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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

her, denn eine ganze Welt von Empfindungen liegt dazwischen, ein neues Leben ist in mir aufgegangen seitdem. O, ich war bis dahin umhergegangen mit blinden Augen und mit tauben Ohren! Ich hatte mich schwer versündigt an der Liebe und an dem Glück, und in der thörichten Verstocktheit meines Herzens suche ich das Glück da, wo es nimmer zu finden ist, und wollt’ von dem Geld haben, was nur das Herz geben kann, das Glück und die Freudigkeit des Lebens. Gudula, werde meine Frau, und ich werde der reichste Mann auf Erden sein, denn ich werde besitzen, was alle Schätze der Erde nicht erkaufen können, ein schönes, tugendhaftes und geliebtes Weib! Gudula, sag, daß Du mich liebst, und dann werd’ ich ein Millionär sein, wenn ich auch in den Augen der Welt nichts hab! Aber das Herz einer geliebten Frau ist mehr werth als Millionen, und freudvoller ruht sich’s an seiner Brust, als auf Bergen von Gold und Edelsteinen.“

Gudula antwortete nicht, sie hatte sich abgewandt, daß die Beiden ihr Gesicht nicht sehen konnten, aber sie sahen doch, wie ihre ganze Gestalt bebte, sie hörten doch, wie sie leise schluchzte.

„Gudula,“ rief ihr Vater, „ich sag’s jetzt dem Mayer Anselm, warum Du Dich wolltest in den Main stürzen, wo er am tiefsten ist.“

Sie wandte sich hastig um und ließ den Beiden ihre erglühten Wangen sehen, über welche die Thränen in hellen Bächen niederschossen. „Vater, wenn Du das sagst,“ rief sie leidenschaftlich, „so geh’ ich und thu’, was ich geschworen.“

„Mayer Anselm, halt’ sie fest, daß sie nicht gehen kann,“ sagte der Alte lächelnd. „Ich droht’ ihr heut’ Abend, daß ich Dir wollt’ sagen ihr Geheimniß, das sie in ihrem Herzen trägt, und da hat sie geschworen, daß, wenn ich es Dir verriethe, sie sich darum wollte stürzen in den Main.“

„Und was war das für ein Geheimniß?“ fragte Mayer Anselm mit aufstrahlenden Blicken.

„Ich darf es Dir ja nicht sagen, Mayer Anselm. Frag’ die Gudula darum.“

Mayer Anselm legte sanft seinen Arm um ihre Gestalt und sah ihr tief und flehend in das erglühte Angesicht. „Gudula,“ sagte er mit flehender Stimme, „ich hab’ Dir heute Abend gesagt, daß ich mein Leben wollt’ dran setzen, ein reicher Mann zu werden. Sieh nun, Gudula, ich steh’ vor einem großen Schatz und möcht’ ihn heben, denn er wird mich zum reichen Mann machen. Aber der Schatzgräber muß das Erlösungswort kennen, wenn er heben den Schatz soll. Ich denk’ aber, Gudula, Dein Geheimniß ist das Erlösungswort. Was war’s, das Dein Vater mir nicht sagen sollt’?“

„Daß ich Dich liebe!“ rief sie, indem sie ihre beiden Arme um seinen Nacken schlang und ihr Antlitz an seinem Busen barg.

„Gudula,“ rief er jauchzend, „ich danke Dir! Ich habe meinen Schatz gefunden, ich bin ein reicher Mann!“


3.

Die Glücklichen haben keine Geschichte, und die Jahre rauschen an ihnen vorüber, wie ein einziger Sonnentag. Mayer Anselm hatte seinen Schatz gefunden, und er ehrte ihn und hielt ihn hoch sein Leben lang, er nannte nach langen Jahren der Vereinigung noch seine Gudula die schöne und bessere Hälfte seines eigenen Wesens. Sie hatte ihren Antheil an allen seinen Gedanken, seinen Bestrebungen, sie darbte freudig mit ihm, als sie noch arm waren, sie arbeitete mit ihm und nahm Theil an fernen Geschäften, sie hatte mit ihm dasselbe Streben, dasselbe Ziel, reich zu werden! Denn sie wußten es Beide: nur der Reichthum konnte sie erlösen aus dem Druck der Verhältnisse, konnte ihnen die Freiheit geben und sie befähigen, auch für die Ihrigen, für die große Familie der Unglücklichen in der Judenstadt, Abhülfe ihrer Noth und Tröstung in ihren Leiden zu schaffen.

Und sie wurden reich, und nach Jahren unermüdlichen Schaffens und Sparens und klugen Berechnens und Speculirens war der Mayer Anselm Rothschild ein angesehener Mann auch unter den christlichen Geldmännern von Frankfurt, man grüßte ihn achtungsvoll an der Börse, wenn er so stattlich daherschritt mit seinen drei ältesten Söhnen, die er früh schon zu Gehülfen und Teilnehmern seines Banquiergeschäftes gemacht, und man gab wohl Acht, welche Papiere der Mayer Anselm kaufte, denn man wußte wohl, daß der niemals schlechte Papiere kaufte und niemals auf gewagte Speculationen sich einließ. Man wußte wohl, daß man sich nach ihm richten könne, weil er nicht blos ein kluger Geschäftsmann, sondern auch ein Ehrenmann war, auf dessen Wort man bauen konnte, wie auf einen Fels.

Nur durch sich selbst, durch seine Geisteskraft, seinen klugen Blick und seine unermüdliche Thätigkeit war Mayer Anselm geworden, was er war, ein reicher Mann, und gerade dessen freute er sich und sagte es mit Stolz zu seinen Söhnen: ich bin Alles durch mich selbst, Nichts durch Andere! Die Arbeit ist meine Gönnerin, der Fleiß mein Freund und die Sparsamkeit meine liebreiche Mutter gewesen. Durch sie bin ich geworden, was ich bin, ein reicher Mann, der Niemand zu danken hat, als dem großen Gott da droben, welcher ihm mehr gegeben hat, als Reichthum: ein geliebtes Weib und zehn liebe gesunde Kinder. So laßt uns denn fortfahren, fleißig zu sein, zu schaffen und zu wirken, und der Segen Gottes wird bei uns bleiben allezeit. – Jahre, lange Jahre waren so dahingegangen, sie hatten aber die Verbindung zwischen dem Landgrafen von Hanau und dem Mayer Anselm Rothschild, welche auf seltsame Weise begonnen, nicht wieder gelöst. Der Landgraf hatte sich standesgemäß vermählt, er hatte, da er nach dem Tode seines Vaters 1785 zum Kurfürst von Hessen succedirte, nach Kassel seine Residenz verlegt, aber immer war er eingedenk geblieben jener Scene im Pavillon, und es schien ihm nothwendig, dem Mayer Anselm Rothschild eine Genugthuung zu geben für die Beleidigungen und Schmerzen, welche er ihm angethan, und ihm zu beweisen, wie sehr er ihn hochachte und ihm vertraue.

Er ernannte also den Mayer Anselm Rothschild im Jahre 1801 zu seinem Hofagenten. Mayer Anselm ging mit dem fürstlichen Bestallungsschreiben zu seiner Gudula, die er im Familienzimmer im Kreise ihrer Kinder fand. Er reichte ihr das Papier dar und fragte lächelnd, ob sie etwa dem Kurfürsten noch grolle und ob sie etwas dawider habe, wenn er den Titel und das Geschäft annehme.

Gudula warf einen flüchtigen Blick auf das Papier und dann lächelte auch sie. „Ich groll’ dem Kurfürsten nicht,“ sagte sie, „im Gegentheil, er ist ja unser Brautführer gewesen und hat gemacht, daß der Mayer Anselm mein herzlieber Mann geworden. Aber ich möcht’ doch wissen, was der große Mayer Anselm Rothschild davon hat, wenn der kleine Kurfürst von Hessen ihn zu seinem Hofagenten ernennt.“

„Der Kurfürst von Hessen ist ein ausbündig reicher Herr,“ erwiderte ihr Mann ernst, „er wäre ein mächtiger und angesehener Herr, wenn er auch kein Fürst wäre, denn er besitzt viele Millionen Gulden.“

„Aber man weiß ja, auf welche Weise er sie sich erworben,“ sagte Gudula achselzuckend. „Hat seine armen Unterthanen für Geld an England verkauft, daß sie sollen helfen die Freiheit und Unabhängigkeit von Amerika unterdrücken. Hat sich lassen von England für jedes seiner gefallenen Landeskinder zahlen hundert Gulden und hat das Geld nicht etwa gegeben an die Hinterbliebenen der Gefallenen, sondern hat’s gesteckt in seine eigene Tasche, und einstmals, als in einer Schlacht am Mississippi nur wenige Hessen gefallen sind, da hat der Herr Kurfürst eigens geschrieben an den englischen commandirenden General in Amerika und hat sich beklagt, daß so wenig Hessen auf dem Schlachtfeld geblieben, und hat verlangt, daß man in den Schlachten die Hessen sollt’ immer dahin postiren, wo’s am gefährlichsten wär’![1] Ist mir ein prächtiger Landesvater, der Kurfürst von Hessen, verdient es wahrhaftig nicht, daß der Mayer Anselm Rothschild ihm die Ehr’ erweist, sein Hofagent zu werden.“

„Hast freilich Recht, Gudula,“ sagte Mayer Anselm sinnend, „ist ein schlechter Landesvater und hat für Geld seine Unterthanen verkauft an England. Aber ist doch Veranlassung gewesen zu einer großen und herrlichen Schöpfung. Wär’ der Kurfürst von Hessen nicht gewesen, so hätte der Friedrich Schiller nicht sein Trauerspiel Kabale und Liebe geschrieben, das Du neulich hast angeschaut mit mir im Theater und über welches Du so herzlich viel hast geweint.“

„Mit dem schlechten Landesfürsten hat er gemeint den Kurfürsten von Hessen?“ fragte Gudula lebhaft.

„Ja wohl, Gudula,“ erwiderte Mayer Anselm lächelnd, „und es hat nur an Dir gelegen, daß der Schiller mit der Lady Milford nicht hat gemeint die Gudula Schnapper.“

  1. Historisch.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_818.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)