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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

innerhalb fortzugehen, indem er hier die größte Breite des Kopfes abschneidet. Gleich hinter Thätigkeitssinn, von Kampfsinn bis Kindesliebe, läuft die Bleistiftlinie mit unserem Umrisse zusammen, da der ganze Hinterkopf ungefähr die Eigestalt hat.

Wir haben auf diese Weise erkannt, daß Schlußvermögen, Idealität und Thätigkeitssinn starke, Erwerbssinn ein schwacher Zug im Charakter des Hrn. A. ist. Diese Urtheile sind schon darum, weil sie so leicht zu finden sind, untrüglich, und wir können gleich hier unser keckes phrenologisches Wort aussprechen, daß, wenn ein einziges dieser Urtheile sich als irrig erwiese, damit die ganze Phrenologie (als Organenlehre) widerlegt wäre. Vorausgesetzt wird hierbei, wie sich versteht, daß das Gehirn des Hrn. A. ein gesundes ist, d. h. daß hier weder wirkliche Geisteskrankheit (Irrsinn), noch jene geistige Kränklichkeit vorliegt, welche z. B. mit einem zerrütteten Nervensystem, oder mit übermäßig vorwaltendem phlegmatischen Temperament verbunden zu sein pflegt. – Die gefundenen Urtheile bedürfen einer kurzen Erläuterung.

Die Stirne unseres Umrisses ist die breiteste von allen. Und das Vordergehirn ist nicht blos breit, sondern auch (vom Ohr oder von der Mitte des Kopfes an gerechnet) lang, so daß die Breite bei dieser Länge eine um so größere Bedeutung hat. Vor allem ist Schlußvermögen, die Gabe der Berechnung von Ursache und Wirkung, der überlegende praktische Verstand für ein folgerichtiges Handeln ein starker Zug des Hrn. A. Ebenso stark ist der Sinn für Ideales oder Schönes. Beide Züge sind Gegensätze, sie beschränken sich daher und schaffen die nöthige Harmonie. Hr. A. ist Verstandesmensch, aber nicht trockener Verstandesmensch, er ist Mann der Phantasie, doch nicht Enthusiast. Wenn der Kopfumriß nicht in so kleinem Maßstabe gegeben wäre, so würde ich wahrscheinlich auch den Sinn für Scherz (zusammen mit starker Denkkraft zugleich Talent des Witzes) als stark bezeichnen können. Durch die starke Fülle des Kopfes an der breitesten Stelle (über dem Gehörgang) ist Thätigkeitssinn als ein starker Zug bezeichnet, also die Kraft und die Fähigkeit, sehr thätig sein, aber eben damit zugleich die Kraft und die Fähigkeit, auflodern, heftig werden zu können.

Gegen die genannten Sinne steht Erwerbssinn weit zurück. Hr. A. ist das Gegentheil jener Geschäftsmänner, deren ganzer Sinn mit Ausschluß aller andern Geistesthätigkeit auf Erwerb gerichtet ist. Ist er Kaufmann, so fühlt er sich in seinem Berufe nicht glücklich und sucht und findet neben demselben andersartige Geistesbeschäftigungen. Den praktischen Verstand, ein guter Kaufmann zu sein, richtig zu speculiren, hätte Hr. A. (durch das Schlußvermögen); nur die Verwendung dieses Verstandes im bloßen Dienste des Erwerbes wäre nicht seine Sache.

Vergleichungsvermögen, welches bei Hrn. A. schon durch die Länge des Vordergehirns als ziemlich stark oder stark erscheint, haben wir etwas schwächer als Schlußvermögen gefunden. Aber so geringe Unterschiede berechtigen uns zu keinem phrenologischen Urtheil.

(2. B.)

Bei dem Umrisse 2. wird unsere Bleistiftlinie die Spitze in der Mitte der Stirne (bei Vergleichungsvermögen) abschneiden, dann (bei Schlußvermögen und Idealität) ein wenig über den Umriß hinausreichen, weiter an der vordern Hälfte des Seitenkopfes (bei Erwerbssinn und Verheimlichungssinn) ebensoviel von dem Umriß abschneiden, als sie an der hinteren Hälfte (bei Vorsicht) hinzusetzt. Von dem Organ der Vorsicht habe ich oben bei dem Kopfe 1. nicht gesprochen. Unsere Umrißlinie kann außer den dort genannten zehn Organen noch ein elftes, Vorsicht, berühren, zwischen Thätigkeitssinn und Kampfsinn, aber über diesen beiden, so daß die drei Organe ein Dreieck bilden, mit der Spitze (Vorsicht) nach oben. Ist die Umrißlinie etwas tiefer genommen, so berührt sie mehr Thätigkeitssinn und Kampfsinn, etwas höher, mehr Vorsicht. Hier scheint mir die Umrißlinie auch Vorsicht zu berühren.

Während bei dem Umrisse 1. Vergleichungsvermögen etwas schwächer erscheint, als Schlußvermögen, so ist bei 2. Vergleichungsvermögen viel stärker, als Schlußvermögen. Ebenso ist Idealität bei 1. viel stärker, als bei 2., wogegen Erwerbssinn, welcher bei 1. schwach ist, bei 2. stark erscheint. Verheimlichungssinn, die Stelle vor Thätigkeitssinn (wo wir uns diesen mit der Ohröffnung ungefähr denken müssen) erscheint bei 2. stark, wogegen die Stelle hinter Thätigkeitssinn (Vorsicht) schwächer ist.

Bei Hrn. B. ist Vergleichungsvermögen, das allgemeine Lerntalent oder die Gabe des Fassens, Begreifens, Urtheilens, weit stärker, als Schlußvermögen, der politische, berechnende, praktische Verstand für’s Handeln. Diese Behauptung ist insofern etwas gewagt, als das schwächere Schlußvermögen von dem starken Verheimlichungssinn, welcher (instinctartige) Klugheit giebt, sehr unterstützt wird, also dadurch stärker erscheinen könnte, als es ist. Auch könnte Schlußvermögen noch durch einen starken Gegenstandssinn unterstützt werden, durch welchen im Verein mit starkem Vergleichungsvermögen ein objectiver, klarer Blick in die Dinge entsteht, was die Fähigkeit, folgerichtig zu handeln, bedeutend steigert. Andererseits ist Schlußvermögen hier nur wenig von der schwächeren Vorsicht unterstützt. Doch wird Vorsicht unterstützt von Verheimlichungssinn und oft damit verwechselt. Hr. B. wird in seinen Handlungen vorsichtig sein, wo die Vorsicht im Schweigen besteht; wo aber Verschwiegenheit oder Offenheit nicht in Frage kommt, wird die Vorsicht oft nicht stark genug sein. Dies letztere Urtheil würde aber nicht gelten, im Falle Selbstgefühl sehr schwach wäre, weil dadurch die Vorsicht gesteigert würde. (Wie viele Wenn und Aber! Diese drängen sich uns nicht blos darum auf, weil wir nur ein Charakterbruchstück vor uns haben, sondern Hr. B. gehört wohl überhaupt zu den etwas schwer zu verstehenden Menschen.) Ist Hr. B. (von Natur) mehr Gelehrter oder mehr praktischer Geschäftsmann? Er kann Beides sein. Als Gelehrter ist er kein Ideologe, kein Utopist, sondern praktisch, lebensklug, auf Erwerb bedacht (vielleicht nicht allzu sparsam). Als praktischer Geschäftsmann kann er sich leicht durch Kenntnisse auszeichnen.

(3. C.)

Die Bleistiftlinie läßt uns hier einen merklichen Unterschied der beiden Linien hauptsächlich bei dem hier schwachen Erwerbssinn erkennen.

3. gleicht mehr 1. als 2., nur daß bei 1. Schlußvermögen und Idealität stärker sind. Auch 3. ist jedenfalls (von Natur) nicht Geschäftsmann, sondern weit mehr Mann des Wissens. Vergleichungsvermögen ist hier nicht nur stärker, als Schlußvermögen und Erwerbssinn, sondern es ist auch überhaupt (im Vergleich zum ganzen Kopf) stark, weil das Vordergehirn (von der muthmaßlichen Ohrstelle an gemessen) entschieden lang ist. Um kurz 3. mit 1. zu vergleichen, würden wir sagen, daß, während Hr. A. das Talent oder den berechnenden Verstand hätte, Geschäftsmann zu sein, aber keine Neigung für diesen Beruf, Hr. C. weder großes Talent, noch Neigung für denselben hat.

(4. D.)

Die Bleistiftlinie hat hier von der Breite des Mittelkopfes einen Theil abzuschneiden, um damit den Vorderkopf, die Stirn breiter und voller zu machen.

Die mangelnde Kenntniß des Gehörgangs macht mir diesen Kopf schwer verständlich und mein Urtheil sehr unsicher. Nehme ich den Gehörgang da an, wo er mir am wahrscheinlichsten ist, ungefähr in der Mitte des Kopfes, so wäre die Stirn sehr klein (sehr kurz bei der Schmalheit) gegen den Hinterkopf, die Denkkräfte und Idealität viel schwächer, als Thätigkeitssinn und Kampfsinn. Herr D. würde dann weniger ein Mann der ruhigen Einsicht und Ueberlegung sein, der gerne Gründe anhört und sich ihnen fügt, sondern mehr ein Mann des raschen, etwas barschen Handelns, geneigt zu zürnen und zu streiten. Er würde dadurch im Umgang nicht immer rücksichtsvoll genug, nicht immer liebenswürdig erscheinen, man würde oft mehr Geduld mit ihm haben müssen, als er geneigt wäre, mit Andern zu haben. Dabei würde er wahrscheinlich sehr thätig in seinem Berufe sein, sehr gut mit seinen Denkkräften arbeiten und, wenn das Gehirn an sich groß ist, Tüchtiges leisten. Was ich eben von der auflodernden Kraft oder der bisweilen mangelhaften Liebenswürdigkeit des Hrn. D. gesagt, könnte als zu gewagt erscheinen, weil ich ja von Wohlwollen, Verehrung etc. nichts weiß. In der That könnte Herr D. sehr gut und wohlwollend, sehr ehrerbietig sein; aber dennoch bliebe ich bei meinem Urtheil stehen, daß abwechselnd mit diesen Zügen auch die von mir genannten bei ihm hervortreten würden. Der Mensch ist ja aus Widersprüchen zusammengesetzt. Neu ist nur, daß diese bisher unerklärten Widersprüche durch unsere Wissenschaft ihre Erklärung finden.

(5. E.)

Abgesehen von der Unregelmäßigkeit an der Stirn, über welche ich bei der starken Verkleinerung keine Vermuthung zu fassen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_124.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)