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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

goldenen Bändern, die haben abgethan werden müssen auf des Baders Geheiß. Er meint, es sei die Herzogin gewesen.“

„Es ist ein Gespenst,“ schrie zuletzt Einer. Und dies, das Unwahrscheinlichste, glaubten Alle am liebsten.

Gedankenvoll gemacht durch die Reden der Bewohner Gittelde’s, schlenderte am folgenden Tage der Hauptmann Goldacker durch die Waldung. Vor ihm sprang ein großer Hund. Der Hauptmann blickte zu den Mauern empor, die sich über die Gipfel der Bäume erhoben. Das Geheimnißvolle reizte ihn, und immer höher steigend, näherte er sich unversehens den Außenmauern der Staufenburg. Grabesstille ringsum. Man hörte das leise Rauschen jedes Blättchens, das Zirpen der kleinen Grillen, die eintönigen Rufe der Lockvögel.

„Wer doch durch die Steine blicken könnte!“ dachte der Hauptmann. Da war es ihm, als vernehme er wirklich Kinderstimmen, als weine eine Knäblein oder Mädchen. Dann wieder schwirrte ein Klageton durch die Luft, dann tönte der sanfte Klang einer Zither wie beschwichtigend durch das Gestein; endlich blieb Alles wieder still. „Verwünschtes Schloß!“ murmelte Goldacker. Er sah um sich und bemerkte nun erst, daß er, seinem Hunde nachgegangen, nicht den eigentlichen Weg zur Burg gewandelt, sondern durch Waldwege und Jägersteige auf die Höhe gelangt war. Er setzte sich auf einen Baumstamm und pfiff leise dem Hunde. Dieser aber stand wie angewurzelt. Er streckte den Kopf und spitzte die Ohren; Zeichen der Witterung. Behutsam näherte Goldacker sich dem Thiere. Es stand am Eingange einer Lichtung. Der Hauptmann bemerkte, daß hier ein trockner Graben war, in dessen Bette Föhren, junge Buchen und Erlengestrüppe wucherten, durch deren Zweige man auf einen Rasenplatz blicken konnte, den in gewissen Zwischenräumen Obstbäume umstanden. Es war der kleine, am Felshange gelegene Garten der Burg.

Das leise Knurren des Hundes deutete dem Neugierigen an, es müsse etwas Lebendiges in der Nähe sein. Geräuschlos stieg der Hauptmann in den Graben hinab, zog den Hund an sich und bog die Zweige auseinander.

Er erblickte Folgendes. Dicht hinter dem Graben lief die Mauer in einen Winkel aus. Hier befand sich eine kleine Pforte, welche aus dem Schlosse in den Garten führte. Unter einem der dicken Bäume gewahrte Goldacker eine reich gekleidete Dame, zu deren Füßen zwei Kinder im Grase spielten. Die Pforte stand offen, und neben ihr, an einem Haken, hing der Federhut eines Mannes, der soeben in das Innere der Burg gegangen sein mußte, denn auf der Bank bei der Dame lagen ein Paar dicke lederne Handschuhe und eine schwere Jagdpeitsche. Goldacker betrachtete die Dame aufmerksam. Das mußte sie sein, die verborgene Perle, die räthselhafte, von Niemand gekannte Geliebte, um deren willen Blut geflossen, Menschen verschwunden und die Gegend verödet ward. Sie schien allerdings bildschön zu sein. Schwarzes Haar von herrlicher Fülle, reich mit Perlen durchflochten, fiel über ihren Nacken, und die Arme zierten kostbare Ringe, in denen edle Steine blitzten.

Sie war in Betrachtung der Kinder versunken, und da sie das Haupt neigte, konnte Goldacker ihr Gesicht nicht erkennen. Plötzlich tönten Stimmen vom Burghofe her, es schallten Tritte. Schnell erhob die Dame den Kopf. Wie! – ist es möglich? täuscht den Lauscher die erregte Phantasie? die verborgene Dame, des Herzogs heimliche Liebe, es ist – Eva von Trott, die in der Gruft der Barfüßer zu Gandersheim ruht. Die Kniee schlottern dem Hauptmann; hat er ein Gespenst vor sich? trügt ihn eine Ähnlichkeit? nein – nein! sie ist es, die schöne Eva. Er hat sie vor Jahren am Hofe gesehen – gesehen, so genau betrachtet, wie die Schönheit verdient betrachtet zu werden, diese herrlichen Züge haben sich seinem Gedächtniß zu fest eingeprägt – kein Zweifel, sie ist zurückgekehrt aus dem Grabe und gebannt an diese unheimliche Burg, und obgleich der Hauptmann zu den Lutherischen übergetreten, machte er doch unwillkürlich das Zeichen des Kreuzes. In diesem Augenblicke tritt ein Mann durch die Pforte in den Garten, schreitet auf die Dame zu, umfängt und führt sie, indem er seine Lippen auf ihre Hand drückt, zu der Pforte. – Goldacker staunt. Er erkennt den Herzog Heinrich.

Vor den Augen des Hauptmanns drehen sich Personen, Wald und Schloß. Der Herzog bei dem Gespenste der Eva! – seiner Sinne nicht mächtig stürzt Goldacker vor, er muß wissen woran er ist. Er ruft laut. Die Dame flüchtet mit einem Schrei, der Herzog ergreift die Kinder und eilt ihr nach durch die Pforte, welche geschlossen wird. Lautes Getümmel hallt im Schloßhofe, und von der schnellen Folge des Erscheinens und Verschwindens ganz betroffen, steht der Hauptmann am Rande des Grabens. Eben so schnell aber kehrt ihm die Besinnung zurück. Die Nachrichten von getödteten oder verschwundenen Mitwissern des Geheimnisses fahren ihm durch den Sinn. Die Angst packt ihn, er hat dem Herzoge gegenübergestanden. Seinem Hunde pfeifend und seinen Degen ziehend, eilt er auf’s Gerathewohl in’s Dickicht von den Mauern des Schlosses hinweg. Nach wenigen Schritten wird der Raum frei von Bäumen, er hat sich wieder der Burg genähert, eilig wendet er sich, den tiefern Wald zu gewinnen – zu seinem Heile! denn kaum haben die schützenden Bäume ihn aufgenommen, da blitzt es hell auf von der Mauer, eine Dampfwolke steigt empor, ein Schuß kracht, bei dem Haupte des Flüchtenden vorüber pfeift eine Kugel und zerschmettert die Rinde eines Eichenstammes, deren Splitter durch die Luft wirbeln. – –




Dies geschah im Jahre 1541. Mochte nun Goldacker’s Entdeckung den letzten Stoß gegeben haben, oder waren schon früher sichere Anzeichen vorhanden – genug, auf dem Reichstage zu Regensburg klagten die evangelischen Stände und die Familie von Trott den Herzog Heinrich vor Kaiser und Reich an: „Er kerkere die todtgeglaubte Eva lebend auf Staufenburg ein.“ Das war ein Unglücksjahr für den Herzog. Der Krieg brach an, er ward verklagt und Eva mußte flüchten, denn da man ihren Aufenthalt erspäht, war ihres Bleibens nicht länger. Kurze Zeit vor ihrer Flucht stürzte im Schlosse zu Wolfenbüttel das Dach ein, der Schornstein des Kamins in der Herzogin Maria Gemach kam auf unerklärliche Weise in Brand. Wenige Tage darauf starb die gekränkte Gattin Herzog Heinrich’s. Jetzt konnte der Herzog seiner Liebe ungestört leben. Wo war Eva?

Sie irrte umher von der Staufen- zur Löwenburg. Auch dort blieb sie nicht sicher. Schon hatte der Krieg der schmalkaldischen Fürsten gegen Heinrich begonnen, ihre siegreichen Schaaren drangen in sein Land. In finsterer Nacht, beim Heulen des Windes floh Eva auf kleinem Wagen, die zitternden Kinder um sich, nach der Feste Schöningen.

Aber der Sturm des Krieges tobte zu mächtig. Schon nach vierzehn Tagen mußten sie Alle von der Feste hinwegziehen. Gleich wandernden Seiltänzern führten sie ihre Habe mit und flüchteten nach Halberstadt.

Hier schlug eine bittere Stunde. Eva mußte sich von ihren Kindern trennen, von ihnen, um deren Zukunft willen sie die siebenjährige Einkerkerung erduldet! Denn wie schwer sie auch gefehlt – der freudigen Stunden hatte sie nur wenige genossen und oft genug Reue über das Geschehene an den Tag gelegt; nur weil sie hoffte, den Kindern werde Heinrich ein Vater sein, blieb sie eine Gefangene der Staufenburg.

Die schmalkaldischen Fürsten suchten Alles hervor, um ihren Gegner in bösen Ruf zu bringen. Sobald sie als Sieger in Wolfenbüttel einzogen, wurden alle Theilhaber des Geheimnisses verhaftet und verhört; sie gestanden. Die Gruft bei den Barfüßern ward geöffnet, aber nur ein leerer Sarg gefunden; wohin das Bild gekommen, wußte kein Mund zu berichten.

Während des Krieges selbst gingen die Verhandlungen wegen des Fräuleins von Trott, von deren Leben man überzeugt war, deren Aufenthalt man aber vergeblich erspähte, zwischen Kaiser, Herzog und Familie hin und her. Kein Abschluß erfolgte.

Die Quellen für den Ausgang des seltsamen Handels fließen von da ab immer spärlicher. Eine Sage läßt Eva, vergessen von Heinrich, ein zweites Verhältniß mit Philipp von Hessen eingehen. Allerdings tauchte 1551 eine Eva von Trott in Cassel wieder auf, allein obgleich das wohl die ehemalige Bewohnerin der Staufenburg gewesen sein muß, ihre Zuneigung zu Philipp ist nicht erwiesen.

Es lag aber eine Strafe in den Schicksalen, welche Heinrich und seine Geliebte ereilten. Sie hatten mit dem ernsten, feierlichen Vorgange, der da erlöst, Frieden giebt und heilig ist – mit dem Tode, ein frevelhaftes Spiel getrieben. Der Unerbittliche rächte sich. Verschollen, vergessen, in der That eine lebende Leiche, wie sie diese einst vorgestellt, verbrachte Eva den Rest ihrer Tage in klösterlicher Abgeschiedenheit zu Hildesheim. Sie hatte noch vier Kinder auf der Burg geboren, alle versanken in die Nacht

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