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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

waren meistens in den Kopf geschossen. Die Gesichter der auf dem Rücken im Schnee liegenden Jäger und Infanteristen waren mit Blut bedeckt. Die Dänen hatten noch in der Entfernung von drei Schritt Feuer gegeben. Dann hatten die Oesterreicher die Gewehre umgekehrt und den Dänen mit den Kolben die Köpfe eingeschlagen. Vor einem Zaun, hinter dem die Dänen in der Position am Waldrande zuerst Posto gefaßt hatten, lag eine lange Reihe österreichischer Jäger und Infanterie todt. Blutlachen hatten den Schnee geröthet. Dolmans und Husarenkäppis bedeckten zu beiden Seiten die Ränder der Straße. Hinter dem Zaune lagen die Dänen, ebenfalls in langer Reihe, meistens die Köpfe mit dem Kolben eingeschlagen. Man konnte ganz deutlich sehen, wie der Zaun vertheidigt und dann genommen war. Die Blutlachen, die Leichen mit den zerschossenen und eingeschlagenen Köpfen, die todten Pferde – ein schrecklicher Anblick! Eine Jägercompagnie zählte nach der Schlacht nur noch 27 Mann.

Feldmarschalllieutenant v. Gablenz war während des Gefechts stets an den gefährlichsten Stellen. Keine Bitte, sich weniger auszusetzen, konnte ihn zurückhalten. Rund um ihn fielen Menschen und Pferde; er selbst erhielt eine matte Kugel, welche an seiner Säbelscheide abprallte. Dem Herzog Wilhelm von Würtemberg, welcher als Oberst das Regiment Belgien commandirte, wurden bekanntlich zwei Zehen abgeschossen. Unleugbar schlugen sich die Dänen vortrefflich. Jeder Knick mußte mit dem Bajonnet unter Kleingewehr- und Artilleriefeuer genommen werden. Sie verwendeten ihre Truppen auf das Zweckmäßigste und manövrirten nach allen Regeln der Taktik. Die 600 dänischen Gefangenen, welche eingebracht wurden, waren meistens Jüten und Inseldänen, unter ihnen kein einziger Ueberläufer. Der Grimm und die Erbitterung sprachen aus ihren Zügen. Sie schlugen sich bis auf den letzten Augenblick.

Unter einem Trupp Gefangener, die man in der ersten Verwirrung noch nicht entwaffnet halte, legte plötzlich ein Seeländer auf den ganz in der Nähe stehenden Feldmarschalllieutenant von Gablenz an. Der General wäre verloren gewesen. Da schlug ein Jäger den Dänen mit dem Gewehrkolben nieder. Ohne Ausnahme zeichneten sich alle österreichischen Officiere durch unerschrockene Tapferkeit und unverwüstliche Kaltblütigkeit aus; ich nenne unter den Vielen nur Oberstlieutenant Schönfeld vom Generalstabe, Oberlieutenant Baron Mertens, Rittmeister Baron Löwenstern, Ordonnanzofficier des Feldmarschalls, einen Schleswig-Holsteiner, dessen Bruder in Angeln begütert ist, Lieutenant Otterstedt, Oberstlieutenant Vlatitz[WS 1], Chef des Generalstabes – ich müßte sie Alle nennen. Als es dunkel wurde, brachen die Dänen das Gefecht ab. Dann wurden mit Hülfe von Fackeln und Laternen die Verwundeten auf dem blutbedeckten Schlachtfelde aufgesucht. Gar mancher ist nicht gefunden worden und ist an seinen Wunden im Schnee und in der Kälte gestorben.

Eine Stunde vor Flensburg sollte ich einen andern noch erschütternderen Anblick haben. Der Schneesturm war wieder so heftig geworden, daß ich genöthigt war, die Pferde ausruhen zu lassen und in einem an der Straße liegenden einsamen Gehöft einzutreten. Die größere Stube war ganz mit österreichischen Soldaten angefüllt, in der kleinern saß der Besitzer des Hofes, neben ihm auf der Bank lag sein todter einziger Sohn. Die Dänen hatten bei ihrem Rückzüge von Oeversee nach Flensburg Pferde und Wagen des Bauern requirirt. Der Sohn führte den Wagen. Mit durchschossenem Kopfe sollte ihn der Vater wiedersehen. Wahrscheinlich war er, als er auf dem Rückwege die Vorpostenkette der Dänen passirte, in der Dunkelheit erschossen worden. Der Todte hatte die Bescheinigung, daß die Fuhre geleistet sei und er zurückkehren könne, noch in der Tasche. Die Pferde und der Wagen waren fort. „Nun habe ich Alles verloren,“ rief der verzweifelte Vater, „meinen einzigen Sohn, meine Pferde und meinen Wagen.“ Nie werde ich diese fürchterliche Scene in der schwach erleuchteten Stube vergessen.

Flensburg war voll vom Getümmel des Krieges. Wagen an Wagen bedeckten die Straßen, welche sich noch im Dunkel des bereits hereingebrochenen Abends mit Vorräthen, Munition und Kriegsvorräten aller Art auf der Straße nach Gravenstein in der Richtung nach Düppel hinaus bewegten. Zwischen den Wagen Truppenmassen und Geschütze. Darüber ein winterlicher Nachthimmel, aus dem unaufhörlich Schneemassen herabwirbelten. Fahnen in den schleswig-holsteinischen Farben hingen aus den Fenstern der kleinern Häuser; der Wind, der in ihren Falten rauschte, war von einer eisigen Temperatur. Deutsche Fahnen sah ich keine einzige. Der preußische Feldmarschall von Wrangel wollte die deutschen Fahnen nicht dulden, und die Flensburger Bürger hatten nicht den Muth, sie trotzdem aufzustecken. Nirgends in Schleswig-Holstein hatte ein österreichischer General ein ähnliches Verbot ergehen lassen. Auf dem Markte wehte eine riesige schleswig-holsteinische Fahne. Ich trat in den an demselben liegenden Gasthof zur Stadt Hamburg ein, wo ich auch vor drittehalb Jahren schon gewohnt hatte. Der Besitzer ist ein Mann, der sich immer durch Festhalten an der deutschen Sache in Flensburg ausgezeichnet hat. Er heißt Döll. Vor dem Hause wehte eine schleswig-holsteinische, eine österreichische und eine preußische Fahne. Zwei österreichische Jäger, Tapfere aus dem Gefecht bei Oeversee, standen als Posten auf der Freitreppe. Der Flur, die untern Räume waren überfüllt von Gästen.

Bekannte aus Angeln verschafften mir noch ein Plätzchen. An der andern Seite des Tisches saßen Flensburger Bürger. Ich hielt ihnen vor, daß sie noch immer sich ihrer dänischen Beamten nicht entledigt hätten.

Sie antworteten mit einer Menge flauer Entschuldigungen. Vergebens erinnerte ich sie an das Beispiel Schleswigs, Eckernfördes, Tönnings, Friedrichsstadts und aller südschleswigschen Ortschaften, wo die Bewohner binnen der ersten vierundzwanzig Stunden nach dem Einzuge der Preußen und Oesterreichs vollkommen mit dem Ausschuß Seelands aufgeräumt hatten. Flensburg hat sich unter den schleswigschen Städten immer durch aus dem Handelsinteresse hervorgehende dänische Sympathien hervorgethan. Sämmtliche dänische Beamten, Pastoren und Schulmeister waren heute noch, drei Tage nach dem Einzüge der preußischen Truppen in Flensburg, im Besitz ihrer Stellen; in den Schulen wurde noch der Unterricht in dänischer Sprache ertheilt; selbst der Löwe, dieses berüchtigte Denkmal dänischen Uebermuthes, stand noch auf dem Friedhofe und blickte höhnisch auf die Gräber der auf dem verrätherischen Schlachtfelde bei Idstedt Gefallenen. Wrangel würde wahrhaftig nicht gewagt haben, ihn wieder aufzurichten, wenn man ihn von seinem mit den Namen dänischer Generale gezierten hohen Postamente hinabgestürzt hätte.

Es gefiel mir heute nicht in dem Gastzimmer des Wirthshauses. Trotz des Schneesturmes ging ich wieder aus, um eine Zeitung zu lesen. Als ich zurückkam, trat mir in demselben Zimmer ein preußischer Officier in Helm und Schärpe, zwei österreichische Jäger hinter sich, entgegen. „Sind Sie Herr Gustav Rasch?“ fragte er.

„Allerdings,“ antwortete ich. „Was wünschen Sie?“

„Ich habe den Auftrag von der Commandantur, Sie zu verhaften. Wollen Sie den schriftlichen Befehl sehen, da ist er.“

Ich lachte und sagte dem Officier, daß ich, da in Flensburg kein Belagerungszustand herrsche, der preußischen Commandantur das Recht einer Verhaftung nicht zugestehe. Der Lieutenant bedauerte in den höflichsten Formen, daß er mir diese Unannehmlichkeit machen müsse, mich auch nur auf die Commandantur zu führen habe, die Gründe meiner Verhaftung wisse er nicht.

„Ich verlange, zu dem preußischen Regierungscommissar, Freiherrn von Zedlitz, geführt zu werden, den ich allein als eine mir gegenüber berechtigte Persönlichkeit anerkenne.“

„Ich werde Sie zu Herrn v. Zedlitz führen,“ erwiderte mir der Officier. „Warum soll ich es nicht thun, verboten ist es mir nicht. Vielleicht befreie ich Sie auf diese Weise von der ganzen Unannehmlichkeit.“

Wir gingen, ich neben dem Officier, die beiden Jäger hinter mir. Wenige Schritte von dem Hause, in dem der preußische Regierungscommissar wohnte, wurden wir von einem in einen grauen Officiermantel gehüllten Manne angehalten, der sich auf dem ganzen Wege hinter uns hergeschlichen hatte. Er sprach eindringlich mit dem mich begleitenden Officier. Dann verschwand er. Aber ich hatte ihn wohl erkannt. Ich war auf ihn bereits im Döll’schen Gasthofe als auf ein höchst verdächtiges Subject aufmerksam gemacht worden. Er heißt Zweigert, soll früher Officier in der päpstlichen Armee gewesen sein, befindet sich im preußischen Hauptquartier in einer höchst zweifelhaften Stellung und wird von allen Patrioten und auch von den Officieren gemieden. „Es thut mir außerordentlich leid, daß ich Sie nicht zu Herrn v. Zedlitz führen kann, sondern Sie sofort auf die Commandantur bringen muß,“ sagte der mich geleitende Officier, „es wird mir soeben ausdrücklich verboten, Sie zu dem Regierungspräsidenten zu führen.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Franz Freiherr von Vlasits
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)