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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und im prachtvollsten Ultramarinblau leuchtenden Genzianen. Außerdem waren ihre Körbchen mit duftenden Walderdbeeren gefüllt, die sie einem armen Mädchen für wenige Kreuzer abgekauft hatten.

Die Sonne, eine goldstrahlende Fürstin, versank hinter das Faltengebirge. Weiter und tiefer legten sich die Schatten über die Thalebene; die Madonnenbilder an den Wegen wurden in Dunkel gehüllt, die Wälder schwärzer. Immer höher kroch die Nacht an den Wänden der Bergriesen hinauf, bis endlich nur noch deren höchste Häupter, wie leuchtende Inseln, über die schattenreiche Unterwelt emporragten.

„Gott, Gott, wie schön, wie himmlisch schön!“ rief Albertine, und ihr von einer Thräne feuchtes Auge trank mit Entzücken dies kostbare Abendbild. „Schaut, schaut,“ fuhr sie begeistert fort, „wie prächtig die Alpen glühen!“

Der Maler, mit Zusammenpacken seiner Zeichnungen und Studien beschäftigt, erwiderte: „Das ist kein Alpenglühen, Fräulein, das ist die einfache Sonnenbeleuchtung, wie wir sie zu Hause auch haben, nur mit dem Unterschiede, daß unsere Berge die hiesigen kaum um das Zehntheil an Höhe erreichen.“

„Was versteht man denn da eigentlich unter Alpenglühen?“ erkundigte sich Sophie.

Der Göttinger Docent war unter die Veranda getreten und belehrte die Schwestern über die wunderbar schöne Naturerscheinung.

„Freund Leonhard,“ sprach er, „hat vollkommen Recht, die Beleuchtung der Bergspitzen, wie wir sie heute und diese Tage daher gehabt, ist noch lange kein Alpenglühen, obschon sie von Vielen, die zum ersten Male in die Berge kommen, dafür gehalten wird. Im Gegentheil, gerade an Tagen, wo, wie heut, die Sonne klar und wolkenfrei untergegangen, dürfte sich die schöne Erscheinung kaum zeigen. Es gehören eigenthümliche atmosphärische Bedingungen dazu; namentlich ist von Nöthen, daß die Sonne hinter leichten, wässrigen Wolkenschichten untergeht, wo sich dann gleichsam ihr rother Strahl bricht und die Berge mit Purpur färbt; wenigstens habe ich die Erscheinung für die hiesige Gegend also erklären hören; ob sie die allein richtige, mag dem Physiker überlassen bleiben.“

„Dann,“ seufzte Albertine, „werden wir am Ende das Alpenglühen nie zu sehen bekommen!“ – Der folgende Tag war ein Regentag. Erst am Spätnachmittage klärte sich der Himmel. Wir benutzten die paar goldenen Sonnenblicke, um in dem nahgelegenen österreichischen Grenzdörflein Großgmein, das in der Umgegend durch seinen billigen Ungarwein und schmackhafte Forellen bekannt ist, unser Abendbrod einzunehmen. Wohlgemuth saßen wir unter den alten Linden, die nahe am Wirthshause ein grünes Dach bauen. Vom Kirchthurme herüber tönte das Abendläuten. Schon auf dem Herwege hatten wir nicht ohne Verwunderung wahrgenommen, wie der Maler wiederholt stehen blieb und am Himmel Beobachtungen anstellte. Diese meteorologischen Studien schien er auch fortzusetzen, nachdem wir unter den Linden Platz genommen. Es ließ ihm keine Ruhe, fast aller zehn Minuten stand er auf und bestieg den nahen Hügel, worauf der Friedhof des Dorfes gelegen war. Wir glaubten anfangs, er traue dem Wetter nicht und sei besorgt wegen eines regenvollen Heimweges.

Indeß hatte die geschäftige Annemirl für die Damen die gewünschte Milch und für die Herren die goldgefüllten Biertöpfchen gebracht. Der Maler stand wieder auf dem Hügel und observirte den Himmel gen Tyrol. Der Göttinger Docent, mit Kennermiene das Bier prüfend, rief ihm zu: „Herr Wetterprophet, lassen Sie doch den Himmel auf sich beruhen und kommen Sie zu uns, das Theisendorfer ist famos.“

Plötzlich stürmte der Angerufene in gewaltigen Sätzen und freudig erregtem Gesicht den Hügel herab. „Albertine,“ rief er, „Glückskind, Sophie, kommen Sie, kommt Alle, rasch, rasch!“ Damit eilte er durch das am Wirthshause gelegene Gärtchen nach einer kleinen Anhöhe, von wo man das ganze Thal prächtig überschauen konnte. Ohne zu wissen, worum es sich handle, aber nicht ohne eine gewisse freudige Ahnung, ließen wir Alles stehen und folgten dem Maler.

Die kleine Anhöhe war bald erreicht. In anderthalbstündiger Entfernung wälzte der Untersberg ernst und waldumnachtet seine Massen gen Himmel. Zur Rechten starrte, wie die versteinerten Fluthen eines Weltmeers, das Lattengebirg. Zwischendurch schauten aus weiter Ferne die Bergriesen von Berchtesgaden. Weiter zur Rechten erhoben der Müllnerberg und das Ristfeuchthorn ihre wolkenthronenden Häupter, während der Hintergrund durch die Pyramiden der beiden Stauffen geschlossen ward.

Da mit einem Male begannen sich die Zinnen des Untersbergs mit einem völlig ungewohnten, wunderbaren rothen Schimmer zu überziehen. Erst ganz leise, wie angehaucht, allmählich röther und tiefer – immer röther, immer tiefer, bis endlich die ganze obere Hälfte des Berges in Feuerpracht, einem rothglühenden Eisen vergleichbar, majestätisch zum Himmel ragte.

Bezaubert hingen unsere Augen an dem unvergleichlichen Schauspiel, als der Maler mahnte, uns umzuschauen. Gott im Himmel, was war das? Welch neue überraschende Pracht und Herrlichkeit! Nicht der Untersberg allein – nein, so weit der entzückte Blick immer schweifte, ringsum, in der Nähe, in der Ferne, alle Bergeskronen, die großen, die kleinern glühten in demselben Purpurschein. Das ganze Thal gen Berchtesgaden schwamm in rothem Dufte, über welchem die Schneefelder des hohen Göhl im holdesten Rosalichte daher leuchteten. Es war ein Leuchten und Glühen, wie bei einem Weltbrande.

Und so standen wir und schauten in stummem Entzücken. Da allmählich erloschen die tiefer gelegenen Bergeskronen und versanken in das schweigende Reich der Schatten. Bald folgten die mittleren Berge; nur die höchsten Majestäten glühten noch eine Zeit lang und leuchteten wie vereinzelte Goldkronen weit hinaus über die abenddunkelnde Welt. Endlich verglühte auch der Untersberg; es folgte der Müllnerberg, das Ristfeuchthorn, die beiden Stauffen und schließlich leuchtete nur noch das Sonntaghorn als vereinsamte Goldpyramide aus Tyrol herüber. Da erlosch auch diese, und die Schatten der Nacht traten in ihr alles Recht. – Mit einer Weihe, als habe uns der Himmel in sein goldnes Reich schauen lassen, kehrten wir nach unseren Tischlein unter den alten Linden zurück, wo indeß die Annemirl für ein frugales Abendbrod Sorge getragen.

„So schön hab’ ich’s nimmer g’schaut,“ sagte Letztere. Sie meinte das Alpenglühen.

Der Maler aber erzählte auf dem Heimwege: „Nächst dem heutigen prachtvollen Alpenglühen entsinne ich mich noch eines zweiten ähnlichen, das ich vor zwei Jahren in hiesiger Gegend erlebte; nur mit dem Unterschiede, daß ich mich damals nicht im Thale, sondern auf fünftausend Fuß hoher Alp befand. Es war unbestritten die erhabenste Viertelstunde meines Lebens. Auch damals hatte es zuvor anhaltend geregnet, und erst gegen Abend klärte sich der Himmel. Meine mehrstündige Gefangenschaft in einsamer Alphütte, worein mich unverhofft eingetretener Regen getrieben, sollte königlich belohnt werden.

Nachdem ich Stunden lang in trostlos eintönige Wolken geschaut, die wie Schneeberge an dem kleinen Alphüttenfenster vorüberzogen, hatte endlich der Regen nachgelassen. Es ward heller, die Wolken begannen dünner zu werden, die Nebel sich zu zertheilen, so daß mir von Zeit zu Zeit durch die zerrissenen Himmelsdecken ein entzückender Blick in die Unterwelt vergönnt war. Der Geist der Berge schien es aber damals absonderlich gut mit mir zu meinen. Allmählich wurden sämmtliche Wolkenvorhänge hinweggenommen, alle Nebel zerflossen, so daß nach kurzer Zeit die gesammte Alpenwelt von Kärnthen, Salzburg und Tyrol mit ihren Schneekronen, Eispyramiden, Gletschern und Schneefeldern, vom Großglockner bis zur Ortlesspitze, abgeklärt in der Abendbeleuchtung ruhte. Es war wie eine Zauberei, wie eine Phantasmagorie und doch die prachtvollste Wahrheit.

Diesem herrlichen Schauspiele sollte aber die Krone aufgesetzt werden. Plötzlich bemerkte ich, wie sich unter der dem Untergange ziemlich nahestehenden, aber von leichtem Gewölk umhüllten Sonne zwei lange goldne Streifen bildeten, und mit einem Male eröffnete sich eine Pracht, wie ich solche nie geschaut im Leben. Die Alpen begannen zu glühen wie heut, in der Nähe, in der Ferne, nur daß damals Hunderte von goldenen Kronen daher leuchteten, alle Thäler in rothem Dufte schwammen und die zahlreichen Schneefelder und Eispyramideu im holdesten Rosa schimmerten.

Ich war wie verklärt. Wie wiederholt ich das Alpenglühen vom Thale aus bewundert, es verschwand gegen die Himmelspracht, die sich mir auf der Höhe erschloß. Ich hatte das schönste Bild

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_312.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)