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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Am hohen Himmel.

Eine andere, weit verbreitete irrige Anschauung hängt mit solchen Täuschungen eng zusammen. Die meisten Menschen sind nämlich geneigt zu behaupten, daß das Aussehen des Vollmondes, wenn er sich eben über den Horizont erhebt, größer sei, als wenn er hoch über uns steht, und sie glauben diese Beobachtung auf eine sehr plausible Weise dadurch zu begründen, daß sie annehmen, die Dünste, die gegen Abend nahe dem Boden lagern, brächen das Licht auf eine eigenthümliche Art und ließen das Bild der Mondscheibe größer erscheinen, als die klare, durchsichtige Nachtluft über unsern Köpfen. Das klingt nach etwas – der Grund aber ist einmal unnöthig und dann auch falsch.

Ein König von England stellte einst den Gelehrten seines Reiches die Preisfrage: ein Gefäß mit Wasser und ein Fisch werden gewogen; warum beträgt das Gesammtgewicht weniger, wenn der Fisch mit in das Gefäß gethan wird, als wenn Fisch und Wasser für sich gewogen werden?

Es liefen einige sechzig sehr gelehrte Beantwortungen ein, und keine traf das Richtige. Nur ein Einziger von all’ den Weisen hatte sich erst überzeugen wollen, ob denn eine Gewichtsdifferenz auch wirklich, wie König Georg behauptete, stattfände; er machte das Experiment, und siehe da – die ganze Geschichte war ein Scherz, der Fisch wog im Gefäße genau so viel als außer demselben.

Aehnlich ist es auch mit dem Monde. Seine Scheibe ist am Horizont nicht um eine Haarbreite größer als im Zenith, und die Dünste brauchen gar nicht als Vergrößerungsgläser gedacht zu werden. Aber wenn der Mond aufgeht, erscheint sein Bild am Horizont in der Nähe von Bäumen und Felsen und Häusern, die wir unwillkürlich als Maßstab gebrauchen. Für den hohen Himmel fehlen uns solche Vergleichsgegenstände, oder wir können sie nur aus unserer nächsten Nähe nehmen. Während daher das eine Mal die Mondscheibe vielleicht breiter erscheint als die Krone eines mächtigen Baumes, wird sie im zweiten Falle durch ein Blatt verdeckt, das vor unsern Augen schwankt.

An diese Vergleichungen knüpft sich aber die Vorstellung, und so wird uns der eine Eindruck mächtiger als der andere. Durch geeignete Betrachtung der beiden Abbildungen werden diese Verhältnisse besondere Klarheit erlangen. In beiden ist der Mond gleich groß, und doch täuscht das Bild, in einiger Entfernung durch die sehr wenig geöffnete hohle Hand betrachtet, in erwähnter Weise das Auge.

Die Ursache liegt in uns, in der Unbeständigkeit der Art zu urtheilen, in dem Verwechseln des Maßstabes, der ewigen Ursache aller Ungerechtigkeit.

Z. 




Die Spielhöllen in Wiesbaden.[1]
Von Bernhard Frank.

Es war im August 1863, als ich, aus dem deutschen Norden kommend, von Coblenz nach Wiesbaden fuhr. Ich wußte damals noch nicht, daß ich an dem letzteren Orte bis gegen Weihnachten mich werde aufhalten müssen.

Mein Freund van der Recke hatte mir versprochen, mich auf dem Bahnhof abzuholen. Er war noch nicht da, und ich ging, um ihn zu erwarten, für einige Minuten in den „Wartesalon erster Classe“. Darunter hat man sich hier eine elende hölzerne Boutike mit leeren Breterwänden vorzustellen, in welcher sich, abgesehen von einem Tische und vier Bänken, nichts vorfindet, als ein geheimnißvoll in der Ecke stehendes Schränkchen. Da es eine Glasthüre hatte, so konnte ich wahrnehmen, daß zwei Flaschen darin standen, die eine mit der Aufschrift „Sherry“, die andere mit der Aufschrift „Jamaïque“. Es schien indeß, als herrsche eine große Enthaltsamkeit. Denn eine Spinne hatte ihre Fäden gewoben über das Schlüsselloch der Schrankthüre, welche lange nicht mehr geöffnet worden war. Ich bin ein wenig Hypochonder. Ich hatte mir nach den Schilderungen meines Freundes vielleicht eine übertriebene Vorstellung von Wiesbaden gemacht und fand mich sehr enttäuscht von der „Wartesalon“-Boutike. Dazu kam, daß ich unterwegs von Mitreisenden, welche offenbar Gentlemen waren und nassauische Unterthanen zu sein schienen, Aeußerungen über die Regierung des Landes hörte, die dieser nicht sehr schmeichelhaft lauteten. Die Eisenbahnwagen waren nämlich bezeichnet mit den Buchstaben: „H. N. St. B..“ (herzogl. nassauische Staatsbahn). Die Mitreisenden behaupteten, das heiße „herzoglich nassauischer Staatsbankerott“, die Eisenbahn, die über 32 Millionen Gulden koste, rentire kaum anderthalb Procent; ihr Anfang und Ende liege in Preußen; nun sei aber die nassauische Regierung stockösterreichisch, opponire Preußen im Zollverein und sonstwo, und deshalb verweigere Preußen die Fortsetzungen und Anschlüsse für die nassauische Staatsbahn. Glücklicherweise kam, während ich noch in melancholische Betrachtungen über das „Plectuntur-Achivi“ versenkt vor dem mit einem Spinnweben-Schleier verhüllten unzugänglichen Sherry dastand, „gleich Lord Byron, gloomy-stumm“, mein Freund van der Recke, ein lustiger alter Herr, welcher seinen bisherigen Wohnsitz Preußen aus Abneigung gegen die Einkommensteuer aufgegeben und sich in Wiesbaden niedergelassen hatte; denn in Nassau bezahlt ein Capitalist, und wenn er so reich ist, wie alle Rothschilde zusammen, keinen Pfennig Steuer, während die Arbeiter und kleinen Handwerker hier höher besteuert sind, als bei uns in Preußen.

In den nächsten acht Tagen meines Aufenthaltes zeigte mir mein Freund die Herrlichkeiten von Wiesbaden und seiner Umgebung, und ich that heimliche Abbitte wegen der üblen und unvortheilhaften Vorstellungen, welche die verkommene Beschaffenheit der Staatsbahn und die malcontenten Gespräche der Mitreisenden in mir wachgerufen hatten. Der freundliche „Cursaal“ zeigte mir in seinem Innern eine Räumlichkeit, welche an stylgerechter, würdiger Einfachheit eher einem griechischen Tempel, als einem modernen Conversationssaal gleichen würde, wenn er nicht belebt wäre


  1. Unsere Leser machen wir auf die authentischen Zahlenmittheilungen dieses Artikels noch besonders aufmerksam. D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_041.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2021)