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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Grüß Euch Gott, Ihr Beiden,“ sagte er mit sanfter, wohlklingender Stimme, indem er dem Alten die Hand darreichte und Gudula freundlich lächelnd zunickte. Sie erwiderte den Gruß mit einem herzlichen Blick und senkte dann ruhig ihre Augen wieder auf ihre Arbeit nieder.

„Bist heut’ gekommen recht zeitig vom Comptoir, Mayer Anselm,“ sagte Gudula’s Vater, indem er dem jungen Manne winkte, neben ihm auf dem Holzschemel Platz zu nehmen. „Hat es gegeben etwas Besonderes, daß du eine Stunde früher als sonst bist heimkommen vom Comptoir des großen und reichen Herrn Nathanson?“

„Ja,“ sagte der junge Mann, „es hat gegeben etwas Besonderes, und grad’ darum komme ich sogleich zu Euch, daß Ihr mir sollt’ geben Euren Rath. Denn ich weiß wohl, daß Ihr Beide die Einzigen seid, die mit herzlicher Treu’ an mir hängen, und denen es nicht gleichgültig ist, ob es dem Mayer Anselm gut geht. Ich habe zu Euch, Vater Baruch, das herzliche Vertrauen eines Sohnes, ich liebe dich, Gudula, als wärst du meine wirkliche Schwester.“

„Hörst, Gudula,“ sagte der Alte, „er nennt sich meinen Sohn, und er liebt dich, als wärst du seine Schwester!“

„Ich weiß es, und es freut mich, Vater Baruch,“ sagte Gudula, indem sie wieder die Augen von der Arbeit erhob und ihren Vater anschauete mit einem Blick, dessen Bedeutung nur er verstand. „Ja, der Mayer Anselm liebt mich wie eine Schwester, und ich liebe ihn wie meinen Bruder.“

„Und ich habe noch niemals ein Geheimniß gehabt vor meiner guten Schwester Gudula,“ rief der junge Mann innig. „Wir sind miteinander aufgewachsen, wir haben nicht blos gespielt und gelacht mit einander, sondern auch geweint und gehungert, und die Noth bindet fester aneinander als das Glück. Weißt noch, Gudula, wie du mich getröstet hast damals, als meine gute, herzliebe Mutter ist heimgegangen zu unsern Vätern, und wie ich an ihrem Sterbebett in meines Herzens Noth und Verzweiflung so bitterlich hab’ geweint und geflennt?“

„Ich weiß noch, Mayer Anselm,“ erwiderte sie ruhig. „Ich hatte deine Memme gar herzlich lieb gehabt, und darum weinte ich mit Dir.“

„Und legtest deine Aermchen um meinen Hals, Gudula, und küßtest mich, und sagtest mit deiner holden Kinderstimme: ich hab’ dich lieb, Mayer Anselm! Um das gute, herzige Wort habe ich dich lieb behalten und werd’ dich lieb behalten mein ganzes Leben lang, und werd’ immer Dein Bruder bleiben, wenn anders die schöne Gudula es nicht verschmähen will, meine Schwester zu sein.“

„Ich will immer deine Schwester sein, Mayer Anselm. Aber sag’ uns jetzt, was du Besonderes uns erzählen wolltest, und worin wir dir Rath geben sollten, der Vater und ich.“

„Ja, erzähl’ uns, warum du bist gekommen heut’ eine Stunde früher von dem Comptoir,“ fragte der Alte. „Der reiche Nathanson wird doch nicht haben gemacht Bankerott, daß das Comptoir geschlossen ist vor der Zeit?“

„Nein, Vater Baruch,“ erwiderte der junge Mann lächelnd, „er hat nicht gemacht Bankerott, sondern er hat heut’ gewonnen zehntausend Gulden, weil er hat speculirt auf die Baisse und es ist ihm gelungen, da hat er in seiner Freud’ jedem Commis aus dem Comptoir vier Gulden monatlich zugelegt und mich hat er gerufen in sein Privatzimmer, um mit mir zu sprechen.“

„Dich wollt’ er sprechen?“ fragte der Alte verwundert. „Bist ja der jüngste Commis auf seinem Comptoir, denk’ ich. Wie lange bist Du bei ihm, Mayer Anselm?“

„Drei Jahre, Vater Baruch, seit ich die Lehrlingszeit überstanden hab’.“

„Drei Jahre, und der Nathanson läßt den jüngsten Commis in sein Privatzimmer rufen, um sich Raths von ihm zu holen?“

„Nein, Vater Baruch, nicht um deswillen,“ sagte Mayer Anselm so verlegen und zögernd, daß Gudula verwundert von ihrer Arbeit aufschauete und ihren „Bruder Anselm“ erwartungsvoll anblickte.

„Um welcher Sach’ willen ließ denn der Nathanson dich rufen?“ fragte der Alte.

„Um einer gar seltsamen Sach’ willen, die ich nimmer gedacht und vermuthet hätt’, Vater Baruch.“

„Es ist doch kein Unglück für dich?“ fragte Gudula hastig.

„Nein, Gudula, kein Unglück, sondern es schaut aus, als wär’s ein großes Glück. Der reiche Nathanson will mich machen zu seinem Associé und Compagnon.“

„Will dich machen zu seinem Associé und Compagnon?“ schrie Vater Baruch außer sich. „Ist der Nathanson verrückt geworden? Hat er verloren das bischen Verstand, das ihm der Herr unser Gott gegeben? Will dich machen zu seinem Associé!“

„Vater, laß den Mayer Anselm doch weiter erzählen,“ sagte Gudula, deren Augen mit einem seltsamen Ausdruck auf dem verlegenen Angesicht des jungen Mannes ruhten. „Ich denke wohl, er hat uns die Hauptsache noch nicht gesagt. Sprich also, Mayer Anselm. Unter welchen Bedingungen will dich machen der reiche Nathanson zu seinem Associé?“

„Er hat nur eine Bedingung gestellt, Schwester Gudula. Er will mich machen zu seinem Associé nicht allein, sondern, da er keinen Sohn hat, keinen Namens-Nachfolger für die Firma, so will er mich adoptiren, und ich soll annehmen seinen Namen, und es soll stehen auf der Firma: Mayer Nathanson u. Sohn.“

„Und die einzige Bedingung, die er gestellt hat,“ sagte Gudula, indem sie wieder ruhig zu arbeiten begann und das Haupt niedersenkte auf die Nätherei, „die einzige Bedingung ist die, daß du, Mayer Anselm, seine Tochter, die Veilchen Rahel, heirathen sollst!“

„Hast’s errathen, Schwester Gudula!“ rief Mayer Anselm freudig, „ja, hast’s errathen. Gott der Herr sei gelobt, daß es heraus ist! Ja, die Veilchen Rahel soll ich heirathen, das ist die einzige Bedingung, die der Nathanson stellt.“

„Aber das wirst nicht thun, das kannst nicht thun,“ rief der alte Baruch eifrig. „Die Veilchen Rahel heirathen! das heißt einen Kobold heirathen, der dir wird machen das Leben zur Höll’! Weißt’ nicht, daß sie häßlich ist und schielt’ wie eine Nachteul’? Weißt nicht, daß sie verwachsen und bucklig ist?“

„Ich weiß es,“ erwiderte Mayer Anselm ruhig, „aber ich weiß auch, daß sie ein gar gutes, sanftes Gemüth hat und daß sie nicht verhärtet worden ist in ihrem Herzen von dem Unglück, das auf ihr ruht; sie ist wohlthätig und fromm, und die Armen und Kranken segnen sie, Ihr wißt das wohl, Vater Baruch! Sie hat ein schönes, warmes Herz, und –“

„Und dies Herz hat sie dir gegeben?“ fragte Gudula hastig. „Die Veilchen Rahel liebt dich, nicht wahr?“

„Sie hat ihrem Vater gesagt, daß sie es thut,“ erwiderte Mayer mit niedergeschlagenen Augen, „und deshalb, da er sein einziges Kind liebt, hat der Nathanson mich rufen lassen und will mich zu seinem Tochtermann machen.“

„Und du?“ fragte Baruch. „Liebst sie auch, die schöne Veilchen Rahel?“

„Nein,“ sagte der junge Mann gedankenvoll, „ich liebe sie nicht. Aber ich will Euch etwas sagen, Vater Baruch und Schwester Gudula, ich glaube, ich bin gar nicht fähig, zu lieben, es ist eine Eigenschaft, welche mir die Natur versagt hat. Ich hab’ mein Herz streng geprüft und ich hab gefunden, daß es eng ist und in sich abgeschlossen, und daß es ganz zufrieden ist mit dem, was es hat, mit der Liebe zum Vater Baruch und zur Schwester Gudula, und daß es gar nicht begehrt, zu fühlen so heftige Gluth und so schmerzliches Verlangen, als wie die Dichter sagen von der Liebe. Ja, ich hab’ ein enges Herz, und es ist eben nur Raum darin für Euch Beid’! Aber ich denk’, ich werd’ in der Vorhall’ meiner Herzenskammer doch ein Plätzchen finden für die gute Veilchen Rahel, und ich will ihr dankbar sein für ihre Liebe und für –“

„Für ihr Geld,“ ergänzte Gudula rasch.

„Ja, du hast’s gesagt und es ist so,“ rief Mayer Anselm lebhaft. „Für ihr Geld will ich ihr dankbar sein, sie macht mich zum reichen Mann. Und soll ich Euch sagen, was das bedeutet? Das bedeutet in dieser schlechten und erbärmlichen Welt: sie macht mich frei, angesehen, ehrlich und ehrenhaft. Denn Ihr wißt es ja, der arme Jude ist ein verachteter Paria, ausgestoßen aus der Gesellschaft, der Freiheit des Willens, der Ehre und der Anerkennung beraubt. Ich hab’ gesehen den Jammer und die Erniedrigung unsers Volkes, ich hab’ gesehen und ich sehe, wie sie uns verachten und treten unter ihre Füße, diejenigen, welche sich nennen Christen und welche sagen, daß ihre Religion die Religion der Liebe ist und der Vergebung. Sie hassen uns und verfolgen uns trotz ihrer Liebe, sie wollen es uns nicht vergeben, daß wir sprechen einen andern Jargon wie sie, daß unsere Nasen haben einen andern Schnitt, unsere Augen und Haare feurig sind und schwarz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_786.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)