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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ist’s denn möglich,“ rief mein Freund aus, als er die Gruppe mit raschem Künstlerauge gemustert hatte. – „ist’s menschenmöglich, daß Deutsche auf diesem Strome ihr Vaterland verlassen können? Wer das über sich vermag, der muß von Vaterlandsliebe keinen Funken in sich spüren!“

„Freund, nicht ungerecht! Prüfe erst, und Du wirst finden, daß wir nicht sie anzuklagen haben, die von uns scheiden, sondern die Umstände, die sie von dannen treiben. Treten wir näher, die Leute sind offenbar aus der Pfalz und aus Unterfranken, wo sie Alle nicht am Herzdrücken sterben; sie werden uns gleich reinen Wein einschenken.“

Mein erregter Freund zögerte keinen Augenblick. Mit den Worten: „hier muß man deutsches Blut zu retten suchen!“ trat er zu einer Gruppe von einigen Männern, alten und jungen, die in ernster Unterhaltung begriffen schienen. Ich machte einen Gang um das Verdeck, um mir die Leutchen im Einzelnen zu betrachten.

Da war Alles vorhanden, was einer kleinen Gemeinde Leben und Gedeihen sichern konnte: frische, kräftige Buben, spielende kleine Kinder, alte Mütterchen, junge Frauen und Mädchen, Jünglinge mit dem ersten Keim von Bart bis’ zum Mann mit Greisenhaaren.

Das Gepäck der Auswanderer bildete einen hohen, mit Stroh überdeckten Haufen, der fast bis zur Schiffsglocke reichte. An der andern Seite des Verdecks hergehend, kam ich zu einem blutjungen, hübschen Pärchen, das sich um die ganze Umgebung nicht zu kümmern schien. „Geschwister?“ flüsterte ich grußnickend ihnen zu. Beide wurden roth und schüttelten schweigend die scheu geneigten Köpfe, aber wirklich „unter Thränen lächelnd“.

Die Stimme meines Freundes war indeß immer lauter geworden; sie war über das anfängliche Durcheinander des Widerspruchs von mehreren Stimmen allein Sieger geblieben. Er war eben im Zuge, dem Völkchen, offenbar um es im Vaterlande zurückzuhalten, von den Schicksalen der ersten deutschen Auswanderer zu erzählen, die nach Amerika gegangen sind. „Ihr könnt stolz darauf sein,“ sagte er, „es waren auch Pfälzer, und das ist schon über anderthalbhundert Jahre her. Es giebt kein Pfälzer Kind, welches nicht von den Verwüstungen gehört hätte, welche der französische König Ludwig XIV. über die Pfalz verhängte; die Trümmer des Heidelberger Schlosses stehen noch heute als das Denkmal seiner Schandthaten. Damals trieb die bittere Noth die ersten Pfälzer über die See. Der berühmte William Penn hatte sie hinübergelockt, aber der Mann war brav, die deutschen Ansiedelungen gediehen, und er hat es verdient, daß das einst von ihm verwaltete Land noch heute ihm zu Ehren Pennsylvanien genannt ist.

Ihr wißt, daß auf die französischen Verwüstungen die Protestantenverfolgungen in der Pfalz kamen. Die kurfürstlichen Jesuiten trieben’s fast noch ärger, als die Franzosen; diese hatten Städte und Dörfer verheert, und jene jagten nun auch den besten Theil des Volks aus dem Lande. Zur selben Zeit sahen die englischen Gouverneure in Nordamerika, wie Penn’s Provinz durch den Fleiß der Pfälzer so herrlich aufblühte. Da schickten sie denn ihre Lockvögel her in’s Land und versprachen den vielen heimathlosen Protestanten der Pfalz goldene Berge in Amerika. Sie sollten nur nach London kommen, dort sei Alles für ihre Ueberfahrt vorbereitet. Nun hört! Nahe an 33,000 Pfälzer und Rheinländer folgten der Lockung, ganze Gemeinden mit Pfarrer und Schulmeister, und fuhren hinüber nach London. Und was fanden sie da? Nur ein kleiner Theil dieser großen Schaar fand Platz in den Schiffen, die nach Nord-Carolina bestimmt waren; die anderen behandelte man nicht besser, als gekaufte Sclaven. Einen Theil derselben brachte man nach Irland, einen anderen auf uncultivirte englische Inseln, einen dritten in englische Bergwerke – als Arbeiter. Da hatten sie ihre goldenen Berge! Nur 7000 von diesen euren Vorfahren kamen arm und elend in die Heimath zurück! Wer weiß, ob nicht Eure eigenen Voreltern darunter waren, Ihr braven, guten Landsleute! laßt ihr Schicksal Euch zur Warnung dienen und bleibt im Vaterland!“

„Lieber Herr,“ entgegnete ihm ein Alter, der auch auf dem Schiff den gewohnten Büchsenranzen nicht ablegte – „damals waren andere Zeiten, und unsere Altvordern haben’s selbst verschuldet, weil sie, in ihrem Jammer freilich, blind in die weite Welt hineinliefen. Aber wohin kamen denn die Pfälzer, die zu Schiff gegangen waren?“

„Diese wurden theils in New-York, theils in Nord-Carolina ausgeschifft. Wie viel sie, die armen, aus der Heimath vertriebenen, in der Fremde schutzlosen Deutschen unterwegs zu leiden hatten, davon ist damals wohl kein Laut über das Meer herübergedrungen, aber vom Vater zum Sohn vererbte sich die Klage und schürt noch heute in Kindeskindern den Haß gegen die Engländer. Hört weiter! Auch am Lande hatte ihr Elend noch lange kein Ende. Zwar erhielten sie große Strecken Bodens angewiesen, aber weiter nichts; alle übrigen Versprechungen waren Lug und Trug; Nichts war für sie vorbereitet, kein Vieh, kein Geschirr, kein Geräthe – da standen sie mit ihren hungernden Weibern und Kindern und mit den bloßen Händen auf dem seit der Erschaffung der Welt wüsten Boden und im Urwalde. Alles, was ihnen der Raub von der Heimath bis hierher noch übrig gelassen, mußten sie dran wenden, um nur das Unentbehrlichste um die höchsten Preise herbeizuschaffen, und dann ging’s an eine Riesenarbeit. Ihr wißt, was ein Pfälzer schaffen kann. Aber dem Gouverneur ging’s dennoch nicht geschwind genug. Die Nachrichten von den reichen Früchten des deutschen Fleißes in Pennsylvanien ließen ihn nicht schlafen; er konnte die Zeit nicht erwarten, um dieselben Früchte zu ernten, natürlich für sich, und darum drangsalirte er die Pfälzer auf’s Aeußerste, bis ihnen die Geduld riß, und zwar die deutsche Geduld, und das will was heißen! Hundertundfünfzig Familien verließen plötzlich das Land, das sie mit unsäglicher Arbeit bereits fruchttragend gemacht hatten, sie unterwarfen sich all den Gefahren und Mühseligkeiten eines neuen Wanderzugs über hundert Meilen weit in’s Innere hinein, um bei den heidnischen Wilden die friedliche Stätte zu finden, die sie bei den christlichen Engländern vergeblich gesucht hatten. Sie kauften dem freien Indianerstamm der Irokesen ein großes Gebiet ab und begannen die Ausrodungsarbeit von Neuem. Zehn Jahre lang lebten sie so, mit den braven Indianern in Frieden und Eintracht und gediehen und hatten schon den größten Theil ihrer Ländereien in ein fruchtbares, lachendes Gefilde verwandelt, als die englische Habsucht abermals über sie herfiel. Derselbe Gouverneur von New-York ersah jetzt die Zeit seiner Rache und seiner Ernte. Er behauptete, das Land der Pfälzer sei englisches Eigenthum, sie hätten kein Recht gehabt, dasselbe anzubauen; er habe es anderweit verkauft, die deutschen Colonistcn hätten auch keinen Anspruch auf Entschädigung für etwaige Culturkosten, sondern wer den Boden nicht sofort räumen wolle, müsse dafür sorgen, daß er ihn von den neuen gesetzlichen Eigenthümern in Pacht erhalte. Himmelschreiend war das Unrecht, das den Pfälzern geschah, aber wo war der Richter, der ihnen Recht sprach? Und der Himmel ist so hoch! – Die armen Deutschen hatten keine Hoffnung, mit Gewalt gegen die Gewalt zu siegen; doch ehe sie vor ihr sich beugten, sagten sie lieber zum dritten Male der Frucht ihres Schweißes Ade und zogen mit aller fahrbaren Habe zur ersten amerikanischen Heimathstätte der Pfälzer, nach Pennsylvanien. Dort leben ihre Nachkommen noch heute in den Thälern am Susquehannah, soweit der jetzige Bürgerkrieg sie noch nicht aufgefressen hat.“

Die Thränen der Frauen waren längst in Fluß, sie blickten zagend zu den Männern hin, deren Augen dafür um so zürnender sich auf den Sprecher wandten. Es war ein derber Ausbruch dieses Unwillens zu befürchten, dem jedoch der Alte vorbeugte, der auch das Schicksal der in Carolina gelandeten Pfälzer zu wissen verlangte.

„Diesen,“ fuhr mein Freund fort, „ist das traurigste Loos gefallen. In Carolina stand es damals um Ackerbau und Gewerbe noch schlimmer, als in New-York. Der größte Theil des Bodens gehörte großen Grundbesitzern, die unsere Pfälzer wie Bettler, wie eine Last empfingen. Viele gingen an der Hartherzigkeit dieser Menschen aus Noth zu Grunde. Dem Rest wies man endlich öde Landstrecken an den äußersten Grenzen der Provinz an, wo Leben und Gut keinen Tag vor den Angriffen der Indianer sicher waren. Und als die Pfälzer dennoch den Wald rodeten, Blockhäuser bauten und die Saat bestellten, drangen die Wilden mit Uebermacht heran und erschlugen Alles, was da lebte. Nur wenige Frauen und Kinder sollen sie gefangen mit sich fortgeschleppt haben. Von diesen Pfälzern ist keine Spur mehr dort zu finden.“

Hier hielten die Frauen das laute Schluchzen, aber auch die jüngeren Männer den lauten Zorn nicht mehr zurück. „Sind Sie deshalb vom ersten Platz zu uns daher gekommen,“ rief einer der jungen Männer den Künstler an, „um uns durch Ihre Märchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_086.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)