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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

zu schenken, doch ein Bettler aufgefallen sein, der sich von allen übrigen sehr wesentlich unterschied.

Es trat in das Local ein Mann von bedeutender Gestalt, ziemlich sechs Fuß hoch, im gewöhnlichen Civilanzuge, einem braunen nicht unmodernen Ueberrock, der, fadenscheinig, aber rein gebürstet, einen schlanken Körper umschloß, dessen Ebenmaß der Glieder eine graziös-natürlich vornehme Bewegung gestattete. Auf diesem Körper saß mit dem glücklichsten Ansatz des Nackens ein edler Kopf, der unter hoher Stirn und dichtem, kurz gehaltenem und etwas grauem Haar ein feingeschnittenes Gesicht zeigte, das mit der Adlernase dem Mann etwas Gebietendes verlieh, das aber jeden Augenblick durch die großen sanften blauen Augen, welche mächtig schwarze Augenbrauen überschatteten, den Ausdruck reizender Bescheidenheit annahm.

Zu meinem Erstaunen war der Mann ein Bettler, der seine Runde abwärts von mir machte, so daß ich, bevor er zu mir gelangte, Zeit behielt, ihn zu beobachten. Wenn er abgewiesen wurde, ging er mit einem unnachahmlichen Schulterzucken weiter, in dem beinahe das Mitleiden sich ausdrückte, mit dem der Franzose von einem Knauser und gemeinen Menschen sagt: „pauvre homme!“

Als er zu mir kam, reichte ich ihm, ehe er noch Zeit gehabt sein Gesuch anzubringen, etwas hier Unerhörtes, nämlich eine Silbermünze, einen französischen Franc, weil ich mir einbildete, daß der Mann, in augenblicklicher Verlegenheit befindlich, sich nur für das eine Mal auf Betteln eingelassen habe. Kaum hatte er das Stück Geld in seine schmale durchaus reine und feine Hand genommen, als er einen schnellen Blick darüber warf, mich einen Moment mit weit geöffneten Augen ansah und dann, in den freundlichsten Ausdruck übergehend, sein: „Grazie, grazie, Signore!“ vorbrachte.

Als er am folgenden Tage wieder das Local betrat, wußte er es so zu machen, daß er mich überging. Es lag darin ein Zug von Bescheidenheit, jedenfalls von Rücksicht auf seine Tributpflichtigen. Er nahm das Geld nicht, wo er es fand, er übte eine Art Staatsraison.

Diese behielt er noch mehrere Tage bei, bis ich ihm nachging und meine Steuer auf die Straße nachtrug. Ich habe aus Niemandes Munde das Italienische so schön klingen hören, und die unverkennbare Bildung des Mannes flößte mir so viel Interesse für ihn ein, daß ich ihn nach seinen früheren Verhältnissen fragte. Mit trauriger Miene antwortete er mir, er sei ein alter heruntergekommener Kaufmann, der aus Mangel an Fonds nichts Neues beginnen könne.

Da ich meinen Beitrag auf ein bescheidenes Maß zurückgeführt hatte, so wurde ich von ihm in den folgenden Tagen wieder unter die Steuerzahler aufgenommen.

So verlief vielleicht eine Woche, als ich von dem Wirthe, zu dem ich des heruntergekommenen Kaufmanns beiläufig erwähnte, erfuhr, daß der Bettler in seinem Leben nicht Kaufmann gewesen sei. „Ich wollte,“ fuhr er fort, „ich könnte den Menschen verweisen, der, ein geborener Graf, sich von Grafen und Principes nicht ernähren lassen will, sondern es vorzieht zu betteln und armen Leuten die Almosen zu entziehen, die diesen statt ihm zufließen würden.“

„Ein Graf?“ erwiderte ich. „Es mag sein, daß er sein Unglück verschuldet hat; aber jedenfalls ist er unglücklich und hat also Anspruch auf die Hülfe seiner Nebenmenschen.“

„Er hat ja Nebenmenschen, Grafen und Principes genug, an die er sich wenden kann, statt das Publicum zu belästigen,“ fiel der Wirth ein. „Diese vornehmen Herren, weil sie, wie man sagt, mit ihm verwandt sind, haben ihm vielfach angeboten, ihm mehr als hinreichenden Unterhalt zu gewähren und ihm dazu eine bestimmte Pension auszusetzen, wenn er das Betteln lassen wolle. Aber der Mensch bettelt aus Leidenschaft; er hat Alles ausgeschlagen und bettelt weiter. Ja, er ist so frech gewesen, mir einmal, als ich ihm Vorwürfe machte, zu sagen: ,Wenn ich einen Schatz fände, ich würde ihn den Armen geben und mich durch Betteln ernähren. Ich will arm sein, um das Himmelreich zu gewinnen, ich muß betteln, es ist das für mich eine religiöse Sache.‘ Dazu, Signore, durfte ich denn freilich nichts sagen; laufen doch auch Bettelmönche umher, die arbeiten könnten. Man muß das Alles ansehen. ,No possumus,‘ Signore, Sie verstehen mich schon; ma viva Garibaldi e Vittorio Emamuele!“ setzte er leise hinzu.

Von mehreren anderen Personen in Rom, theils geborenen Römern, theils Deutschen, die den größten Theil ihres Lebens in Rom zugebracht, wurde mir die Mittheilung des Wirthes bestätigt, und Alle waren betroffen über das Erstaunen, mit dem ich die Sache aufnahm. Sie kannten Alle den für mich räthselhaften Mann unter dem Namen: „Der Bettler vom Capitol“, weil er angeblich in einer der Hütten wohnte, die am Fuße desselben unmittelbar unter dem Tarpejischen Felsen errichtet sind, oder in einem der Häuser ein Unterkommen hatte, die auf dem Hügel selbst vor dem evangelischen Stifte liegen.

Die Gleichgültigkeit, mit der Alle diese wunderbare Leidenschaft für das Betteln in einem Manne aus den höchsten Ständen aufnahmen, bewies mir, daß man in Rom, dessen ganze heutige Existenz ja ein Wunder genannt werden kann, über nichts betroffen ist, und es bewies ferner, daß sich die meisten Menschen nicht die geringste Mühe geben, psychologische Probleme zu enträthseln.

Ich konnte begreifen, daß ein Mensch, träge und arbeitsscheu, die Schmach des Almosenforderns dem mühevollen Schaffen vorziehe, aber daß ein Mann, der auf Grund einer Pension seiner Sucht sich umher zu treiben und zu faulenzen erst recht genügen kann, diese Pension verwerfe, lediglich um zu betteln und, wie dieser, sich durch das schlechteste Wetter hindurchzuarbeiten, um, wie ich gesehen, von Nässe triefend einige Bajecchi zu erjagen und, oft zurückgewiesen, zuweilen sogar hart angelassen, auf diese Art die geringste, knappste Nothdurft des Lebens zu gewinnen: das Alles war ganz widersinnig, war unmöglich.

Bei aller Anstrengung meiner Phantasie war ich nicht im Stande, diese Leidenschaft, wie der Wirth und meine Bekannten es nannten, zu enträthseln. „Sollte es wirklich eine Manie zum Betteln geben?“ dachte ich, „eine Manie, die nicht einmal die religiöse Schwärmerei für sich haben kann, da ja der Mann in einen Bettelorden treten könnte?“

Mich interessirte die Sache täglich mehr, und ich nestelte mich nunmehr meinerseits an den Bettler mit einer Zähigkeit und Leidenschaft, die nur die Wissenschaft und die Liebe zu ihr verleihen können.

Endlich hatte ich den Mann soweit, daß er mir zusagte, ein Abendessen von mir anzunehmen. Er wußte, da er mich dort oft hatte heraustreten sehen, daß ich bei Spillmann, den frères provençaux Roms, zu Mittag aß, und leitete mich gleich auf den richtigen Standpunkt, indem er äußerte, „die Sache sei schwierig, da diesmal der Gast dem Wirth vorschreiben müsse, wo er essen solle, „denn,“ fügte er mit einem Blicke auf seine ganze Person hinzu, „ich würde nicht überall hin folgen können, das würde inconveniente sein.“

Ich beruhigte ihn, indem ich ihm sagte, ich würde mich ihm gern überlassen, ich sei nicht verwöhnt, er möge nur etwas bestellen, so gut es eben zu haben sei; ich würde ihm morgen Abend, wenn er im Café erschiene, auf die Straße nachfolgen und mit ihm gehen.

Wir trafen uns der Verabredung gemäß und gingen in das Häusergewühl, das hinter dem Palazzo di Venezia bis zum Capitol in unentwirrbarem Knäuel von Gassen und Gäßchen ausgebreitet liegt und in den einzelnen Häusern die engen Dimensionen wiedergiebt, mit denen sich die alten Römer hinsichts ihrer Wohnungen begnügten. Das Haus, das wir betraten, war im Eingange so schmutzig, daß ich auf dem hereingeschleppten Unrath des Estrichs mehrere Male ausglitt; endlich aber mündete der Gang oder Flur in ein ziemlich freundliches und reinliches Zimmer, in welchem ein Tisch mit zwei Couverts anständig gedeckt war. „Wir werden hier gut und billig essen,“ sagte empfehlend mein Führer, „und jedenfalls ist der Orvieto vortrefflich.“ Ich wußte, daß Römer der höheren Stände nichts lieber trinken als echten Bordeaux und ihm gegenüber den Champagner weit zurücksetzen. Da mir der römische Wein, der nur heurig getrunken wird, ohnehin schlecht bekam, hatte ich eine Weinhandlung ausgemittelt, die ausgezeichnete Medocs führte, und schickte sofort dahin, um einige Flaschen zu holen.

Es verstand sich von selbst, daß der Bettler mit Anstand aß, noch mehr aber zeigte sich die Bekanntschaft mit den feineren Produkten, wodurch wir das Leben verschönern, als er das Glas zur Lippe führte. Weder hastig, wie der Gierige nach langer Entbehrung, noch mit dem unanständigen Schlürfen sogenannter Kenner,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_418.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)