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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

denkst Du hin?" sagt seine Frau; „Du, der nichts verdient, Du willst Deine alten Brüder Taugenichtse hier abfüttern? Es giebt keinen Pillaf.“ Und der Khoja senkt das Haupt, nimmt den leeren Napf aus der Küche auf sein Zimmer, setzt ihn vor die Studenten und sagt: „Da ist der Napf, in dem ich Euch den Pillaf vorgesetzt hätte, wenn meine Frau ihn geben wollte.“

Seine Frau hatte übrigens ganz Recht, denn er verdiente wirklich nichts; eine Zeitlang scheint, was von ihm in die Wirthschaft geliefert wurde, sogar ausschließlich auf unehrlichem Wege beschafft worden zu sein. Vorzugsweise der Obstgärtner, der neben ihm wohnte, konnte ein Lied davon singen. Es war eine Mauer zwischen beiden Gärten, die eben nicht höher war, als des Khoja Leiter. Eines Tages stand die Leiter nicht an des Khoja, sondern an des Gärtners Seite der Mauer, und da stand auch der Khoja; der Gärtner aber hatte aufgepaßt und kam dazu. „Was thust Du denn in meinem Garten, Nachbar Khoja?“ war die natürliche Frage. „O! ich will Dir nur die Leiter zum Verkauf anbieten“ – sagte der Khoja, mit der unschuldigsten Miene von der Welt. Darauf der Gärtner: „Ja dann, warum nicht vorn zur Thür hereinkommen?“ Doch bringe Du den Khoja in Verlegenheit! „War es nicht am besten,“ sagte er, „daß ich Dir gleich zeigte, wie brauchbar und nützlich sie ist?“ – „Ja so!“ sagte der Gärtner und kaufte die Leiter.

Es muß aber auch ohne Leiter gegangen sein, denn am nächsten Tage war er schon wieder in des Nachbars Garten, und diesmal bis an den Apfelbaum vorgerückt, dessen dichtbelasteten Zweig seine eine Hand herabdrückte, während die andere den Sack hielt, der schon halbgefüllt war, als der wachsame Gärtner, der ihn diesmal absichtlich hatte gewähren lassen, ihm unversehens auf die Schulter klopfte. „Nachbar Khoja, Nachbar Khoja!“ sagte der Gärtner, „weshalb bist Du aber heut in meinen Garten gekommen, und wie hast Du’s ohne Leiter gemacht?“ Das Letzte hätte er nicht sagen sollen; denn Khoja ward ja dadurch selber alsbald seine eigne Unschuld klar. – „Eben, eben!“ sagte er; „aber höre das Brausen des Windes! Wer kann dafür, wenn ihn der Wind emporhebt und in des Nachbars Garten schleudert?“ – „Ja, wie kommt denn aber Deine Hand hier an den Apfelbaum?“ fragte der Gärtner weiter. – Der Khoja darauf: „Ich mußte mich doch festhalten, wollte ich nicht in den Bosporus geweht sein.“ – Der mißtrauische Gärtner schüttelte noch immer den Kopf. „Ja, aber sage mir, wie kommen die Aepfel hier in Deinen Sack?“ Der Gärtner sah den Khoja, der Khoja den Gärtner an. – „Ja wohl, merkwürdig,“ sagte der Khoja; „darüber dachte ich auch gerade nach, als Du kamst.“

Es ist nicht erzählt, was der Gärtner darauf gethan hat. Es muß vermuthet werden, der Gärtner sei ein richtiges Kind der Zeit gewesen, die diese Schnurren gebar, der Zeit, wo der schläfrige Türke noch ein munterer, weltstürmender Bursche war, und habe dem Witze nicht zu widerstehen vermocht. In der That, zergliedere man ihn nur; es steckt etwas drin! Erst die Persiflage wegen der unnütz gekauften Leiter, die nun der Wind ersetzt; und dann die zweite, in der er mit dem Gärtner selber überlegt, wie er sich ausreden soll!

Der Gärtner muß ihm verziehen haben, denn am nächsten Tage sehen wir ihn aus Rand und Band gehen. Diese Diebesgeschichten sind wahrscheinlich die einheimisch türkischen, die tatarischen. Komik der Situation ist darin die Hauptsache; und auf ein bischen Unflath hier und da kommt es nicht an. Dies zur Vorbereitung, wenn wir ihn nun zum dritten Male in des Nachbars Garten, und zwar diesmal oben auf dem Baum finden, den er unten schon abgelesen hat. Der Gärtner, der augenscheinlich gutmüthig auf den Spaß eingegangen ist, steht drohend mit der Stange unten. „He, Nachbar Khoja! habe ich Dich endlich auf dem Baum? Warte, jetzt sollst Du es kriegen.“ Der Khoja, der ungestört seinen Apfel ißt, ruft aber lustig herunter: „Ich bin ja gar nicht der Khoja.“ – „Wer bist Du denn?“ – „Ich bin eine Nachtigall.“ – „Dann singe einmal.“ – Was der Khoja nun that, bleibe was es war, nämlich türkisch. Ein Laut war’s, aber allerdings kein Nachtigallengesang. „So singt doch keine Nachtigall!“ sagte der Gärtner. – „Doch – eine christliche von drüben!“ war die verwegene Antwort, die den guten Moslem unten augenblicklich entwaffnete.

Der Khoja war durch seine Streiche allmählich bekannt geworden bis an Bajazet’s Hof, und eine ganze Reihe von Schnurren bezieht sich auf glückliche Abführungen witzigseinwollender Hofleute, mit denen er zum Vergnügen des Sultans zusammengehetzt wird. Seine endliche Bekehrung zur Frömmigkeit geht auf dem Wege eines irischen Bull vor sich, wie ihn kein Paddy, von dem ich wohl ein andermal Geschichten erzähle, besser herausbringen kann. Er hört aus dem Schlafzimmer in der Nacht im Garten ein Geräusch, steht auf und sieht eine weiße Gestalt mit erhobenen Armen sich hin und her bewegen. „Allah ist Allah und Mahomet ist sein Prophet!“ sagt er mit zu Berge stehenden Haaren, nimmt aber doch die Armbrust von der Wand, spannt sie und legt den Bolzen auf. Auch hat er noch so viel Herrschaft über sich selbst, genau zielen zu können. Aber als der Bolzen abgeflogen, hat er nicht mehr hinzublicken vermocht und ist schaudernd auf’s Lager zurückgekrochen. Am nächsten Morgen, als er sich in den Garten hinauswagte, klärte sich das Geheimniß auf. Er hatte durch sein eigenes Hemde, das an der Trockenleine hing, hindurchgeschossen. „Gelobt sei Allah!“ rief er aus; „hätte ich das Hemde angehabt, so wäre ich jetzt ein todter Mann! Ihm, der allein es so glücklich gefügt hat, sei fortan mein Leben geweiht.“

Nach seiner Bekehrung erfolgt seine Anstellung als Koranleser in einer kleinen Moschee, die zum Schauplatz des Restes der Schnurren wird. Allem Anschein nach gelangen wir hier auf den Boden arabischen Witzes, geistlichen Witzes vielleicht, mit dem der Derwisch den Derwisch lachen gemacht hat. Der Witz ist höher, ist in der That Sophistik; auf die Komik der Situation ist dagegen nicht derselbe Nachdruck gelegt. Ein Beispiel reicht aus. Es war der erste Freitag, an dem er fungirte. Die Gemeinde war nicht wenig neugierig auf den Khoja als Prediger. Er hatte den Korantext des Tages vorgelesen und nun zu erläutern. „Andächtige Moslemin,“ hob er an, „was ich über diesen Text nun sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – „Nein, ehrwürdiger Khoja!“ antwortete die Gemeinde verwundert; „wie können wir es wissen? wir wissen es nicht.“ – „Nun seht Ihr,“ fuhr er fort, „da geht es mir gerade wie Euch; ich weiß es auch nicht“ – klappte den Koran zu und stieg von der Kanzel. Man kann sich denken, daß die Spannung für den nächsten Freitag wuchs. Er konnte sich doch nicht immer auf dieselbe Art heraushelfen. Als er aber die Lesung des Textes beendigt hatte, fing er richtig wieder an: „Andächtige Moslemin! was ich über diesen Text nun sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – Trotz der Heiligkeit des Orts schüttelte sich die Gemeinde vor Lachen; hundert Hände erhoben sich und winkten ihm zu, und hundert Stimmen riefen: „Ja wohl, das wissen wir schon!“ – „Wie gut!“ sagte er; „da brauche ich es Euch ja nicht zu sagen“ – klappte wieder den Koran zu und stieg von der Kanzel. Am dritten Tage faßte die Moschee den Andrang der Neugierigen nicht mehr. Der Hof selber, der von den Scenen gehört, war gekommen und hatte seinen besten Witzbold mitgebracht, um den Khoja in Verlegenheit zu setzen. Die ausgegebene Losung war, daß, wenn er wieder mit seiner Frage käme, Alles mäuschenstill sein und der Witzbold allein antworten sollte. Der Text war gelesen; wird er nun die Taktik verändern, oder nicht? Nein, wahrhaftig, er fing wieder an: „Andächtige Moslemin! Was ich nun über diesen Text sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – Der Witzbold war mit seiner Antwort vollständig vorbereitet: „Ehrwürdiger Khoja!“ antwortete er, sich verneigend; „Einige hier wissen es allerdings schon, es sind aber heute auch Andere hier, die wissen es noch nicht.“ – „Nun gut!“ sagte der Khoja, „dann können ja Diejenigen, die es wissen, es Denen sagen, die es noch nicht wissen“ – klappte den Koran zu und stieg von der Kanzel.

Und ich klappe hiermit für heute den türkischen Eulenspiegel zu, von dem ich geglaubt habe, daß er, mit der nöthigen Vorsicht behandelt, was, wie ich denke, geschehen ist, in der Gartenlaube ebensogut präsentirt werden könne, als im Kiosk.

J. F. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_039.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)