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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Angeklagte erklärt sich schuldig.

Es ist in den Annalen der englischen Strafjustiz fast unerhört, daß Jemand, der capitalen Verbrechens angeklagt ist und zudem nicht einmal einen Fluchtversuch gemacht hat, sich unbedingt schuldig erklärt. Der Richter sah sich deshalb zu der Frage veranlaßt: „Habt Ihr auch vollständig verstanden, wessen Ihr Euch schuldig erklärt, und kennt Ihr die Folgen dieser Erklärung? Mit dem „Schuldig“ gesteht Ihr nicht nur zu, der Anna Green die tätlichen Wunden zugefügt, sondern auch, dies mit Vorbedacht und ohne Entschuldigungsgrund (without excuse) gethan zu haben. Es ist nicht Sache des Richters, den Angeklagten zum Widerruf einer Schuldigerklärung zu bewegen, falls derselbe weiß, was er thut; überzeugen aber möchte ich mich, ob Ihr die Bedeutung Eurer Erklärung verstehet?“

Angeklagter: „Ja, Mylord, ich verstehe sie.“

Der Ankläger: „Der Angeklagte ist soeben erst den Assisen überwiesen worden und hat wahrscheinlich noch keine Zeit gehabt, sich nach gesetzlichem Rath oder Beistand umzusehen. Ich habe die wider ihn abgelegten Zeugnisse gelesen und es scheint mir, der Angeklagte könnte, wenn er gut berathen würde, geneigt sein, seine Erklärung zurückzuziehen.“ Diese Bemerkung des Anklägers war um so mehr begründet, als ja der Angeklagte unmittelbar nach der That behauptet, die Getödtete habe ihm mit einem Messer gedroht.

Der Richter: „Es scheint mir, wenn der Angeklagte die Bedeutung und die Folgen seiner Erklärung kennt, und darüber ist er allein Richter, so bleibt nur übrig, daß er sein Urtheil empfange. Es liegt nichts in dem Beweise, was mich bestimmen könnte, seine Schuldigerklärung umzustoßen. (Zum Angeklagten:) Verstehet Ihr vollständig die Natur und Bedeutung der Schuldigerklärung?“

Angeklagter: „Ja, Mylord.“

Der Gerichtsschreiber: „Ihr seid auf Euer eigenes Geständmß hin des Mordes überwiesen. Habt Ihr einen Grund dafür anzuführen, warum etwa der Gerichtshof die Todesstrafe gegen Euch nicht aussprechen sollte?“

Der Angeklagte giebt keine Antwort.

Der Richter setzt die verhängnißvolle schwarze Kappe auf, bemerkt, der Angeklagte habe Schuldig plaidirt, sein Verbrechen eingestanden und darin recht gethan, sofern er wirklich die Wirkung seiner Erklärung gekannt habe. Der Angeklagte möge daher seinen Frieden mit Gott machen, denn in dieser Welt sei nicht die geringste Hoffnung auf Gnade für ihn. Darauf erfolgt die Verurteilung zum Tode, und der Angeklagte, der sich kaum aufrecht halten konnte, wird abgeführt.

Am Sonntag früh die verbrecherische That, am Mittwoch darauf das Todesurtheil. Das ist eine unerhört schnelle Justiz! Unerhört ist aber auch die Verurtheilung eines Menschen zum Tode ohne vorausgegangene Vertheidigung durch einen Anwalt. Zwar gilt im englischen Verfahren der Satz: der Richter ist der Vertheidiger des Angeklagten; aber dieser Satz hat seine Grenzen, und es widerspricht den ersten Geboten des Rechtes, der Humanität und des kriminalistischen Anstandes, den eines todeswürdigen Verbrechens Angeklagten ohne Vertheidiger zu lassen, weil er einen solchen aus eigenen Mitteln nicht zu bezahlen vermag, ja es ist geradezu empörend, die Todesstrafe über einen Menschen auszusprechen und zu vollziehen, der nicht den Schutz eines Vertheidigers genossen hatte. Wer bürgt denn dafür, daß Samuel Wright den Unterschied zwischen Mord und Todtschlag kannte? Und doch bedingt dieser Unterschied den Kopf!

Erst nach seiner Verurtheilung zum Tode erfuhr man im Publicum, Wright habe erzählt: „In der verhängnißvollen Nacht habe Anna Green gedroht, ihn zu verlassen. Deshalb sei zwischen ihnen Zank ausgebrochen. Darauf habe er sich schlafen gelegt, Anna aber ihn geweckt, geschüttelt und erklärt, sie lasse ihn nicht schlafen, sie werde ihm ein Messer in den Leib stechen; da sei er aus dem Bette gesprungen, habe das Rasirmesser ergriffen, das auf dem Tisch gelegen, und ihr damit den Hals abgeschnitten. Ihr letztes Wort sei gewesen: „O, Samuel, ich wollte das nicht thun!“ (d. h. mit dem Messer Dich nicht verwunden.)

Spricht diese Erzählung nicht eher für Tödtung im Affect, also für Todtschlag, denn für Mord? Spricht nicht der friedliche Charakter des Verurtheilten gegen vorbedachten Mord? Hätte nicht ein Vertheidiger diese für Todtschlag sprechenden Momente hervorheben und den Angeklagten bestimmen müssen, seine Schuldigerklärung für Todtschlag anstatt für Mord abzugeben? Wäre es in einem Falle, wo es sich um einen Kopf handelt, nicht zum Mindesten gerathen gewesen, die Frage der Seelenstimmung, in welcher der Angeklagte gehandelt, der Entscheidung der Jury zu unterbreiten?




Townley und Wright waren zum Tode verurtheilt. Ein Todesurtheil darf in England nicht vollzogen werden ohne ausdrückliche Ermächtigung des Ministers des Innern. Die Königin kann nicht begnadigen ohne vorhergegangenen auf Begnadigung gerichteten Antrag dieses Ministers. Nur in seltenen Fällen stellt aber der Minister einen solchen Antrag. Die Engländer lieben das Schauspiel des Hängens wie die Spanier die Stiergefechte. Der Vollzug der erkannten Todesstrafe bildet die Regel, nicht wie in andern Staaten die Ausnahme.

Am Tage nach der Verurtheilung Townley’s machte der Vorsitzende Richter von diesem Urtheil Mittheilung an den Lord Grey, den Staatssecretair des Innern, und lenkte dabei, ohne indessen einen Antrag zu stellen, die Aufmerksamkeit des Lords auf die Thatsache, daß vor der Jury zwei Aerzte den Beurtheilten für derzeit geisteskrank erklärt haben. Sir George Grey ließ nun den Geisteszustand Townley’s im Gefängniß durch eine Commission von Sachverständigen untersuchen. Diese erklärten, nach sorgfältiger Prüfung, am 28. December, der Geisteszustand des Verurtheilten habe sich seit seiner Verhaftung am 21. August nicht verändert: Townley habe extravagante Ansichten und verkehrte Moralbegriffe, seine Begriffe von Recht oder Unrecht aber, ob falsch oder nicht, seien zusammenhängend und der Angeklagte ihrer Tragweite sich bewußt; insbesondere aber wisse derselbe, daß seine Ansichten abweichen von den gewöhnlichen. – Die Commission hatte also keinen neuen Thatbestand gefunden, welcher der erkennenden Jury nicht vorgelegen hätte, denn gerade so hatten die Aerzte in der Verhandlung vom 11. und 12. December den Geisteszustand des Angeklagten beurtheilt und trotzdem die Geschworenen, in ausdrücklicher Uebereinstimmung mit dem Lord Oberrichter, das Schuldig ausgesprochen. Die Todesstrafe hätte also jetzt wenigstens vollzogen werden sollen. In der That drang auch die Presse von dem Standpunkt des Ansehens der Jury aus, und zwar schon vor dem Ausspruch der Commission, auf den Vollzug der Todesstrafe; „der Delinquent,“ so riefen die Blätter aus, „sei nach Ordnung und Recht verurtheilt worden. Der Ausspruch der Geschwornen müsse respectirt werden.“

Die Presse fand eine mächtige Unterstützung in dem Auftreten der Richter der Grafschaft Derbyshire. In einem in der Times abgedruckten Memorial an Sir George Grey erklärten mehr als vierzig Friedensrichter dieser Grafschaft: „Townley’s Geisteszustand sei vollständig und öffentlich untersucht worden, der Verurtheilte sei Mörder mit Vorbedacht und mit dem Bewußtsein der Gesetzesverletzung; nie habe früher seine Familie ihn für geisteskrank gehalten. Jetzt nehme man eine geheime neue Untersuchung seines Geisteszustandes vor, dabei werden keine Zeugen beeidigt, kein Kreuzverhör mit denselben angestellt. Ueber dieses einseitige Verfahren herrsche große Unzufriedenheit und die beklagenswerthe Meinung, es gebe in England ein Gesetz für den Reichen und ein anderes für den Armen, die Macht des Geldes vermöge den Lauf des Gesetzes zu hemmen, und Townley wäre, wenn er und seine Freunde arm gewesen wären, hingerichtet worden. Auf diese Weise werde die Achtung vor der Justiz tödtlich untergraben.“

Auf diese Demonstration erwiderte, freilich erst nach dem Ausspruch der Commission, der Minister: „Es sei ihm soeben ein neues Separat-Gutachten dreier Aerzte und zweier Friedensrichter aus der Grafschaft Derby übergeben worden, in welchem behauptet werde, Townley sei gegenwärtig geisteskrank; da nun eine Parlamentsacte von 1840 bestimme, „daß, wenn immer ein zur Deportation, zum Gefängniß oder zum Tod Verurtheilter von zwei Aerzten und zwei Friedensrichtern innerhalb des Bezirks, da er gefangen, für geisteskrank erklärt werde, ein solcher vom Minister des Innern in eine Irrenanstalt zu versetzen sei“, so bleibe ihm nichts übrig, als den Delinquenten Townley in eine Irrenanstalt bringen zu lassen.“

Während die Presse nicht nur den Minister zu tadeln fortfuhr, der schon vor dem Eingang jenes Separat-Gutachtens die Vollstreckung des Todesurtheils gegen Townley gehemmt habe, sondern auch die „absurde“ Parlamentsacte geißelte, die es vier Privatpersonen möglich mache, jeden Verbrecher von der Todesstrafe zu befreien,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_219.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)