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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Unser Spuk ist da,“ flüsterte er für sich, „und nun werden wir diesen Rauchfang-Unterhaltungen hoffentlich auf die Spur kommen.“

Er ging seinen Domino überzuwerfen und kletterte darauf still auf der kleinen Leiter empor, und als sein Kopf die Höhe der Eisenthür erreicht hatte, legte er das Ohr an diese, die er unmerklich offen stehen gelassen. Gleich darauf aber zog er den Kopf wie unwillkürlich wieder zurück, betroffen von dem Klang einer Stimme, welche in dichtester Nähe in dem Zwillingsrohre der Kaminesse neben ihm in heiterem Tone die Worte sprach:

„Ich habe eine vortreffliche englische Feile mitgebracht … soll ich beginnen?“

„Untersteh’ Dich!“ antwortete aus der Tiefe des jenseitigen Zimmers eine hellklingende Frauenstimme heraus.

Kaunitz horchte gespannt auf, etwas wie eine dämonische Freude hätte ihn fast ein leises und doch verrätherisches Ah! ausstoßen lassen; aber er besann sich und lauschte weiter.

„Du bist abscheulich,“ fuhr die Stimme neben ihm – es war eine jugendliche Männerstimme – fort. „Du bist abscheulich; Du liegst warm und weich gebettet in Deinen Kissen, und ich sitze hier auf den zwei infernalischen Stangen, welche mich hindern, in Dein Zimmer zu kommen…“

„O, die Stangen sind ganz gut,“ versetzte die Stimme aus dem Zimmer; „wenn sie nicht da wären, müßte man sie ganz besonders für Dich erfinden …“

„Boshaftes Geschöpf, das Du bist … und ich bin gewiß, wenn Du sie erfunden, hättest Du sie auch so mit den Kanten in die Höhe gestellt, um das Sitzen darauf desto angenehmer zu machen!“

Die Frauenstimme unten ließ ein unterdrücktes Lachen vernehmen.

„Poverino!“ sagte sie dann, „wenn es so angenehm ist, darauf zu sitzen, weshalb kommst Du dann … ist es anständig, durch den Kamin zu jungen Mädchen hinabzusteigen und sie um ihre Nachtruhe zu bringen? Geh, ich will schlafen!“

„Nicht eher, als bis Du mir eine Antwort gegeben hast… wirst Du kommen oder nicht?“

„Nein!“

„So geh’ ich nicht! Ich werde die ganze Nacht hier bleiben!“

„Meinethalben! Ich werde jetzt einschlafen.“

„Einschlafen … das wirst Du nicht!“

„Weshalb nicht … glaubst Du, ich fürchtete mich, weil ich weiß, daß eine große Fledermaus in meinem Kamin ist?“

„Ich werde anfangen, die Stange zu durchfeilen!“

Diese Drohung schien zu wirken. Die Stimme von unten antwortete im bittenden Tone: „Gennaro, ich bitte Dich, geh jetzt …“

„Wirst Du kommen?“

„Aber ich kann ja nicht … meine Tante bewacht mich unausgesetzt …“

„Während sie Siesta hält?“

„Es ist nahe an ein Uhr,“ fuhr die Stimme unten fort; „die Ablösung wird kommen und entdecken, daß Du nicht auf Deinem Posten bist!“

„Es ist noch lange nicht ein Uhr, und die Ablösung kommt erst um zwei,“ lautete die Antwort. „Soll ich meine Feile hervorziehen?“

„Um Gotteswillen!“

„Wirst Du kommen?“

„In den Pavillon? Nimmermehr … wenn man uns entdeckte! Wir wären für ewig unglücklich!“

„Wohin denn?“

„Lästiger, abscheulicher Mensch!“

„Daß ich das bin, weiß ich; ich möchte wissen, wohin Du kommen wirst?“

„Willst Du dann gehen?“

„Sogleich!“

„Nun wohl, da, wo ich heute Abend war, in den Gebüschen hinter der Flora. Aber nun gehe auch!“

„Ich gehe schon. Aber gewiß, Bianca? Ist es ganz gewiß?“

„Ich schwöre es Dir.“

„Dann leb wohl, anima mia, schlafe sanft und träume ein wenig von mir, willst Du?“

„Wenn Dir daran liegt, mir in meinen Träumen als Fledermaus, oder als Vampyr, oder als Dämon so schwarz wie ein Schlotfeger zu erscheinen … weshalb nicht?“

„Bosheit! Schlaf wohl, Bianca!“

„Schlaf wohl, Gennaro!“

Gennaro machte eben Anstalt, sich von seinem unbequemen Sitze zu erheben und seine Luftreise nach oben anzutreten, als Kaunitz rasch ein paar Sprossen seiner Leiter höher hinanstieg, das eiserne Thürchen aufriß, seinen Kopf hineinsteckte und mit dem freundlichsten Tone von der Welt sagte: „Signor Cavaliere, wollen Sie nicht Ihren Weg durch dieses Loch hier und dann durch mein Zimmer nehmen … es ist viel bequemer so für Sie!“

Bei den ersten Lauten dieser Stimme fuhr dem Signor Cavaliere ein Todesschreck durch alle Glieder … er blickte auf und sah einen dicht über ihm aus der schwarzen Mauer sich vorstreckenden dunklen Kopf und zwei funkelnde Augen darin. Es war eine entsetzliche Ueberraschung!

Madre di Dio!“ hauchte er athemlos.

„Bitte, kommen Sie hierher,“ fuhr die freundliche Stimme unsers Diplomaten fort.

„Herr,“ rief endlich der Cavaliere sich sammelnd und ein paar Mal tief Athem schöpfend aus … „wie kommen Sie hierher – wo sind Sie?“

„Mein Gott, was ist – mit wem sprichst Du da, Gennaro?“ rief jetzt eine erschrockene Frauenstimme aus der Tiefe des Kamins.

„Beruhigen Sie sich, Fräulein Bianca,“ rief Kaunitz zur Antwort hinab, „es ist Niemand als Ihr Zimmernachbar, der sich die Ehre nimmt, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen!“

O santissima Vergine!“ rief es in der höchsten Angst zurück.

„Herr, ich begreife nicht, wie Sie sich unterstehen können …“ sagte jetzt in aufkochendem Zorn der Cavaliere; aber bevor er geendet hatte, fiel Kaunitz ein: „Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie es bequemer haben, wenn Sie durch dies Thürchen kriechen und durch mein Zimmer zurückkehren? Ich glaubte, Ihnen einen Dienst zu leisten …“

„Zum Teufel mit Ihrem Dienst, ich –“

„Bitte, kommen Sie,“ sagte Kaunitz jetzt sehr bestimmt, „ich muß darauf bestehen, damit mir Gelegenheit werde, Ihnen meine Entschuldigungen zu machen.“

„Ich brauche Ihre Entschuldigungen nicht und …“

„Doch brauchen Sie vielleicht mein Stillschweigen, Signor Cavaliere, und da ich dies an die Bedingung knüpfe, daß Sie meine freundliche Einladung annehmen, so werden Sie jetzt hier durch diese Maueröffnung steigen und herunter in mein Zimmer kommen!“

Diese letztere Bemerkung schien Eindruck auf den jungen Mann zu machen.

„Nun, meinethalb,“ sagte er, und dann rief er hinunter: „Fürchten Sie nichts, Bianca, ich werde in das Zimmer des Herrn gehen, und wir werden uns hoffentlich verständigen, so oder so … seien Sie ohne Sorgen um mich!“

„O mein Himmel, was wird daraus werden?“ rief es halblaut von unten zurück, und währenddem hob sich der Oberkörper des Cavaliere durch die Maueröffnung.

„Sie können auch hier auf die Stangen treten und dann auf der Leiter niederkommen,“ sagte Kaunitz, der schon unten war, ein Licht herbeigeholt hatte und damit in den Kamin emporleuchtete.

Nach wenigen Augenblicken stand der junge Mann im Zimmer des Grafen Kaunitz. Auch er trug einen schwarzen Domino, der, als er von den Schultern zurückgeworfen wurde, eine reiche Scharlachuniform sehen ließ.

„Ebenfalls im Domino!“ sagte Kaunitz lächelnd, während er den seinen zu Boden gleiten ließ. „Schade, daß uns kein Philologe sieht, er würde plötzlich entdecken, weshalb man solch ein Ding Chauve-souris nennt.“

Dann stellte er den Leuchter auf einen kleinen Tisch vor dem Sopha und sagte mit einer Verbeugung und einer Stimme, deren Ironie nicht zu verkennen war:

„Haben Sie die Gnade, Platz zu nehmen, Herr Cavaliere di Lucano.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_466.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)