standen, erzählte der Alte mit Thränen, daß seine Tochter, eine reine und sittsame Jungfrau, von einem adligen Jünglinge auf offener Straße in unzüchtiger Absicht angehalten, mit Gewalt in ein Haus gezogen und dort ihrer jungfräulichen Ehre beraubt, zum Tode erkrankt, in einem elenden jammervollen Zustande sei. Auf die Frage des entrüsteten Bischofs nach dem Thäter vernahm er mit Entsetzen den Namen seines eigenen Neffen und Lieblings. Doch sich fassend, that er, was Amt und Pflicht forderten. Dem unglücklichen Vater Trost, den entrüsteten Bürgern Vertrauen zusprechend, gelobte er Untersuchung und Sühne des Verbrechens und ließ unverzüglich auf den Wüstling fahnden und ihn an das aus Rittern und Bürgern vom Bischof zusammengesetzte königliche Schöffengericht abliefern. Diesem legte er die strengste Untersuchung und Ahndung der Uebelthat auf. Die erstere ergab die Wahrheit der Anklage, die andere das Todesurtheil des schuldig Befundenen nach dem auf des Beschofs Betrieb vom Könige erneuten und verschärften Gesetze. Dem Bischof stand als Landesherrn das Recht der Strafmilderung oder Begnadigung zu, und Jedermann erwartete, daß die gesetzliche Strafe verwandelt und der durch die Todesangst gezüchtigte Verbrecher beim Leben gelassen werde. Aber die Stunde der Strafvollziehung nahete heran, und der Bischof verharrte in finsterem Schweigen. Die ängstlich gewordene Blutsverwandtschaft bestürmte das Familienhaupt um das Gnadenwort und beschwor ihn bei der Ehre des Hauses, die Richter flehten ihn um Milderung des Urtheils an, die Kläger, deren Rachegefühl der strenge Spruch entwaffnete, baten um Schonung – Alles vergebens. Der Bischof blieb bei seinem Ausspruche, die gesetzliche Strafe müsse ohne Aufschub vollzogen werden.

Die ganze Stadt gerieth in die größte Aufregung, und der Bruderhof erfüllte sich mit Gnadebittenden. Der Bischof hatte den Eintritt in sein Gemach streng verboten. Nichtsdestoweniger stürmten zwei junge adlige Männer hinein, ebenfalls Neffen des Fürsten: Bodo von Rabensburg, der Bruder des Verurtheilten, und Hund von Falkenberg, der Schwestersohn des Bischofs, Kumpane des Verbrechers und in Gesinnung und Handlungsweise ihm gleich. Die heftigen Worte ihrer Fürbitte wies der eiserne Fürst mit scharfer Rüge ihrer eigenen Schuld zurück. Da unternahm die verzweiflungsvolle Familie im Verein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_760.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)