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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

das alte Strandrecht, und es wird sogar auf der Kanzel jeden Sonntag gebetet: „„Gott segne unseren Strand,““ – nämlich mit gestrandeten Schiffen?“

Hierauf reichte der Commodore die ihn vorstellende Skizze dem Amtmann, der mit offenbar großer Mühe sein steifes Actengesicht zu einem Lächeln zwang, und bat denselben, sie im Kreise weitergehen zu lassen. Dann stand er auf und holte eine verschließbare Briefmappe herbei, die er mir mit den Worten übergab:

„Hier haben Sie etwas zur Aufbewahrung Ihrer Papiere, und nun können Sie wieder an Bord zurückkehren. Guten Morgen!“

Ich war wahrhaft gerührt und machte eine tiefe, ich glaube, recht unmilitärische Verbeugung. Wer war aber froher als ich mit meiner Mappe! Wie beneidete man mich in der Seejunker-Kajüte um mein kleines Erlebniß! – Das deutsche Geschwader sollte längere Zeit auf der Rhede von Cuxhaven bleiben. Obgleich kein Seehafen so wenig Unterhaltung bietet, wie dieser, und auch in jetziger Periode wegen des Krieges beinahe gar keine Badegäste erschienen waren, so unterhielt man sich doch mitunter vortrefflich am Lande; denn es durchwehte das junge Volk unserer Schiffe ein so froher, frischer Geist, wie ich ihn nicht leicht anderswo im Leben wiedergefunden habe. Auch der Commodore und die Commandanten schienen sich am Lande gut zu gefallen und folgten öfters den Einladungen der Hamburger und hannoverischen Amts-Notabilitäten von Cuxhaven, Ritzebüttel und Umgegend. Als Revanche hierfür beschloß der Commodore denselben ein solennes Frühstück an Bord des Barbarossa zu geben. Dieses sollte am 14. Juni stattfinden. Schon einige Tage vorher ergingen die Einladungen und wurden Vorbereitungen dazu getroffen, deren Vielseitigkeit auf ein großartiges Fest schließen ließ. Am Lande wurden Bestellungen aller Art gemacht, und die letzten Tage vor dem Frühstück sah man Boote in Menge zwischen der Stadt und dem Barbarossa unaufhörlich hin- und herfahren. Sie brachten der Herrlichkeiten gar viele an Bord, Wildpret und Geflügel, Fische, Austern und selbst Schildkröten, Gemüse und Obst aus dem Süden, aber auch Körbe voll Flaschen, darunter zahlreiche Silberköpfe und rheinische Langhälse. Die Boote fuhren alle unter der Lübeck her und gaben ihren kostbaren Inhalt den mitunter lüsternen Blicken der auf Deck Befindlichen preis.

Am Lande wurde von nichts Anderem gesprochen, als von dem Feste, welches der Commodore geben würde. Manchem wässerte wohl schon der Mund nach den Leckerbissen und den köstlichen Weinen, die von Hamburg und noch weiterher angelangt waren. So waren der Abend und die Nacht des 13. Juni herangekommen. Mich hatte die Hundswache, d. i. die Wache von Mitternacht bis vier Uhr Morgens, getroffen. Eine Stunde dieser unangenehmsten aller Wachen war glücklich vorüber und ich beschäftigte mich, um nicht einzuschlafen, damit, die Schritte des Decks von vorn nach hinten und wieder zurück zu zählen, als ich ein Gerassel, wie wenn auf einem der beiden anderen Schiffe des Geschwaders ein Boot in’s Wasser gelassen würde, zu hören glaubte. Vom Wachofficier war dieselbe Wahrnehmung gemacht worden. Wir hatten uns nicht getäuscht. Kurz darauf löste sich ein schwarzer Körper von dem Commodoreschiff ab und bald sahen wir denselben der Lübeck zuschwimmen. Es war ein Boot, welches mit leisem Ruderschlag auf uns zusteuerte. Wenige Minuten später praiten wir dasselbe an und auf unserem Ruf: „Boot ahoi!“ ertönte daraus die Erwiderung: „Lübeck an Bord!“ Das Boot legte an, ein Seejunker sprang auf die Fallreepstreppe und übergab eine versiegelte Depesche, welche augenblicklich dem Commandanten zu behändigen sei. Dann stieß der Ueberbringer wieder ab und steuerte der Hamburg zu. Noch war er nicht dort angelangt, als unser Commandant, den man sofort geweckt hatte, schon auf Deck kam. Fast gleichzeitig erschienen daselbst der erste Lieutenant, der erste Maschinen-Ingenieur und der Bootsmann, welche der Commandant bereits hatte rufen lassen. Er sprach einige Worte leise mit ihnen, worauf die beiden Letztgenannten nach vorn und hinab in das Zwischendeck eilten. Ohne daß die Bootmannspseife und der Ruf: „Alle Mann an Deck!“ erschallt wäre, kam kurz darauf die Mannschaft, allerdings ein wenig verschlafen und vereinzelt, an Deck. Rasch waren die Hängematten in die Finknetze gestaut, und in der Maschine wurde es hell und lebhaft. Die Feuer wurden angezündet. Inzwischen waren auch sämmtliche Officiere und Seejunker auf Deck gekommen. Nach Verlauf einer halben Stunde, während welcher Alles seeklar gemacht worden war, eilte auf einen halblaut ertheilten Befehl die Mannschaft zum Gangspill, welches sich alsbald, diesmal ohne die belebende Musik von Trommel und Pfeife, aber dennoch so rasch, wie nur jemals, zu drehen begann. Eben waren unsere Anker gehoben, als der Barbarossa seine Räder in Bewegung setzte und nach See zu dampfte. Unmittelbar darauf thaten wir das Gleiche, indem wir ihm in seinem Kielwasser nachsteuerten. Wenige Minuten nachher verließ auch die Hamburg ihren Ankerplatz und folgte der Lübeck. Der Leuchtthurm von Cuxhaven lag bald weit hinter uns, und das Geschwader befand sich auf hoher See. Dasselbe steuerte nun westlich und hielt sich den Watten so nahe, als dies nur irgend ohne Gefahr für die Schiffe möglich war.

Bald brach der Tag an, und wie eine riesige Glühkugel stieg im Osten die Sonne auf. Aber siehe da! außer ihr tauchten in der gleichen Richtung noch zwei andere Dinge aus der Fluth empor: es waren die dänischen Fregatten Thetis und Bellona, welche, wie man wußte, vor der Elbe kreuzten. Sobald diese uns wahrgenommen, änderten sie ihren südwestlichen Curs und steuerten uns bei frischer Ostbrise mit vollgebraßten Segeln nach. Unsere kleinen Dampfer hätten es alle drei nicht mit einer einzigen dieser Fregatten aufnehmen können, wie viel weniger mit beiden; denn während jede derselben über vierzig Geschütze trug, zählten wir deren zusammen nur dreizehn. Wir fuhren daher alle mit vollster Kraft, aber die Lübeck, welche die schwächste Maschine des Geschwaders besaß, blieb zurück. Nach Verlauf von zwei Stunden hatte uns die Thetis soweit eingeholt, daß wir den Standort des Commodore Steen-Bille am Vortop mit dem Fernrohr gut unterscheiden konnten. Einige Kugeln, welche sie mit ihren Jagdgeschützen uns nachfeuerte, fielen indeß mehrere Kabellängen von unserem Deck entfernt in See. Wir erwiderten die Schüsse mit unserem weittragenden Zweiunddreißigpfünder, liefen aber gleichzeitig unter der Führung des trefflichen Weserlootsen zwischen zwei Watten hindurch. In dieses enge und niedrige Fahrwasser konnten uns die tiefgehenden Fregatten, welche in näherer Distanz verderbenbringend gewesen waren, nicht folgen. Barbarossa und Hamburg waren schon weit voraus – unser kleines Geschwader war den Dänen glücklich entronnen. Als dies die Fregatten sahen, schlugen sie einen nordwestlichen Curs ein und verschwanden bald darauf unseren Blicken. Eine Stunde nachher liefen wir in die Wesermündung ein und gingen unweit der Bremer Baake vor Anker.

Wie mögen sich die Cuxhavener am Morgen dieses Tages gewundert haben, als sie sahen oder erfuhren, daß die deutschen Schiffe nicht mehr auf ihrer Rhede lagen, und wie schwer hat sich wohl Mancher der Eingeladenen über das zu Wasser gewordene Frühstück auf dem Barbarossa geärgert! Mit diesem Frühstück verhielt es sich aber folgendermaßen: Man wußte nur zu gut, daß es in Cuxhaven Leute gäbe, die es niederträchtigerweise mit dem Feinde hielten, ja den Verrath am Vaterlande soweit trieben, daß sie den vor der Elbe kreuzenden feindlichen Schiffen alle Tage den möglichst genauen Rapport über Thun und Lassen der deutschen Truppen und Fahrzeuge, zumal unseres kleinen Dampfer-Geschwaders, erstatteten. Ganz natürlich mußten die Dänen auch von dem projectirten Frühstück hören. Dem Commodore Brommy war es aber vor Allem darum zu thun, mit dem kleinen Geschwader wieder in die Weser zurückzugelangen, wo die übrigen deutschen Dampfer, in ihrer Ausrüstung begriffen, lagen. In der Voraussetzung nun, die Dänen würden, wenn sie von dem besagten großartigen Frühstücke vernähmen, wenigstens in einer oder der anderen Art durch Sorglosigkeit bei Ueberwachung der Elbemündung die Ausführung seines Vorhabens erleichtern, hatte er die Kriegslist gebraucht, in der ostensibelsten Weise jenes Fest, welches niemals stattfinden sollte, vorzubereiten, um gerade an dem hierfür festgesetzten Tage die Elbe zu verlassen. Ihm wurde die Genugthuung, daß wir wirklich den glücklichen Erfolg des Unternehmens dieser Kriegslist zu danken hatten. Die Dänen waren, wie wir später hörten, in der That gerade am 13. Juni weiter nördlich gesegelt, als an irgend einem Tag vorher seit dem 4. Juni, und kamen Tags darauf erst wieder in die Nähe der Elbemündung, als wir dieselbe bereits verlassen und hinreichenden Vorsprung gewonnen hatten.

Den für das unterbliebene Frühstück angekauften frischen Proviant ließ aber der Commodore derart vertheilen, daß auch die stets bedürftigen Seejunker-Kajüten einen, wenn auch nur kleinen, Theil davon erhielten. Und da klang denn manches: „Hoch Vater Brommy!“ „Pereant die Dänen!“ und „Hoch Deutschland zur See!“


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