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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Mit dem größten Vergnügen, mein Herr!“ entgegnete sehr höflich der Nationalgardist und folgte dem Bräutigam nach der Mairie. Als er von der Feierlichkeit zurückkehrte, schien mir sein Gesicht ganz verklärt.

Mittlerweile war der Sergeant wieder an mich herangetreten, stieß mich mit dem Ellenbogen an und flüsterte mir zu: „Jetzt hat er seinen Zweck erreicht; er ist Hochzeitsgast.“

„Wirklich?“

„Versteht sich; man kann doch einen Mann, der die Gefälligkeit gehabt hat, den Contract mit zu unterzeichnen, nicht wieder verabschieden, ohne ihn zum Hochzeitsschmause und Balle einzuladen.“

„Und er macht das Geschäft alle Sonnabende?“ (Der Sonnabend ist nämlich der Tag, der in der Regel zu den Trauungen auf den Mairieen anberaumt wird.) „Ja, alle Sonnabende, und zwar in der Hoffnung, daß es ihm einmal glücken wird, irgend eine der niedlichen Brautjungfern als Gattin heimzuführen. Er ist übrigens kein übler Mensch, hat angenehme Manieren, ist sehr unterrichtet, leider aber besitzt er einen Hauptfehler.“

„Und der wäre?“

„Er ist arm, wie eine Kirchenmaus.“

Wir hatten eben, der Sergeant und ich, unsere Unterredung beendet, als der heirathslustige Nationalgardist an seinen Vorgesetzten herantrat und ihn für den heutigen Abend um Urlaub bat.

„Wie gewöhnlich!“ sagte lachend der Sergeant.

„Was wollen Sie? Ich suche die Gelegenheit, Bekanntschaften anzuknüpfen, und darum übernehme ich das Geschäft eines ‚fünften Zeugen‘. Das ist ein Gewerbe, so gut wie ein anderes.“

„Ich wünsche, daß Ihnen die Hochzeit, der Sie heute beiwohnen werden, Glück bringen möge!“ sagte ich, indem ich mich in das Gespräch mischte.

„Gott gebe es,“ erwiderte der Nationalgardist, „ich bin dreißig Jahre alt, demnach ist es die höchste Zeit, und ich muß mich dazuhalten.“

„Wohlan,“ entgegnete ich scherzend, „ich habe Ihnen heute keine Concurrenz gemacht, und dafür müssen Sie mir einen Dienst leisten.“

„Mit Freuden; Alles, was ich kann!“ rief er.

„Wenn Sie sich in Folge des heutigen Hochzeitsballes, dem Sie beiwohnen werden, verheirathen, so erzeigen Sie mir die Ehre, mich zu Ihrem Trauzeugen zu wählen.“

„Topp! Ich nehme Ihr Anerbieten an!“ sagte er vergnügt. Wir schüttelten uns die Hände, wechselten unsere Karten und trennten uns lachend.

Zwei Monate waren verflossen. Ich hatte das lustige Abenteuer schon wieder vergessen und hatte mich begnügt, das Geschäft eines „fünften Zeugen“ meiner Liste über seltsame Gewerbe beizufügen. Da brachte mir einen schönen Morgens die Post zwei Briefe. Der eine, schön gestochen auf elegantem Papier, war folgenden Inhaltes: „Herr Anatole Desberois giebt sich die Ehre, Ihnen seine Verlobung mit Cléonine verwittweten Frau von Arboville anzuzeigen. Die feierliche Einsegnung dieses Bündnisses, welcher er Sie beizuwohnen bittet, wird kommenden 17. März in der Kirche Notre-Dame de Lorette stattfinden.“

Der andere Brief sagte Folgendes: „Ich habe Ihnen versprochen, Sie zu meinem Trauzeugen zu wählen, wenn ich mir auf dem Hochzeitsballe, zu dem ich mich in Ihrer Gegenwart einladen ließ, eine Frau erobern könnte. Das Glück hat mir gelächelt, und der Maire des zweiten Arrondissements wird nächsten Sonnabend meiner innigsten Befriedigung gesetzliche Geltung verschaffen. Ich bitte Sie, mir zum Zeugen zu dienen; lassen Sie mich aber ja nicht im Stiche, denn, soviel ich weiß, habe ich noch keinen Nachfolger im Hofe der Mairie.

Anatole.“ 

Zwei Tage vor der Hochzeit begab ich mich zu dem glücklichen Sterblichen und hoffte von ihm den nähern Bericht über sein Glück zu erfahren.

„O,“ sagte er, „jener Hochzeitsball war mir günstig.“

„Aber eine Wittwe!“ warf ich ein.

„Ja wohl, eine Wittwe, aber immerhin eine reizende Frau!“

„Hat sie Vermögen?“

„Sehr viel.“

„Kinder?“

„Nein.“

„Sie werden also reich durch sie?“

„Ja; das ist aber gerade, was mich ärgert, denn ich liebe sie wirklich.“

„So sind Sie denn belohnt und glücklich durch Ihr sonderbares Gewerbe?“

„Allerdings. Aber da fällt mir ein, Sie sind ja auch unverheirathet, warum folgen Sie nicht meinem Beispiel?“

„Wer weiß, was geschieht,“ sagte ich, „jedenfalls soll mir Ihr glückliches Abenteuer nicht verloren sein!“

Ich nahm mir vor, die lustige Geschichte dem freundlichen Leser der Gartenlaube zu erzählen und zu etwaiger Nachachtung zu empfehlen.




Aus den Erinnerungen eines Secretairs der „großen Oper“ zu Paris. „Sieben Jahre bei der Oper.“ So heißt ein Werk, welches soeben in Paris erschienen ist und einen Secretair an der kaiserlichen Oper zum Verfasser hat. Es enthält interessante Einzelnheiten und nützliche Documente über einen Gegenstand, der das allgemeine Interesse und somit auch das Ihrer Leser mehr oder minder in Anspruch nimmt. Ich theile Einiges daraus mit.

Niemand besser als der Secretair der Verwaltung ist in der Lage, uns über die Eintheilung und Vertheilung der Plätze in jenem weitläufigen und großartigen Opernhause Aufklärung zu geben, wohin die große Masse der Fremden sehr bald nach ihrer Ankunft in Paris zu strömen pflegt. Fast sämmtliche Logen und der größte Theil der Sperrsitze sind fortwährend abonnirt; von den verfügbaren Plätzen kommt eine nicht unbedeutende Anzahl auf Autoren und Journalisten, die zu Freibillets berechtigt sind. Somit ergiebt sich das für Opernlustige ziemlich traurige Resultat von etwa 4 bis 500 disponiblen Plätzen auf 3000 Anfragen, die durchschnittlich einlaufen. Der Zudrang zu den ersten Vorstellungen neuer oder neu einstudirter Opern ist ungeheuer, und es erscheint fast unglaublich, welche Intriguen und Machinationen angewendet werden, um den Eintritt zu diesen Festlichkeiten zu erlangen. Als Beleg dafür erzählt der Verfasser folgenden komischen Zug. Ich lasse ihn selbst sprechen:

„Es giebt Leute, die, um einen Platz in der ersten Vorstellung einer neuen Oper zu erlangen, einem förmlich die Pistole auf die Brust setzen. So entsinne ich mich der ersten Vorstellung des ‚Tannhäuser‘; es war im ganzen Hause nicht das kleinste Plätzchen mehr zu vergeben oder zu verkaufen. Plötzlich trat ein Herr mit einem sehr starken Barte, auffallend hohen Vatermördern und hermetisch zugeknöpftem Oberrocke in mein Cabinet und hielt mir im tiefsten Baßton folgende Anrede: ‚Mein Herr, ich habe vierzig Dienstjahre mit zwanzig Feldzügen hinter mir, bin acht Mal schwer verwundet worden, und dort unten‘ – er zeigte mit verächtlicher Gebehrde nach der Casse, – ‚dort unten will man mir einen Platz zu der heutigen Vorstellung verweigern!’

Die Art, den Eintritt zu verlangen, schien mir so neu und die Ueberzeugung, die der ehrenwerthe Krieger von seinem guten Rechte hatte, kam mir so begründet vor, daß ich das Billet, welches ich für mich selbst zurückgehalten hatte, hervorholte und es ihm anbot. Ein ,Ich danke Ihnen, mein Herr!’ in einem Tone, den Frédéric Lemaitre beneidet haben würde, war der Lohn meiner großartigen Aufopferung.“

Ueber die Kostspieligkeit eines regelmäßigen Logen-Abonnements läßt sich der Verfasser also vernehmen:

„Ich glaube schwerlich, daß die Tänzerinnen den Marquis von C… zu Grunde richten werden, aber was seine Loge ihm bereits kostet, würde manchem Menschen schon für ein ziemlich ansehnliches Vermögen gelten. Es war am Tage einer außerordentlichen Vorstellung, und der Zettel hatte, wie das bei derartigen Veranlassungen üblich ist, die Abonnenten benachrichtigt, daß man über ihre Logen verfügen werde, falls sie dieselben nicht bis zu einer gewissen Stunde für sich selbst in Anspruch genommen hätten. Diese Stunde war bereits vorüber, als der Marquis von C … sich bei mir anmelden ließ. ‚Wie, mein Herr,’ redete er mich an, ‚ist es wirklich wahr, daß man sich erlaubt hat, für diesen Abend über meine Loge zu verfügen?’ Ich berief mich auf die Anzeige, die der Zettel gebracht hatte. ‚Das geht mich Alles gar nichts an,’ fiel mir der Marquis in’s Wort, ‚ich habe meine Loge bereits seit dreißig Jahren inne und bezahle dafür 16.000 Francs jährlich, somit glaube ich mehr Anspruch auf Berücksichtigung zu haben, als alle übrigen Abonnenten.’ 16.000 Francs jährlich? … Das heißt also, daß der Mann bereits 480.000 Francs für seine Loge bezahlt hatte. In der That, er verdiente Berücksichtigung. Seine gewöhnliche Loge konnte ich ihm für jenen Abend nicht mehr verschaffen, da sie bereits vergeben war, aber ich trug Sorge, daß er andere Plätze bekam.“

Es mögen nun einige interessante Notizen über die Debüts von Mme. Gueymard, die berühmte und allgemein bekannte Primadonna der großen Oper, folgen.

„Eine kleine Scene, die sich hinter den Coulissen zutrug, wurde für Mme. Gueymard zu einem ziemlich richtigen Thermometer ihres Triumphes. Zum besseren Verständniß des Nachfolgenden muß ich einige Details vorausschicken. Mme. Gueymard hatte sich nach ihrer Ankunft in Paris an einen der bekanntesten hiesigen Meubleshändler gewendet mit dem Auftrage, er möge ihr eine vollständige Einrichtung, Meubles, Tapeten u. s. w. besorgen. Die Künstlerin und der Händler wären aber nicht ganz einig geworden; Letzterer, der die Leistungen der Debutantin noch nicht kannte, wollte sich nicht zu weit mit ihr einlassen. Mme. Gueymard verlangte eine Einrichtung von Palissanderholz, halbseidene Ueberzüge und eben solche Tapeten; der vorsichtige Meubleshändler schlug dagegen Mahagoni Meubles und Kattun-Ueberzüge vor. Das Geschäft war etwa so weit gediehen, als der Abend der ersten Vorstellung des ‚Trovatore’ heranrückte. Mme. Gueymard debutirte in dieser Oper, in der Rolle der ‚Leonore’. Nach dem ersten Acte kam der Meubleshändler auf die Bühne und sagte der Debutantin leise in’s Ohr: ‚Sie sollen Palissander-Meubles und halbseidene Ueberzüge haben!’ – ‚Warten Sie noch!‘ erwiderte Mme. Gueymard. Sie hatte Recht, denn kaum war der zweite Act vorüber, als der Händler abermals vor ihr erschien und ihr mit dem Ausdruck höchster Befriedigung sagte: ‚Sie können Rosenholz und Damast-Ueberzüge haben!’ ‚Warten Sie noch!’ entgegnete abermals die Sängerin. Endlich war der Vorhang zum letzten Male gefallen; die triumphirende Künstlerin wurde lebhaft hervorgerufen und verneigte sich von der Mitte der Bühne aus vor dem jubelnden Publicum, da unterschied sie durch alle lebhaften Beifallszeichen und Bravo’s hindurch eine Stentorstimme, welche ihr zuschrie: ‚Meubles von Boule, Brokat-Tapeten! Alles was Sie wünschen! Alles! Alles!’ Es war der begeisterte Meubleshändler, der auf diese Art seinen ganzen Laden zu Leonore’s Verfügung stellte.“

„Unser Jahrhundert liebt zu sammeln; Jeder nach seinen Kräften wünscht eine Sammlung zu besitzen: Bilder, Medaillen, Porzellan, seltene Bücher, Autographen, Photographien, Postmarken – Alles wird gesammelt! Der Herzog von Moruy hat sich eine der prachtvollsten Gallerien von Bildern aus allen Zeiten und allen Schulen angelegt. Herr Torre, der Gatte der berühmten Tänzerin Ferraris, besitzt eine prachtvolle Bibliothek der seltensten Bücher, Incunablen, Elzevirs etc. Die Sammler von Photographien und Postmarken bilden geradezu eine Legion; Kinder, Männer, Weiber, Greise, alle Welt beschäftigt sich damit. Diese Sammler kennen sich zumeist untereinander, haben Beziehungen zusammen und tauschen sich gegenseitig ihre Doubletten aus. Einen Sammler aber kenne ich, der schwerlich mit irgend einem seiner Collegen einen Tauschhandel wird eingehen können, und das ist Herr Raffin; er war längere Zeit an der großen Oper als Inspector angestellt. Dieser Herr sammelt – rathen Sie – doch nein, geben Sie sich keine Mühe – Herr Raffin sammelt: Tanzschuhe! und zwar von allen Tänzerinnen, die an der hiesigen Oper mit Beifall aufgetreten und zu irgend einer Berühmtheit gelangt sind. Der Einfall ist unstreitig originell.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_352.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)