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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Marmortafeln, einer älteren vom Jahre 1650 und einer neueren von 1826, die amtliche Versicherung lasen, daß hier das Geburtshaus des großen Entdeckers von Amerika stehe.[1]

Nun erwarte ich freilich, daß die Kritiker über mich herfallen und erklären werden, daß Columbus’ Geburtsstätte nicht geschichtlich nachzuweisen stehe, daß sich um diese Ehre so viel Orte streiten, wie um Homer’s Geburtsstadt, daß insbesondere Genua selbst darauf Anspruch mache, indem sich der große Admiral selbst immer nur einen gebornen Genueser genannt hat, sodann Piacenza, Cuccaro, Finale, Oneglia, Savona und Boggiasco. Was Alles ausführlich zu lesen ist in Washington Irving’s berühmter Geschichte des Lebens und der Reisen des Christoph Columbus (im fünften Anhang des letzten, 4., Bandes). Hierauf erwidere ich, daß Columbus gewiß mit Recht, auf seine freistaatliche Abstammung stolz, sich einen Genueser genannt haben wird, weshalb er nicht in der Hauptstadt selbst, sondern nur im Staate Genua geboren zu sein brauchte. Vor Allem aber bestimmt mich der Umstand, daß keine andere Stadt uns so wie Cogoletto einen bestimmten, sicht- und greifbaren Punkt als Columbus’ Geburtshütte aufweist und daß kein Platz der Welt geeigneter war, die Wiege und Jugendzeit des Mannes aufzunehmen, dessen Ahnungen und Combinationen über tausend Meilen hinüber eine neue Welt finden sollten. Ich kann mir recht gut vorstellen, wie der phantasiereiche Knabe in diesem Fleckchen, zwischen Meer und Gebirge eingeklemmt, jenseits des Ersteren unbekannte südliche Welten, jenseits der Letzteren wunderbare nordische Länder geahnt und geträumt haben mag; wie er, in den das Gärtchen bespritzenden Meereswogen herumwatend, schwimmend und kahnend, frühzeitig jene Vertrautheit mit dem salzigen Elemente erworben haben mag, welche ihn später zu einer noch heute ungewöhnlichen Kühnheit im Befahren des unendlichen Oceans sowohl als der gefährlichsten Korallenriffe und Inselklippen des westindischen Meerbusens befähigte? Denn man darf nicht übersehen, daß diese vermessene und dabei doch umsichtvolle Kühnheit, dieses innige Vertrautsein mit dem Seeleben und seinen Gefahren eine der ersten Vorbedingungen war, welche ein Mann besitzen mußte, der mit Vorbedacht und Entschluß darauf ausging, die unbekannte Hälfte des Erdballs zu umschiffen.

Hinweg also mit den Zweifeln! Sei’s hier oder in der Nähe, wir stehen auf einer Stätte, würdig zur Erinnerungsfeier an denjenigen Mann, dem die europäische Menschheit mehr vielleicht als manchem Anderen ihre Erlösung aus schauderhafter Verdummung und ihren Uebergang zu einem System ununterbrochenen geistigen Fortschreitens auf der Bahn thatsächlichen Forschens und kühner Entdeckungen verdankt. Diese Bedeutung des Columbus klar zu machen, ist der Zweck unseres heutigen Artikels.

Die Geschichte des Columbus und seiner Reisen ist wohl den meisten unserer Leser aus Campe’s vielgelesener Kinderschrift oder aus dem erwähnten classischen Werke W. Irving’s bekannt genug. Für unsern Zweck genügt es, an folgende Umstände zu erinnern. Columbus widmete sich frühzeitig mathematisch-geographischen und andern dem Seefahrer nöthigen Studien und war von Jugend an Seefahrten gewöhnt. An der Seite zweier, ebenfalls als Schiffsbefehlshaber berühmter Verwandter nahm er schon als junger Mann an den für jene Zeit sehr kühnen und großartigen Entdeckungsreisen Theil, welche von den Portugiesen längs der westafrikanischen Küste nach den canarischen Inseln und dem grünen Vorgebirge hin ausgedehnt wurden. Er reiste aber auch nach Norden, bis nach Island und hatte demnach den längsten Strich der damals bekannten Welt, ziemlich 50 Breitengrade, also etwa den 7. Theil des Erdumfanges beschifft. Theils auf diesen Reisen, theils bei seinem Aufenthalt in Portugal, wo er sich verheirathet und niedergelassen hatte, aus den Nachrichten zahlreicher anderer Seefahrer und Erdkundiger, sammelte er jene Summe von Thatsachen, aus denen sich in immer steigender Gewißheit die Schlußfolgerung ergab, daß im Westen von Europa ein großes Festland liegen müsse, von welchem her die Wellen nicht selten Baumstämme, tropische Früchte, menschliche Schnitzwerke und sogar die Leichen einer neuen Menschenrace an die Küsten der westeuropäischen Länder anschwemmen.

Die Art und Weise, wie Columbus diese Thatsachen sammelte, bewahrheitete, zusammenstellte und zu haltbaren Schlußfolgerungen verwendete, entspricht ganz der Art, wie es die Naturforscher heutzutage beim Aufsuchen neuer Wahrheiten machen, dem sogen. Inductionsverfahren. Daher kam aber auch jene Macht der Ueberzeugung, welche unsern Columbus veranlaßte, in jedem Mißgeschick und unter unaufhörlichem Kampf mit unverständigen oder flachen Menschen sein Project 18 Jahre lang festzuhalten und von einer Regierung zur andern zu wandern, um zur Ausführung desselben ein paar elende Schiffe und eine verhältnißmäßig unbedeutende Summe – welcher er sein gesammtes eigenes Vermögen zulegen mußte – bewilligt zu erhalten. Es ist bekannt, daß ihm hierzu schließlich mehr das Vertrauen der Königin Isabella verholfen hat, welche mit weiblichem Takt den ehrlichen Mann in Columbus erkannte und ihm zeitlebens eine treue Beschützerin blieb, als die Intelligenz der Gelehrten und Staatsmänner, denen sein Plan und dessen Gründe zur Prüfung vorgelegt wurden. Im Gegentheil! Die noch erhaltenen Verhandlungen dieses zu Salamanca im Dominikanerkloster St. Stephan von Professoren der Astronomie, Geographie, Mathematik und anderer Wissenschaften, so wie von verschiedenen kirchlichen Würdenträgern und gelehrten Mönchen abgehaltenen Rathes beweisen nur allzukläglich, bis zu welchem Grad der Verdüsterung und Verkehrtheit die Köpfe in jener Zeit „durch mönchischen Aberglauben und Falschwisserei“ gerathen waren.

Die echte Gelehrsamkeit hatte in Spanien bisher so wenig Fortschritte gemacht, daß diese vermeintlichen Weltweisen nicht einmal die ersten Gründe begriffen, worauf Columbus seine Muthmaßungen und Hoffnungen stützte. Gleich an der Schwelle der Untersuchung wurde Columbus statt geographischer Einwürfe mit Stellen aus der Bibel und mit den darauf bezüglichen Auslegungen der Commentatoren und Kirchenväter angegriffen. Mathematische Beweise wurden aus der Kirchenlehre widerlegt. Dem einfachen Satze, daß die Erde eine Kugel ist, wurden die bildlichen Ausdrücke der Bibel entgegengehalten, wonach der Himmel mit einem ausgespannten Teller (in den Psalmen) oder einem Zelte (bei Paulus) verglichen wird. Daß es Gegenfüßler (Antipoden) gebe, ward mit Lactantius für absurd erklärt. Einige behaupteten, der Umfang der Erde sei so groß, daß eine solche Seefahrt drei Jahre dauern müßte. (Columbus rechnete nur 7–800 Seemeilen.) Andere behaupteten, daß ein Schiff, wenn es dorthin gefahren sei, wegen der Kugelgestalt der Erde nicht wieder zurückkommen könne, weil es dann bergauf segeln müsse! (Als ob dies nicht auch von der Hinfahrt gelten müßte!) Noch Andere behaupteten, daß es unterm Aequalor so heiß sei, daß Alles verbrennen müsse. Und doch waren die Portugiesen damals schon seit Jahren in den Aequatorländern herumgeschifft, und Columbus mit ihnen!

Die Mehrzahl zeigte sich schon im Voraus gegen dieses Project eines unbekannten Abenteurers eingenommen. Sie sagten, es sei Vermessenheit, wenn Jemand klüger sein wolle, als alle gelehrten Leute vor ihm. Wenn es wirklich solche Länder gäbe, so würden sie durch den Scharfsinn früherer Jahrhunderte schon längst entdeckt worden sein. Es sei eine starke Anmaßung von solch einem gemeinen Mann, gegenüber von Männern in hohen Aemtern und Würden zu glauben, daß ihm große neue Entdeckungen vorbehalten seien.

Und doch, lieber Leser, dürfen wir uns beim Vernehmen dieses Unsinns, welchem nur das Eine entgegenzuhalten war: „Versucht es doch, anstatt darüber zu disputiren!“ wir dürfen uns wahrlich nicht zu sehr unserer heutigen Weisheit rühmen. Noch vor dreißig Jahren sind gegen den Entwurf der ersten größern deutschen Eisenbahn, der von Leipzig nach Dresden, nicht minder lächerliche Bedenken und Vorausurtheile vorgebracht worden, wie beim hohen Rath zu Salamanca, etwa die Bibelsprüche und Kirchenvater abgerechnet. Denn der mittelalterliche Geist der Autoritätsgläubigkeit und Vorauswisserei ist heutzutage noch lange nicht vollständig aus den Köpfen der Leute verschwunden. Noch heute giebt es Länder,


  1. Für die Sprachkundigen unserer Leser setzen wir die Inschriften des Columbus-Häuschens her:

    Hospes, siste gradum: fuit hic lux prima Columbo,
    Orbo viro majori: heu, nimis arcta domus.

    („Wandrer, hemme Deinen Schritt: hier sah Colum das erste Licht,
    ein Mann, größer als der Erdkreis; – ach, ein enges Häuschen.“)
    Unus erat mundus; duo sunt, sit iste: fuere.
    („Es gab nur eine Welt. Zwei sind es, sprach Er: sie waren.“)
    Con generoso ardir, dell’ area all’ ondo
    Ubbidiento, il vol Colomba prento
    Corre, s’aggira terron scopre e fronde
    D’olivo in segno al gran Noë ne rende.
    L’imita in cio’ Colombo nè s’asconde
    E da sua patria il mar soleando fende.
    Terreno altin scoprendo diede fondo
    Offerendo all’ Ispano un nuovo mondo.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_315.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)