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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„O bitte, Herr Maçon, ich sprach nicht von meinem Hause, sondern von mir als Menschen und Freund Ihres Vaters,“ gab der Geschäftsherr mit einem so ruhigen Lächeln zurück, daß wohl nur Gruber’s aufmerksamer Blick die leichte zuckende Bewegung zwischen den Augen des Sprechenden wahrnahm; „ich hatte Sie in meiner Familie bereits als einen Gast angekündigt, an welchen mich ältere Beziehungen knüpfen, und so wollte ich mich auch jetzt nur über einen mir noch unklaren Umstand unterrichten, damit sodann nichts Fremdes mehr zwischen uns liegt. War nicht der eigentliche Name Ihrer Familie ein deutscher, Herr Maçon?“

„Ich bitte um Entschuldigung,“ war die rasche Erwiderung, „unsere gesammte Familie ist französischen Blutes, und nur mein Vater hatte sich aus bestimmten Gründen, die Ihnen kaum unbekannt sein werden, einen Paß auf den deutschen Namen „Maurer“ zu verschaffen gewußt, als er hier seinen Wohnsitz nahm und Ihre Bekanntschaft machte!“

Hellmuth nickte, als seien erst jetzt wieder bestimmte Erinnerungen in seinem Gedächtnisse geweckt worden. „Und wo lebt jetzt Ihr Vater? wie geht es ihm?“ fragte er, mit dem Ausdrucke reger Theilnahme. „Es ist seltsam, daß man von einem so nahe Verbundenen in länger als zwanzig Jahren nicht eine einzige Nachricht hat erhalten können!“

Das Auge des Gastes sah einen Moment forschend in die Züge des Hausherrn, als vermöge er diese unwandelbare Ruhe derselben nicht zu verstehen. „Es ist ziemlich einfach, weshalb mein Vater nichts wieder von sich hören lassen konnte,“ entgegnete er nach einer kurzen Pause, „indessen –“ setzte er mit einem raschen Blicke nach dem Mädchen, welches in sichtlichem Interesse dem Gespräche folgte, hinzu, „finden wir wohl eine gelegenere Zeit für Mittheilungen dieser Art. Jetzt ist mein Vater todt. Ich bin jedoch von allen seinen Beziehungen zu Ihrem Hause vollständig unterrichtet!“

„Todt also! darauf mußte ich nach dieser langen Zeit allerdings vorbereitet sein,“ nickte Hellmuth, „von dem Letzteren aber war ich überzeugt, schon als ich Ihre Ankunft erfuhr, und wie gesagt – doch wir werden uns ja öfter sehen,“ unterbrach er sich, als sich in diesem Augenblicke die Flügelthüren zu dem anstoßenden Zimmer öffneten, und streckte dem Gaste lebhaft die Hand entgegen, „vorläufig bitte ich Sie nur, meine Familie und mein Haus völlig als die Ihren zu betrachten – und so wollen Sie jetzt mit unserem Mahle vorlieb nehmen!“

Der junge Mann hatte, dem Hausherrn nach, mit einem sich rasch aufklärenden Gesichte seinen Sitz verlassen, als sei die Last eines unzeitigen Gespräches von ihm genommen worden; kaum aber deutete Jener nach dem offenen Speisezimmer, als er mit den Worten „Sie erlauben mir doch, Herr Hellmuth?“ der sich erhebenden Eugenie zuschritt und dieser fast mit der Sicherheit eines längst Bekannten den Arm bot. „Ihr Herr Vater befiehlt, daß ich mich zur Familie rechnen soll, und Sie haben ja seinen Wünschen schon im Voraus zugestimmt!“ sagte er, seine zwanglose Weise entschuldigend und das Mädchen davonführend, und Gruber hätte ihn um der Sicherheit und Leichtigkeit seines Auftretens willen hassen können. Er fühlte, daß Jener spielend zu erobern vermöge, was seinem eigenen Wesen trotz der günstigsten Verhältnisse noch unerreichbar geblieben.

Am obern Ende des ovalen reich besetzten Tisches im Speisezimmer stand Anna, die aufwartende Dienerin hinter sich, in Erwartung der Eintretenden, und ihre feinen Züge voll durchsichtiger Blässe schienen beim Erblicken des Gastes noch bleicher zu werden.

„Erlauben Sie mir, Sie auch meiner zweiten Tochter Anna zuzuführen!“ sagte Hellmuth, Maçon’s Arm leicht berührend, und über das Gesicht des Aufsehenden flammte es beim Erblicken der Dastehenden wie ein Heller Blitz. Mit einer raschen höflichen Verbeugung löste er sich von seiner Begleiterin und folgte dem Hausherrn.

„Herr Maçon, Anna, dessen Anwesenheit wir erwarteten!“ sagte der Vater leicht, sich nach dem zögernd eintretenden Gruber wendend; der Gast aber sah flüchtig lächelnd, wie in einer Regung von Humor, in die großen, dunkelblauen Augen vor sich und fragte dann mit einer unwillkürlich gedämpften Stimme: „Muß ich mich erst noch specieller vorstellen, Fräulein Hellmuth?“

„Ich wüßte nicht, Herr Maçon, daß der Vater etwas darin übersehen hätte!“ erwiderte sie im Tone der Zurückweisung. Einen Augenblick schwieg er halb betroffen, dann verbeugte er sich respectvoll und sagte: „Sie haben ganz über mich zu befehlen, Fräulein!“

„Nehmen Sie nur gleich hier Ihren Platz!“ rief Hellmuth, als der junge Mann zurücktreten wollte, und wies diesem den Stuhl zwischen Eugenie’s Sitze und dem, welchen Anna einzunehmen im Begriff stand, an. Am untern Ende des Tisches ließ sich Gruber soeben nieder, während Hellmuth seinen Platz dem Gaste gegenüber wählte und damit die Runde schloß.

„Ich gestehe, daß ein deutscher Familienkreis etwas wunderbar Ansprechendes hat für einen unstäten Menschen, wie ich es in der letzten Zeit gewesen bin,“ begann Maçon, sich niederlassend, „wie ein Hafen zum Ausruhen, dessen Bedürfniß man erst beim Erblicken recht lebhaft fühlt.“

„Gut, so laufen Sie irgendwo ein, oder schaffen Sie sich selbst Ihren ruhigen Platz,“ versetzte Hellmuth mit einem eigenthümlichen Lächeln, „wer wehrt’s Ihnen denn?“

„Sie reden wohl so,“ lachte der Gast, „zum Einlaufen aber fragt sich’s, ob nicht jede leere Stelle schon versagt ist – meinen Sie nicht auch so, Fräulein?“ wandte er sich in einem Tone, in dem es fast wie eine bestimmte Beziehung klang, an Eugenie, „und bedarf es zum Selbstschaffen nicht auch noch anderer williger Elemente?“

Gruber hatte bei dem ersten Worte des Sprechenden den Kopf beobachtend nach Eugenie’s Gesichte gehoben, hatte ihren Augen begegnet, die auf ihm geruht zu haben schienen, sich aber jetzt rasch nach dem Gaste richteten, als solle damit jeder Deutung ihres Blicks vorgebeugt werden; der junge Kaufmann sah, wie das Mädchen unter der plötzlichen Frage Maçon’s erröthete und sichtlich einer leichten Verwirrung sich erwehren mußte, und mit einem herben Zuge um seinen Mund, der von einem gewonnenen Entschlusse zu reden schien, blickte er auf seinen Teller nieder.

„Ich denke, Sie stellen sich die Schwierigkeiten größer vor, als sie existiren,“ sagte Hellmuth, seine Serviette ausbreitend, „Sie kommen freilich von Ihrer Insel, wo schwarzes Volk und Gewürze die einzigen Hauptsachen sind, und deutsches Leben ist Ihnen fremd geworden!“

„Es mag so sein, aber lassen Sie nur meiner Insel, trotz des schwarzen Volkes, ihre Ehre,“ war die Erwiderung, „wir liefern zu den nüchternen Erzeugnissen kälterer Länder die pikante Würze, und das Pikante ist doch die eigentliche Seele im Leben. Geben Sie mir nicht Recht, Fräulein?“ wandte er sich plötzlich an Anna, welche soeben die Vertheilung der Suppe beendet hatte.

„Ich liebe diese fremden Gewürze, die sich schon in der kleinsten Quantität so zudringlich machen und oft den reinen Geschmack ganz verdrängen, nicht sonderlich,“ antwortete die Angeredete trocken, „mein Geschmack ist ein ehrliches Salz, in den Speisen, wie im Leben!“

„Haben Sie aber in diesem Augenblicke nicht gesalzen und gewürzt, Fräulein?“ fragte Maçon mit durchklingendem Humor.

„Ich denke, der Geschmack unseres deutschen Salzes ist Ihnen nur fremd!“ versetzte sie ruhig.

„Das wird es sein!“ neigte der Fremde lächelnd den Kopf, sich seinem Teller zuwendend.

Zwischen Hellmuth’s Augen stand sichtlich eine Frage in Bezug auf diesen kurzen eigenthümlichen Wortaustausch, der kaum einer ersten Begegnung entsprach, ohne daß er ihr doch eine Fassung geben zu können schien. Er griff endlich nach einer der Weinflaschen und begann die Gläser zu füllen. „Ueber Geschmackssachen läßt sich nicht streiten, Herr Maçon,“ sagte er, „und unsere Anna hat darin immer ihre besondere Richtung verfolgt; lassen Sie uns darauf anstoßen, daß Sie sich trotz alles verschiedenen Geschmacks bald wieder völlig bei uns acclimatisiren!“

Der Gast hatte sein Glas bereitwillig mit dem des Hausherrn zusammenklingen lassen und sich dann nach seiner Nachbarin Eugenie gebogen. „Und Sie stimmen ebenfalls dem Toaste zu, Fräulein?“ fragte er.

In diesem Momente erhob sich Gruber rasch. „Ich glaube, Willmann verlangt nach mir, ich werde schnell sehen, was etwa nöthig ist!“ sagte er und verließ mit einer kurzen Verbeugung das Zimmer.

Hellmuth horchte auf, warf dann aber ein „Keinesfalls etwas von Bedeutung!“ hin. Indessen schien mit dem letzten Trinkspruche fast Alles gesagt worden zu sein, was einen gemeinsamen Gesprächsgegenstand hätte abgeben können; Hellmuth war zwar augenscheinlich bemüht, durch einzelne Bemerkungen und Fragen eine eingehende Aeußerung des Gastes herauszufordern, und dieser ließ auch nicht auf sich warten, in lebendiger Weise seine neuen Eindrücke in Deutschland

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_130.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)