Seite:Die Gartenlaube (1864) 121.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Noch ein freudiges „Hurrah“ der alten Garnison, und die Batterie zog unter schmetterndem Trompetenklang, in sichtbar gehobener Haltung, der unbestimmten Zukunft entgegen.

Es war ein prächtiger Herbsttag. Eine elastische, duftige Atmosphäre von bewunderungswürdiger Durchsichtigkeit zeigte den empfänglichen Augen in wechselnden Bildern die Schönheit einer überreichen Natur. Die Obstbäume waren mit goldenen Früchten beladen, und die Sträucher trugen Beeren, zuweilen farbiger als die Blüthen des Frühlings. Die Waldbäume hatten theilweise bereits das elegische Kleid des Herbstes angelegt, das so wunderbar anregt und in seiner Vielfarbigkeit selbst die grüne Pracht, die duftige Herrlichkeit des jungen Frühlings vergessen läßt. Reiche Triften, auf denen zahlreiche Heerden gemüthlich umherlungerten, faßten die Straße ein, und darüber hinaus leuchteten die zierlichen Land- und Wirthschaftshäuser aus einem Walde von Fruchtbäumen hervor, um welche sich Blumenstücke, geschmückt mit der sinnigen Flora der Jahreszeit, als glänzende Einfassung wanden.

Diese lachende und ansprechende Scenerie weckte in der Batterie jene laute Fröhlichkeit, die das glückliche Erbtheil des leicht angeregten Soldaten ist. Leichten Herzens, mit fröhlichem Gesang marschirte die Batterie der dunklen Zukunft entgegen, die mit Blut und Tod in jeder Stunde über sie hereinbrechen konnte.

„Wie ziehen wir so fröhlich mit Sang und Klang hinaus!“ schallte es aus hundert Kehlen weit über die Heerstraße hinaus, und manches andere Lied, das in gut und schlecht gebauten Versen die Artillerie verherrlichte, reihte sich an diesen Gesang und hob die Leute leicht über die Mühseligkeit des Marsches hinweg.

Die Batterie mochte wohl schon den dritten Theil ihres Weges zurückgelegt haben, als plötzlich das laute Commandowort des Capitains, der an der Spitze des langen Zuges ritt, ein so eben neu improvisirtes Gesangstück unterbrach.

„An die Geschütze!“

„Richt’t Euch!“ ertönte allgemein verständlich seine sonore Stimme.

„Der Brigadier!“ lief es flüsternd von Geschütz zu Geschütz die weitgedehnte Marschkolonne hinunter, und wahrhaftig, auf der Höhe der Chaussee, einige hundert Schritte vor der Batterie, tauchte unerwartet der wohlbekannte Federhut des gefürchteten Obersten v. Tuchsen auf.

Diese Begegnung war gerade keine angenehme. Der Alte hatte seine absonderliche Laune, und es ließ sich wohl annehmen, daß er gerade jetzt, wo die Batterie ins Feld rücken sollten, deren Ausrüstung mit der peinlichsten Genauigkeit inspiciren werde. Das aber konnte sehr unangenehm werden, denn die Fahrzeuge und selbst die Geschützrohre enthielten gewiß so manchen Gegenstand, der nach der Dienstvorschrift nicht zu der Bekleidung der Leute und Pferde gehörte. Und gerade solche Dinge der soldatischen Eitelkeit reizten den Alten sehr leicht zum heftigsten Zorn.

Aber wie kam es denn, daß er gerade an diesem Tage die Marschrichtung der Batterie kreuzte?

Das lag so in seiner Art. Der alte Herr liebte die Ueberraschungen, und da er die Stunde kannte, in welcher die Batterie aus der Garnison abmarschiren mußte, so hatte er beschlossen, ihr von dem Hauptquartier aus, welches sich bereits auf der linken Seite des Rheins befand, eine letzte Visite zu machen. Auf einen raschen Ritt von einigen Stunden kam es ihm bei solcher Gelegenheit nicht an.

Sein rasches Pferd brachte ihn bald vor die Tête der Batterie. Eine Ordonnanz machte sein ganzes Gefolge aus. Der Hauptmann setzte sein Pferd in einen kurzen Galopp, um ihm entgegenzusprengen und die bezügliche dienstliche Meldung zu machen, Der Oberst empfing den Officier, der bei ihm in hoher Gunst stand, sehr freundlich; er zügelte sofort sein Pferd, reichte ihm die Hand, während sein Auge aber schon musternd nach der Batterie hinüberzuckte, die in strammer Haltung seiner Aufstellung entgegenmarschirte.

„Aber Herr Lieutenant v. W.,“ rief er dem Officier zu, der vor dem ersten Zuge auf einem Pferde ritt, welches die üble Eigenschaft hatte, keinen ordentlichen Schritt zu gehen, „können Sie denn die ver– Schindmähre nicht in die geeignete Gangart bringen? Das Thier haspelt und spartelt ja mit den Beinen wie ein Tanzmeister, der die Gicht hat. Himmel-Donnerwetter, es ist ja eine unerträgliche Tortur, so etwas ansehen zu müssen! Die Schenkel hinter den Gurt, Herr Lieutenant, und den alten Ziegenbock heruntergesetzt, als wenn Sie ihm das Kreuz zerbrechen wollten.“

Und sich an den Hauptmann wendend, der an seiner linken Seite hielt, setzte er laut lachend hinzu: „Dazu gehört freilich eine Kraft, die man heutzutage einer lieutenantlichen Wade nicht mehr zutrauen darf. Der ungeheuerliche Wust von Gelehrsamkeit, den die Herren in ihren Köpfen aufspeichern, und ihre leidigen nächtlichen Feldzüge in einem andern Dienste verzehren zuletzt auch das letzte Fünkchen von Lebenskraft, so daß ihnen nichts übrigbleibt, als ein unpraktischer Kopf und ein ohnmächtiger Körper, sorgfältig eingehüllt in eine wohl wattirte Uniform.“

Die Batterie zog im Schritt an der Aufstellung des Brigadiers vorüber. Derselbe bemerkte dabei jeden Riemen, der falsch lag, und fand auch die geringsten Fehler auf, welche hinsichtlich der Beschirrung der Pferde oder in der Ausrüstung der Geschütze und Fahrzeuge gemacht waren. Dabei regnete es so manchen „Millionenhund“ und andere soldatische Kraftausdrücke auf die Leute herab, und selbst die gewichtige Faust des Alten schwebte einmal wie ein riesiger Donnerkeil über dem Kopfe eines Bombardiers, der sich durch ein maladrettes Aeußere und schlechten Sitz sein Mißfallen zugezogen hatte.

Endlich war das letzte Fahrzeug vorüber, und das Schlimmste schien damit überstanden zu sein. Da erfolgte das Commando: „Batterie, – Halt!“

„ Abgesessen! – Rührt Euch!“

„Hab’s mir wohl gedacht!“ brummte ein alter Feuerwerker, der die erste Haubitze führte, vor sich hin. „Na, nu geht der eigentliche Katzentanz erst los, und der kann von Glück sagen, der heut mit heiler Haut davon kommt. Den Alten reitet wieder einmal der leibhaftige Gottseibeiuns.“

Der alte Soldat, der bereits einige zwanzig Dienstjahre zählte, kannte seinen Chef. Er wußte, daß derselbe jetzt eine eingehende Besichtigung der Batterie vornehmen würde, die freilich so Manches an das Tageslicht fördern konnte, was gerade nicht für das Auge des Obersten bestimmt war.

Und so kam es auch. Die Besichtigung fand zugweise statt.

„Der erste Zug – Stillgestanden!“ lautete das Commando.

Der Brigadier empfing die Meldung des Zugführers. Der Lieutenant v. W., der den ersten Zug der Batterie, commandirte, war ein Mann von vieler Gelehrsamkeit, sein Kopf war aber so überfüllt von Wissensschätzen aller Art, daß darin kein Raum mehr vorhanden war, um noch die Vorschriften des Dienst-Reglements aufzunehmen. Es war ein durchaus unpraktischer Officier, der beim Exerciren nicht selten vom Pferde fiel und dem die Ausführung der einfachsten Evolution mehr Kopfzerbrechen verursachte, als die Lösung der schwierigsten mathematischen Probleme.

Dies setzte ihn in den Augen des Obersten tief herunter, wozu noch kam, daß die geschniegelte und gebügelte Aeußerlichkeit des stets nach Moschus und Patschuli duftenden kleinen und schmächtigen Officiers dem alten, rauhen Feldsoldaten, der das Gezierte und Gemachte bis in den Tod haßte, entsetzlich zuwider war und ihn mit Verachtung und Widerwillen erfüllte.

Während der Meldung zuckten die grauen Augen des Alten musternd über die kleine Gestalt des Lieutenants. Plötzlich wandte er sich an den Capitain, und seine Stimme nahm einen hämischen Klang an, während es leise um seinen Mund fast wie Bosheit zuckte, als er sagte: „Was ist denn das für ein penetranter Geruch, der plötzlich in meine Nase steigt? Das riecht ja, als wenn die Batterie ein großer Käsekarren wäre. Das ist ja nicht auszuhalten. In dieser gräulichen Atmosphäre müssen Menschen und Pferde zuletzt den Dummkoller kriegen.“

Dem Lieutenant, der wohl wußte, daß mit dieser herben Auslassung seine bekannte Leidenschaft für starkduftende Parfüms gegeißelt werden sollte, stieg ein dunkles Roth in die Wangen, und es wollte ihm kaum gelingen, eine plötzliche innere Aufwallung von Zorn zu unterdrücken. Er schien nicht übel Lust zu haben, irgend eine rasche Entgegnung zu wagen, der Oberst hatte sich aber schon von ihm weggewendet, und indem er auf den Führer der ersten Haubitze, den alten Feuerwerker, zutrat, klärte sich sein finsteres Aussehen zu einem launigen Lächeln voll sichtbarer Befriedigung auf.

„Guten Morgen, mein alter Camerad,“ rief er, indem er dem Feuerwerker die Hand reichte, der hochaufgerichtet, geschmückt mit dem eisernen Kreuz, in soldatischer Haltung an dem Kopfe seines

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_121.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)