Seite:Die Gartenlaube (1864) 226.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Diana!“ sagte Heinrich für sich und trat an den Hund heran. Dieser aber stieß plötzlich einen fast menschlichen Schrei aus, richtete sich an Heinrich empor, umarmte ihn mit seinen Vordertatzen, leckte ihm Gesicht und Hände, sprang wieder herab, wedelte mit dem Schweif und heulte, bellte, winselte und schluchzte. „Du kennst mich noch, du treues Thier,“ sagte Heinrich.

Ein Diener erschien mit einer Peitsche und drohte Dianen.

„Willst du ruhig sein, Köter!“ sprach er. „Hochwürden haben wohl Hunde gern? Die Frau Gräfin mag sie nicht. Kommen Sie, Hochwürden! Ich habe Ihnen auf Ihrem Zimmer den Thee servirt. Ruhig, Köter! –“




Der Gräfin Stephanie Schlafgemach stieß – wie schon erwähnt wurde – an das gelbe Zimmer. Die Corridorthür im letzteren wurde Nachts von innen zugeschlossen, dagegen die Flügelthür des Boudoirs weit geöffnet. Das Himmelbett der Gräfin stand dem Eingange gegenüber, so daß sie erwachend in das gelbe Zimmer und die Thür, die zu Fräulein Fanny führte, sehen konnte. Das Boudoir hatte verschlossene Läden und lag völlig dunkel, während im gelben Zimmer allnächtlich eine Lampe brannte. Diese Lampe stand seitwärts auf einem Tische, so daß Stephanie den lichten Raum, nicht aber das Licht erblickte.

Mitternacht war noch nicht lange vorüber, als Stephanie aus bangen Träumen erwachte. Sie richtete sich seufzend empor; dabei streifte ihr Blick das helle Gemach und den Parketboden, auf dem das Licht weiß wie Schnee lag. Ein jäher Schrecken durchzuckte Stephanie; sie wollte einen Schrei ausstoßen und nach dem Klingelzug über dem Kissen greifen, aber das Entsetzen lähmte ihren ganzen Körper. Im gelben Zimmer war Jemand. Der Schatten eines in einen Mantel oder ein Laken verhüllten Mannes zeichnete sich auf dem Parket ab. Stephanie konnte nicht den Mann selber sehen, nur seinen Schatten sah sie, unbeweglich, aber darum auch unleugbar, bestimmt, schrecklich deutlich. Der Todesschweiß trat auf Stephaniens Stirn; ihr Herz begann schnell und schneller, zuletzt hörbar zu pochen … mit halbem Leib aufgerichtet, starrte sie auf den finstern, drohenden, unbeweglichen Schattenriß … So saß sie eine Ewigkeit der Hölle, bis ihr Gehirn sich drehte, ihre Augen sich schlossen und sie ohnmächtig mit einem leisen Stöhnen zurücksank. Als sie erwachte, war der Schatten verschwunden; Stephanie riß am Klingelzug, und Fanny erschien.

„Hörtest Du nichts?“ fragte hastig die Gräfin. „Jemand war im gelben Zimmer!“

Erschrocken eilte das Mädchen in’s anstoßende Gemach, kam aber bald lächelnd zurück. „Unmöglich,“ sagte sie, „der Schlüssel steckt in der Thür …




2.

Heinrich schlief in Angelo’s Thurmzimmer. Er hatte von vergangenen Tagen geträumt und, frühe am Morgen von Schritten geweckt, fragte er halb im Traume noch: „Sind Sie es, Joseph?“

„Bitte, Titus, mein Herr!“ sagte der Bediente, der ohne Umstände eingetreten war und ein Kaffeebret mit Heinrich’s Frühstück auf den Tisch stellte.

Der Graf richtete sich auf, rieb sich die Augen und erblickte einen zwerghaften Burschen in weißer Livree. „Ist Joseph nicht da?“ fragte er, noch verwirrt.

Der Groom drehte das runde, dummdreiste Gesicht von räthselhaftem Alter nach dem Fragenden. „Meinen der Herr Kaplan des verstorbenen Grafen Kammerdiener?“

Des verstorbenen Grafen! Dies Wort rief Heinrich in die Wirklichkeit. „Ja, den mein’ ich,“ sprach er mit gleichgültigem Ton. „Hieß er nicht Joseph?“

Der Kleine stellte sich breitbeinig vor Heinrich’s Lager, steckte seine Rechte in die Hosentasche, zwinkerte mit den Augen und grinste: „Der Joseph ist nicht mehr da. Er steht jetzt bei einem Herrn von Specht in Condition. Nicht viel los mit dem Herrn von Specht! ’s ist ein halbes Jahr her – ich war noch nicht lange bei der Frau Gräfin, und wir wohnten damals in der Stadt …. Famoses Leben in der Stadt! …. Abends spielten ich, Franz und Joseph im Vorzimmer unser Tarok. Natürlich kam’s dabei jedesmal zwischen den beiden Kammerdienern zum Streit, Und eines Abends haut der Joseph den Franz, aber derb. Was thut der Franz? Er steckt der Gräfin, Joseph habe die goldene Uhr des seligen Herrn gestohlen. Richtig war’s; der Kammerdiener wollt’ ein Andenken und behielt die Uhr, die bei der Inventur vergessen worden. Bei Tisch fragt die Gräfin: wie viel Uhr ist es? und der Dummkopf Joseph zieht, ohne weiter zu denken, des Grafen Uhr und sagt: halb Vier. Nun wußte die Frau Gräfin freilich, wieviel es geschlagen hat, und Abends hatte der Joseph seinen Abschied. Aber auch der Kammerdiener Franz ging bald darauf ab.“

„War auch er ein Dieb?“

„Hm, das weiß ich nicht. Er ging freiwillig, denn der Banquier Levy bot ihm als Tafeldecker zwanzig Gulden mehr, als er bei uns hatte.“

Der Graf blickte finster vor sich hin. Sein ehrlicher Joseph – ein Dieb! Franz, den Waldenburg’s Vater aus bitterer Noth riß, der zwanzig Jahre lang des Grafen Brod aß, verläßt um eines kleinen Vortheils willen seine Herrin … „Ach, Angelo!“ seufzte Heinrich in seinem Herzen.

„Zu des seligen Grafen Zeit,“ fuhr der Groom sich aufblasend fort, „waren nur vier Diener im Schloß. Der Graf soll ein Filz gewesen sein. Jetzt haben wir sechs. Ich und Banks, der Neger, bedienen die gnädige Frau. Seit einigen Wochen brachte ich Pater Angelo das Frühstück, denn Lafleur hat den Herrn von Montigny, die beiden Jäger warten den Aßperg’s auf, und Schramm putzt die Stiefeln. Ein strenger Herr, der Herr Pater! Um vier Uhr stand er auf, um fünf mußte seine Milch auf dem Tische stehen. Wenn Sie das Frühstück künftig später wünschen, mir ist’s recht. Ich schlafe je länger, je lieber.“

„Ich werd’ es wie Pater Angelo halten,“ sagte Heinrich kurz.

„So?!“ versetzte der Groom gedehnt. „Sonst nichts zu befehlen?“

„Nein. Wie ist doch Dein Name, Kleiner?“

Dieser schleuderte auf Heinrich einen empörten Blick, und sich in die Brust werfend, entgegnete er: „Die Frau Gräfin nennt mich Titi, den Uebrigen heiße ich Herr Titus; die Frau Gräfin sagt Du zu mir, Fremden aber bin ich Sie! … Und übrigens bin ich lutherisch, Herr Kaplan.“

Damit kehrte er dem Letzteren gravitätisch den Rücken und verließ das Gemach. Heinrich mußte über die komische Indignation und den unverschämten Hochmuth des Däumlings lächeln. Er stand auf und öffnete, nachdem er sich angekleidet, das Fenster der frischen, würzigen Morgenluft … Vom Thurmzimmer aus konnte man in die Fenster von Stephaniens Gemächern sehen. Die Jalousien waren herabgelassen. „Sie schläft noch,“ sagte sich Heinrich, „schläft nach dem bösen Traum dieser Nacht.“ Er trat zurück und schritt langsam, mit gesenkter Stirn auf und nieder. Er gedachte der Zeit, wo er in früher Morgenstunde am Lager Stephaniens saß, den sanften Athemzügen ihrer Brust wie einer Musik lauschte und unverwandt in das liebliche Gesicht starrte, als sähe er den süßen Schlaf auf den geschlossenen Lidern liegen. Und wenn sie dann erwachte, lächelte sie ihm zu und sagte: „Du böser Heinz!“… Plötzlich flog ängstlich zwitschernd eine Schwalbe am offenen Fenster vorüber, gleich darauf krachte ein Schuß. Heinrich eilte in die Nische und sah hinab.

Auf der Terrasse stand sein Cousin Montigny, die noch rauchende Flinte in der Hand. Unweit davon zuckte der kleine Vogel auf der Erde, aber Jener hatte seines Erfolges nicht Acht, sondern blickte in die Höhe, wo hinter einer hastig geöffneten Jalousie ein weißes Kleid schimmerte, schwenkte lachend seinen Hut und rief: „Guten Morgen, Vielliebchen! Gewonnen! gewonnen!“

Der Fensterladen wurde halb wieder geschlossen, aber einige Secunden später fiel eine Rose hindurch. Montigny hob sie auf und drückte sie an seine Lippen.

Heinrich wankte vom Fenster zurück. „Vergessen, wie ein Schatten!“ flüsterte er.

Sein Herz krampfte sich zusammen. Die Stube ward ihm zu eng; er eilte hinab in’s Freie, durch den Park, durch das Dorf. Vor dem Wirthshaus zum Adler saßen Mägde und wanden Kränze aus Eichenlaub. Der Hausknecht stand auf der Leiter, um über der Thür einen Transparentrahmen zu befestigen, während sein, Herr, der dicke Adlerwirth, in Hemdärmeln und schneeweißer Schürze, das Lederkäppchen keck auf’s Ohr gedrückt, am Fuß der Leiter mit wichtiger Miene „Mehr rechts! Mehr links!“ commandirte.

Heinrich wollte mit kurzem Gruß vorübergehen, aber nicht so dachte der Wirth. Der wollte die eigene Neugierde befriedigen und andrerseits seinen Leuten zeigen, wie wohl er in allen Schloßgeschichten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_226.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)