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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)


„So, also dies leichte Häubchen,“ prustete sie heraus, „das ich mir für mein sauer erworbenes Geld angeschafft habe, um bei dem Einzuge in Paris anständig erscheinen zu können, dürfen die sechs Pferde, die an das leichte Kanon gespannt sind, nicht einmal mitziehen? Ne jo nich! Dat wird den lieben Thierchens zu schwer, danach könnten sie dämpfig werden, das muß sie herunterbringen, wenn auch für die gefräßigen Beester von den armen Jungens gestohlen wird, daß kein Halm im Felde und kein Korn in der Scheune vor ihren Griffen mehr sicher ist.“

„Halt sie den Rand, alte Meerkatze,“ unterbrach sie der Oberst mit donnernder Stimme, „oder ich lasse ihr das Schandmaul mit einem Borstwische zustopfen. Geb’ sie die Dormeuse heraus, die muß in das Geleise zu den andern Sachen der Contrebande. Ich gestatte keine Ausnahme.“

„Was, — wie nennen Sie meine ehrsame Haube?“ krähte die erboste Marketenderin dem Alten entgegen. „Ne, hören Sie mal, wenn ich sone dicken Epuleppen auf den Schultern und sonen gewaltigen Federhut auf dem Kopp drüge, so würde ich mich schämen, sonen dummen Ausdruck zu brauchen. Ne, das paßt sich ganz und gar nicht für einen Brigadier von die schwere Artollerie.“ Und während sie die linke Hand auf die Hüfte stemmte und mit der rechten die Haube triumphirend um ihr Haupt schwang, setzte sie hinzu: „Also eine alte Meerkatze bin ich, na nu? Aber wenn ich bei Wind und Wetter, im Sturm und Regen der Batterie nachkeuche und der Herr Oberst endlich selbst bei meiner Cognacflasche Erquickung sucht, ja dann bin ich die scharmante, liebe Mamsell Pretiosa, die den Hosenknopporden haben soll und die in solchem Augenblicke die liebenswürdigste Person in der ganzen Welt ist. O, wenn ich man reden wollte, ich könnte von einer Zeit erzählen, wo manches stolze Auge gar wunderlich unter dem Federhute auf die Meerkatze herabblickte und …“

„Um Gotteswillen, keine Enthüllungen aus Ihrer Rosenzeit, Mamsell Pretiosa,“ unterbrach sie der Alte, „dabei könnte uns unwohl werden und ein moralischer Katzenjammer überkommen. Geben Sie die Haube heraus, und wir bleiben gute Freunde.“

„Nun und nimmermehr, Herr Oberst!“ entgegnete die Marketenderin mit großer Entschiedenheit. „Meine Vierthalerhaube unter die Räder! Das wäre noch besser! Ich trage glücklicherweise nicht die Zwangsjacke Ihrer Brigade, Sie haben mir eigentlich gar nichts zu befehlen, und lieber gehe ich mang die Husaren, so lieb mir auch meine schwarzen Jungens sind; ich darf da doch wenigstens auf eine anständige Behandlung rechnen.“

„Was läßt sich mit der alten Hexe anfangen?“ fragte der Oberst den Capitain, der mit einem schadenfrohen Lächeln dem Auftritte beigewohnt hatte. „Die alte Meerkatze ist toll genug, ihre Drohung wahr zu machen, und verlieren möchte ich sie nicht gern; in Zeiten der Noth ist es ein wahrer Edelstein für die Batterie.“

Nach einem kurzen Nachsinnen wandte er sich an die Marketenderin, und seinem Gesichte den freundlichsten Ausdruck gebend, sagte er: „Wir wollen Frieden schließen, Mamsell Pretiosa. Behalten Sie Ihre Haube und holen Sie Ihren Korb heran, ich habe verteufelten Durst.“

Während die Marketenderin mit strahlendem Gesicht wie eine Schlange davonglitt, um den Befehl des Alten möglichst schnell in Ausführung zu bringen, kehrte sich dieser dem Capitain zu und ein wunderlicher Ausdruck, aus Befriedigung und Humor gemischt, ging durch seine Züge, als er sagte: „Ich darf nicht ungerecht sein, Hauptmann v. R., wenn die Paradehaube der Mamsell Pretiosa verschont bleibt, kann ich die übrigen Gegenstände der Contrebande unmöglich der Zerstörung preisgeben. Lassen Sie dieselben durch den Quartiermeister aufnehmen und in dem nächsten Quartier an die Eigenthümer zurückgeben. Ich bitte Sie aber, dafür Sorge zu tragen, daß die Leute dergleichen nicht weiter mitschleppen, denn in einem Feldzuge, wie er uns doch hoffentlich bevorsteht, werden solche Dinge äußerst lästig und behindern und geniren den Mann bei jeder Gelegenheit. Es wird sich schon ein Trödeljude finden, der den windbeutligen Millionenhunden die Sachen abkauft; den Groschen, den sie daraus lösen, mögen sie vertrinken oder auf eine andere Weise verjubeln. Ein kleines Vergnügen ist den Leuten zu gönnen, die Zeit der Noth wird früh genug eintreten. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß ich mit Freigebung der Sachen auch die Strafen, welche ich heute dictirte, erlassen habe. Und damit mag diese Angelegenheit vergessen sein.“

Dem Hauptmann die Hand reichend, fügte er hinzu: „Es gereicht mir zur Freude, Ihnen sagen zu können, daß mich die Haltung und Ausrüstung der Batterie in hohem Grade befriedigt hat. Die kleinen Ungehörigkeiten, die ich zu rügen hatte, kommen überall vor und können der guten Meinung, die ich von Ihrer Batterie habe, keinen Abbruch thun. Und nun lassen Sie uns zum Abschiede noch zusammen ein Glas trinken.“

Er reichte die Madeiraflasche, die er bisher beständig unter dem linken Arme getragen hatte, der Marketenderin hin, welche sie schnell entkorkte. Den feurigen Inhalt derselben vertheilte er in fünf große Gläser und bat die Officiere, sich eines solchen zu bemächtigen. Sein Glas hoch emporhebend rief er: „Ich trinke auf das Wohl unseres Kriegsherrn. Seine Majestät der König lebe hoch!“ Während dieser Toast in einem dreimaligen Hurrah der Artilleristen seinen Wiederhall fand, leerte der Oberst sein Glas bis auf den letzten Tropfen. Hierauf griff er salutirend an den Hut und der Batterie gute Quartiere wünschend, bestieg er sein Pferd, sprengte im Galopp davon und war in wenigen Augenblicken den Augen der Artilleristen entschwunden.

Auf den Vorschlag des Fähnrichs wurde die Paradehaube der Marketenderin, weil sie den Erlaß der von dem Brigadier verfügten Strafen veranlaßt hatte, von jetzt ab die „Amnestiemütze“ genannt, und so oft Mamsell Pretiosa ihr würdiges Haupt damit schmückte, wurden der Dame von den Artilleristen diejenigen Ehrenbezeigungen erwiesen, womit die Officiere begrüßt wurden. Sie nahm diese Auszeichnung als ein ihr zustehendes Recht auf, und blieb der Batterie bis an das Ende ihres ereignißreichen Lebens mit unwandelbarer Treue ergeben.




Das Grab eines Verbannten.

Wer jemals aus dem Norden über Bern und Freiburg dem reizenden Vevey, der Perle des Genfer Sees, zutrachtete, bevor sich noch die prachtvolle, Oronbahn mit ihren kühnen Viaducten dem schweizerischen Schienennetze einfügte, der wird sich des alterthümlichen Bergstädtchens noch wohl erinnern, wo der mächtige Koloß des eidgenössischen Postwagens zum letzten Male Rast machte, ehe er in Zickzackwindungen zum Becken des Leman hinabrollte.

Das Oertchen heißt Châtel-St.-Denis. An sich unbedeutend, düster und im Allgemeinen nicht übersauber, hätte es nichts, was den Reisenden fesseln könnte, gäbe es nicht mit seinem alten Schlosse im Westen und den Bergen gen Osten, die sich hinüberziehen in das Saanenthal, das alptriftenreiche, grüne Greyerzer Ländchen, ein gar pittoreskes Landschaftsbild ab. Mehr als durch all dies aber prägt es sich dem Wanderer durch die unbeschreiblich herrliche Rundschau in’s Gedächtniß, die hier dem sich dem Süden entgegensehnenden Auge zum ersten Male aufging und in einen Rausch des Entzückens versetzte. Wenige Minuten nur jenseit des Ortes bot sich der erste Blick auf den lange erwarteten See, welcher, der größte im gesammten Alpengebiete, in seiner östlichen, obern Ausbucht unleugbar zugleich der schönste ist; in der Vereinigung von imposantester Erhabenheit und anmuthvollster Milde von keinem andern übertroffen, weder vom romantischen Vierwaldstätter, noch von dem viel bewunderten Comer See.

Tiefblau liegt er uns dort zu Füßen ausgegossen, links die Alpengipfel von Freiburg und der Waadt, aus welchen die seltsame, drohend überhangende Zinke der Dent de Jaman das weithin sichtbare Wahrzeichen der Gegend, zunächst das Auge fesselt, bis zu den beiden schneebedeckten Hörnern der Dent de Morcle und rhoneaufwärts zum Zuckerhute des Mont Catogne, an dessen Fuße sich im engen Entremontsthale der Pfad zum Hospize der menschenfreundlichen Augustiner des großen St. Bernhard aufschlängelt. Der Catogne schließt gen Morgen das Bild, neben ihm aber lugen die Giganten des untern Wallis hervor; links schimmert der ewig weiße Mont Vélan, rechts, uns fast gegenüber, reckt sich die breit

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