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2.

Damals war die Zeit großer fürstlicher Bauten. Jeder große und kleine Herr, hat man bemerkt, wollte gern Ludwig XIV. nachahmen und sein Versailles haben. Aber war das in der That nur der Trieb der Nachahmung? Gewiß nicht. Die Zeit gab eben jedem dieser kleinen oder großen Herren sein Versailles, wie unsere Zeit jeder Stadt ihren Bahnhof giebt, ihren zoologischen Garten und ihr Sommertheater. Die Jahrhunderte spiegeln ihren Geist ab durch die Art, wie sie bauen, aber noch weit mehr durch das, was sie bauen. Auf den Kuppeln dieser Schlösser von Schönbrunn, Nymphenburg, Caserta, Stupinigi ruht ein tieferer culturhistorischer Gedanke, als der an die Rococo-Mode, welche Ludwig XIV. zur Herrschaft gebracht, und die Sucht darin mit ihm zu wetteifern.

Stupinigi heißt das Versailles Carl Emanuel’s, des Sardenkönigs. Südlich von Turin liegt es, unfern von Montcalieri, in der Fläche, die der kleine Sangone durchfließt, in einer heißen, staubigen Gegend, die eigentlich sehr reizlos wäre, wenn sie nicht die Aussicht auf das prachtvolle Panorama hätte, die blauen, in schneeigen Gipfelzacken aufsteigenden Alpen, die cottischen, grauen und penninischen Alpen, welche nach drei Seiten hin, im Westen, im Norden und im Osten, den Horizont einrahmen.

An dieser Stelle hatte sich Carl Emanuel eben seinen königlichen Landsitz aufgebaut, ein hohes, weites, vielbewundertes Schloß, das vielgewanderte Leute das prächtigste Europa’s nannten, wenigstens so lange sie die Gäste des Königs waren, und das ein mächtiger Park umgab, dessen Lenôtre’sche Stylcorrectheit gemildert wurde durch einen Anhauch ausonischer Schönheit, durch die immergrüne Vegetation der Pflanzen des Südens und durch italische Kunst, die ihre weißen Marmorbilder inmitten dieses Grüns gestellt hatte.

Der gesammte Hof war in Stupinigi, die Gesandten von Frankreich und Oesterreich waren als Gäste dem Hofe gefolgt. „Ogni giorno festa“, heißt es in Rom, und „ogni giorno festa“ hieß es in diesen schönen Frühlingstagen auch in Stupinigi. Das Fest des heutigen Tages war ein Schäferspiel im Geschmack Guarini’s gewesen, das man in dem Gartentheater des Parks aufgeführt hatte, zwischen Coulissen von geschorenen Lorbeerhecken, die Arkadien bedeuteten; mit Schäfern und Schäferinnen, die Hirtenstäbe mit rosaseidenen Bändern trugen, ihre Milch aus silbernen Schalen tranken, auf hohen rothen Absätzen einherschritten und die Zierlichkeit ihrer seidenen Zwickelstrümpfe und ihrer Gefühle, die Anmuth ihrer Taillen und ihrer Leidenschaften zur vollen Befriedigung ihrer vornehmen Zuschauerschaft gezeigt und entwickelt hatten.

Nach dem Ende des Spiels flammten um das runde Bassin mit den rauschenden Wasserkünsten des Neptunszuges und seiner Tritonen farbige Lampen auf, und die Hofgesellschaft erging sich in dem dem Schlosse naheliegenden Theile des Parks, dessen Mittelpunkt eben dies Bassin bildete. Nur zwei Männer, von denen der eine, der ältere, einen großen Stern auf der dunkellila-seidenen Robe trug, entfernten sich von der Menge und wandelten langsam schlendernd eine Seitenallee hinab.

„Wie beklagenswerth ist es,“ sagte der ältere Herr, „daß die Natur weder mich noch Sie, mein lieber Kaunitz, zu einem Adonis geschaffen hat, wie diesen in rosa Tafft gehüllten Damöt, der eben alle Frauenherzen an sich riß! Was thu’ ich mit all Ihren diplomatischen Gaben, wir kommen um keines Haares Breite weiter damit. Einen Antinous hätten sie mir in Wien zum Legationsrath mitgeben sollen, der hätte dann im ersten Anlauf das Herz der Marquise von San Damiano erobert, und da die Marquise das Herz des Königs lenkt, wie unser Herr die Wasserbäche …“

„So hätten wir doch nichts erreicht,“ fiel der jüngere Mann ein. „Sie wissen ja, Excellenz, wie eifersüchtig der König seine Marquise bewacht und wie gerade die Partei verloren wäre, welche bei ihm in den Argwohn geriethe, zu eifrig seiner Geliebten den Hof zu machen, oder gar sie verführen zu wollen, daß sie sich in seine Politik mische. Darum,“ setzte er lächelnd hinzu, „bedauern Sie nicht, Graf Traun, daß wir Beide keine Antinoen sind, worin Sie leider in betrübendster Weise Recht haben?“

In der That, er hatte darin Recht. Graf Traun war eine mittelgroße, durchaus nicht feine oder durch künstlerisches Ebenmaß der Glieder auffallende Gestalt mit einem sehr ehrlichen guten Gesichte von entschieden deutschem Gepräge, bei dem man jedoch an die Frage, ob es häßlich oder ob es schön sei, gar nicht dachte. Es war eben ein redliches Männergesicht mit nichts, was es hätte auszeichnen können, als höchstens sehr lebhaften und sehr klugen, blauen Augen darin.

Der jüngere Begleiter, den der Gesandte Oesterreichs Kaunitz nannte und der etwa 26 oder 27 Jahre zählen mochte, war freilich eine auffallendere Gestalt, aber um sie schön zu nennen, war sie viel zu hager, zu schlangenhaft beweglich, und der dunkle Kopf mit den schwarzen feurigen Augen war dazu viel zu markirt, zu scharf gezeichnet; die Nase groß und kühn geschnitten, die Lippen schmal und fein, das ganze Gesicht, wenn auch nicht bleich und farblos, doch keineswegs von einem rosigen verklärenden Teint angehaucht – kurz, dieser junge Legationsrath mochte ein ausgezeichneter Schüler Macchiavelli’s sein und berufen, am grünen Tische eines Conferenzzimmers politische Siege zu erkämpfen, welche die Welt umgestalteten – vielleicht, wer weiß es, auch zu großen Siegen auf der Wahlstatt eines Boudoirs berufen und wenigstens sehr im Stande, es sich zuzutrauen; aber schön war Graf Kaunitz nicht!

Sie kamen an eine Steinbank, welche unter einer hohen Marmorstatue, einer Nachbildung der farnesischen Flora, angebracht war, und Graf Traun setzte sich hier. Der jüngere Mann nahm neben ihm Platz, und Beide schauten eine Weile die Allee hinab, welche sie herangekommen, auf die unten lustwandelnde Hofgesellschaft, die in den reichen, buntstrahlenden, aus Seide, Spitzen, Federn, Sammet, Goldborden und Stickereien bestehenden Costümen wie eine von einer trunkenen Schneiderphantasie zusammengedichtete Welt aussah und im Glanze der farbigen Lichtstrahlen ein höchst fesselndes Bild darstellte, dessen Hintergrund das bis zur halben Höhe hinauf beleuchtete Schloß von Stupinigi mit all seinem so wohl zu einem solchen Bilde passenden architektonischen und mythologischen Schmucke bildete.

„Für’s Erste,“ fuhr Kaunitz zu sprechen fort, „verbringen wir unsere Tage hier wenigstens auf höchst angenehme Weise. Seine Majestät von Sardinien liebt die Feste …“

„Oder vielmehr die Frau Marquise von San Damiano liebt sie,“ fiel Traun ein, „für Seine Majestät wäre der Ausdruck ‚liebt‘ schon viel zu leidenschaftlich … und während wir hier die Zeit mit Hoffesten vergeuden, harrt unsere theure Königin schmerzlich von Tag zu Tag auf gute Nachrichten von uns – auf die Entscheidung dessen, was eine Lebensfrage für Oesterreich ist. Ich fühle mich vollständig auf der Folter! Es ist eine entsetzliche Geduldprobe mit diesem langsamen argwöhnischen Monarchen verhandeln zu müssen! Strengen Sie den Scharfsinn an, Kaunitz, auf den Sie so eitel sind, wir müssen vorwärts kommen, vorwärts!“

„Vorwärts – ja freilich; aber wie? Auf geradem, ehrlichem Wege, indem wir dieser sardinischen Politik, die nie genug bekommen kann, Anerbietungen, Verheißungen machen? Was könnten wir bieten, das über die Anerbietungen des Franzosen hinausginge! Der Baron de Breteuil wird immer bevollmächtigt sein, noch einige Quadratmeilen, noch einige Vortheile, noch einige Thaler mehr zu bieten; und begeben wir uns auf das Feld der Intrigue, so scheitern wir an dem vorsichtigen lang überlegenden und zähen Charakter Carl Emanuel’s!“

„In der That, Carl Emanuel ist nur zu sehr der Sohn seines Vaters,“ fiel Traun ein, „das heißt, er ist das genaue Widerspiel von diesem. Der Sohn des ritterlichen, heftigen, gewaltthätigen Victor Amadeus, der doch zuletzt nur das Spielzeug seiner ehrgeizigen Marquise von San Sebastiano war, mußte ein scheuer argwöhnischer Mann werden; der Fürst, der unter der Herrschaft einer herzlosen und ehrgeizigen Geliebten des Vaters gelitten, mußte mißtrauisch sein gegen jeden Versuch seiner Geliebten, seinen Hof und seine Politik beeinflussen zu wollen …“

„Glauben Sie nicht, Excellenz, daß ihn die Marquise von San Damiano dennoch leitet, wie die Marquise von San Sebastiano seinen Vater leitete?“

„Nein, nein, es ist ein ganz anderes Verhältniß zwischen Beiden,“ versetzte Traun. „Victor Amadeus liebte seine Marquise, er legte auf ihren Wunsch sogar seine Krone nieder und dann versuchte er auf ihren Wunsch, diese Krone seinem Sohne wieder aus den Händen zu nehmen, wofür ihn der sanftmüthige Sohn hinter die vergitterten Fenster von Rivoli sperren ließ. Aber dieser Sanftmüthige liebt Niemanden, und die Marquise von San Damiano ist ihm nur eine angenehme Gewohnheit, ein seinem Königthum ziemender Luxus … hoch, Kaunitz, an dieses Verhältniß ließe sich am Ende doch etwas anknüpfen, das uns förderte …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_450.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)