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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

den Musikanten empor: „Einen Extrawalzer für die Frau Gräfin! … Platz, Platz für die Herrschaften!“

Waldenburg fuhr, in’s tiefste Herz getroffen, zurück. Unter den zuströmenden Landleuten stehend, sah er mit flirrenden Augen sein Weib am Arme Montigny’s und ihr glänzendes Gefolge an sich vorüberschreiten, sah sie dann am Arme Montigny’s tanzend dahinschweben, langsam erst, belebter, feurig, trunken dann von der langentbehrten Lust. Er fühlte, daß er diesen Anblick nicht länger ertragen könnte, ohne sich auf das schöne, bewunderte Paar wie ein Tiger zu stürzen. Gewaltsam faßte er seinen Entschluß und floh …

Eine Stunde später verließ die Gräfin in Montigny’s, der Baronin und Fanny’s Begleitung das Haus. Die noch anwesenden Herren gaben ihr bis an ihren Wagen das Geleit.

„Das Transparent, Ihro Gnaden!“ sagte der Adlerwirth, bevor Stephanie in den Wagen stieg. „Das Transparent haben gräfliche Gnaden noch nicht gesehen; es ist erst um Neun trocken geworden.“

Sie drehte sich um und las über der Thüre:

„Treu dem Fürsten, wie dem Knecht;
Treu als Gatten:
Auf der Waldenburg Geschlecht
Fällt kein Schatten.“




Tief in der Nacht hörte Fanny einen entsetzlichen Schrei aus dem Schlafgemach ihrer Herrin. Sie eilte hinüber. Stephanie saß gespensterbleich, mit weitgeöffneten, starren Augen auf ihrem Lager. „Der Schatten,“ sagte sie von Schauern geschüttelt, „der Schatten war wieder da!“




3.

Montigny hatte die Damen bis zu ihren Zimmern begleitet und war dann in den Adler zurückgekehrt, wo Baron Aßperg mit den noch anwesenden Officieren am Spieltisch saß. Er verlor und schuldete dem Baron, als man beim Anbruch der ersten Frühröthe endigte, eine bedeutende Summe. Lafleur, der das Frühstück servirte, fand Herrn von Montigny auf dem Divan ausgestreckt und eine Zeitung lesend. „Man ist nicht bei Laune,“ sagte sich Lafleur, während er den Tschibuk für Edgar in Stand setzte. Er präsentirte die Pfeife.

Montigny gab mürrisch zu verstehen, daß er nicht rauchen wolle.

Lafleur nahm den Ausdruck tiefster Verzweiflung an. „Haben der gnädige Herr nicht gut geschlafen? Befehlen der gnädige Herr Brausepulver?“

„Nein.“

„Wissen Euer Gnaden schon die Neuigkeit? Der Schatten ist heute Nacht wieder erschienen.“

„Wer?“

„Der Schatten im gelben Zimmer.“

„Dummes Zeug!“

„Das Fräulein erzählt’ es der Kammerjungfer. Er soll heute schon bedeutend größer als gestern gewesen sein. Die Frau Gräfin ist krank vor Schrecken.“

„Liegt sie zu Bett?“

„Nein, seit einer Stunde ist sie auf, aber Titi findet sie sehr blaß und melancholisch. An der Frau Gräfin Stelle schliefe ich keine Nacht länger neben dem gelben Zimmer, und wenn ich was zu sagen hätte, so würde das ganze Schloß umgebaut, ohne Schlupfwinkel, geheime Thüren und Gänge.“

Montigny hob den Kopf empor. „Was für geheime Thüren und Gänge?“ fragte er aufmerksam.

„Ja, das weiß man eben nicht. Als der grüne Saal zum Gewächshaus gemacht wurde, fand man hinter dem Getäfel eine Treppe, die zum rothen Zimmer im ersten Stock führte. Nun, solcher Treppen kann es mehrere geben. Die Kammerjungfer behauptet, der selige Graf und Pater Angelo hätten sie gekannt, Vielleicht kennt sie aber auch ein Anderer, den wir nicht kennen. Vielleicht lebt Einer im Schloß und mitten unter uns, den Niemand sieht und hört …“

Montigny sah den Bedienten wie Jemanden an, der uns eine neue Idee giebt. Lafleur lächelte voll Genugthuung über seine eigene Schlauheit. „Der dumme Mohr,“ fuhr er fort, „Titi und alle Andern im Vorzimmer schwören darauf, daß der Schatten der Geist des seligen Herrn sei. Noch einfältiger aber schwatzt seine Amme, die Kreislerin. Die Alte ist seit Jahren verrückt. Wenn Unsereiner sie besucht – wir thun’s der Merkwürdigkeit wegen – und fragt sie nach dem seligen Herrn, sagt sie, ihr Heinzi wäre gar nicht todt, ihr Heinzi lebte noch. Und fragt man sie weiter woher sie denn das wisse, legt sie die Hand auf den Brustlatz und antwortet: daher! … Na, das ist purer Unsinn, denn ist Einer ’mal eingesargt, kommt er nicht wieder ’raus. Aber daß Jemand im Schloß ist, der nicht hineingehört, das glaub’ ich.“

„Lafleur, Sie sind so einfältig, wie die Andern.“

„Ach, Herr von Montigny,“ grinste der Diener, „das meinen Sie doch nicht im Ernst. Uebrigens habe ich noch eine Bitte –

„Rasch, rasch! Sie sind ein unerträglicher Schwätzer.“

„Der neue Kaplan war grob gegen mich.“

„Sie werden es verdient haben.“

„Bitte, Euer Gnaden, dem ist nicht so. Wie ich das Frühstück für Euer Gnaden aus der Küche holen will, hält mich der Kaplan an und fragt nach der gräflichen Bibliothek. – Die ist in Körbe verpackt, sage ich, und nach dem Speicher gebracht. – Was, schreit er, die kostbare Bibliothek! – Ich zucke die Achseln und sage, daß ich weder den Herrn Grafen, noch seine Bibliothek gekannt hätte. – Schaffen Sie augenblicklich die Bücher nach meinem Zimmer! spricht Herr Stein. – Ich habe keine Zeit, antworte ich, Herr von Montigny wartet auf sein Frühstück. – Erst gehorch Er mir, knirscht er. – Das werd’ ich bleiben lassen, sag’ ich. Ich gehorche hier nur Herrn von Montigny und der Frau Gräfin … Was thut er? Weiß der Geier, woher die alte Vogelscheuche auf einmal soviel Kraft bekam! Er faßt mich am Kragen und zerrt mich die Treppe hinauf bis in den Speicher. Ich raisonnirte und wehrte mich, aber es half nichts. Korb für Korb mußt’ ich ihm nach dem Thurm schleppen … Ja, erst gehorcht man mir und dann Herrn von Montigny, hat er gesagt. Wenn also der Kaplan mich bei der Frau Gräfin verleumden sollte, bitt’ ich, daß Euer Gnaden –“

„Genug davon,“ unterbrach ihn Montigny. „Gehen Sie jetzt zum Baron. Ich lasse ihn bitten, mich auf der Terrasse zu erwarten.“

Lafleur verbeugte sich und ging. „Ich bin gerächt,“ triumphirte der Bediente. „Der Pfaffe muß aus dem Haus,“ dachte Montigny. „Ich will nur Leute um mich, die Respect vor mir haben.“




Der Tag war heiß. Als die Sonne im Mittag stand, machte Heinrich einen Gang durch den Garten. Im Vorüberschreiten hört er aus einer Laube die Stimmen Edgar’s und Aßperg’s. Sie sprachen französisch. Waldenburg wollte vorbeigehen, aber der Klang seines eigenen Namens bannte ihn.

„Mein Vetter Heinrich dreht sich im Sarge um,“ sagte Montigny.

„Diese Rücksicht hindert Sie doch nicht?“ versetzte der Baron.

„Doch, doch! Der Graf war ziemlich gut gegen mich; er ließ mich reisen und bezahlte zweimal meine Schulden … Freilich war unser Verhältniß kein zärtliches. Wir paßten zusammen wie – wie ein Gebetbuch und Heine’s Romanzero. Auch stand ich nicht in der Gunst seines Herzbruders und Gewissensrathes Angelo. Ich nehme daher ohne Bedenken von meiner Cousine Herz und Hand Besitz, aber sein Schloß, seinen Stammsitz veräußern – Pest! Meine Mutter war eine Waldenburg; es empört sich mein Blut gegen diesen Handel.“

Heinrich zuckte zusammen; er konnte den Platz nicht mehr verlassen.

„Gut,“ hörte er den Baron sagen. „Das ist recht rührend, recht gewissenhaft. Nur schade, daß Sie nicht noch einen Cousin haben, der Ihnen zum dritten Male Ihre Schulden bezahlt. Schulden, die wohl das Sechsfache Ihrer früheren Verpflichtungen betragen.“

„Herr Baron!“ brauste Montigny empor.

„Recht so, spielen Sie den Beleidigten, weil ich Ihr Freund bin und Ihr Retter werden will, weil ich Ihnen den Abgrund zeige, an dem Sie stehen. Kein Wort weiter! Wenn ich nicht Ihr aufrichtiger Vertrauter sein darf, will ich gar nicht Ihr Vertrauter sein.“

„Nun, in Henkers Namen, seien Sie aufrichtig! Halten Sie mir den Spiegel vor, machen Sie mir die Hölle heiß! Ich kann nicht mehr Kopfweh bekommen, als ich schon habe.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)