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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Neuem geweiht wird. Dieses Eine ist: man hatte den Evangelischen Augsburgs zwar alle Kirchen bis zum kleinsten Gotteshäuschen entrissen, aber die Ausübung ihres Cultus verwehrte man ihnen nicht; man wies ihnen dazu den offenen Hof des Collegiums zu St. Anna an.

Und vierzehn Jahre lang war dieser Hof der Augsburgischen Protestanten einzige Kirche und der Himmel ihr Dach. Auch zwei Pfarrer hatte man ihnen gelassen, und diese predigten aus dem Fenster eines der Gebäude des Hofes. Die große Mehrzahl dieser Glaubenstreuen mußte schutzlos im Freien stehen, aber keine Unbill der Witterung und der Jahreszeit verdrängte sie von der einzigen Stelle, wo sie „ihr Bündniß mit Gott und Christus“ aufrecht erhalten konnten![1]

Als endlich, 1648, der Tag kam, wo „die Trompeter durch das ganze Reich flogen, um allen Heeren, allen belagerten Städten, den zitternden Fürsten, dem thränenbleichen Volke und den Ruinen und Gräbern den Frieden zu verkünden“ – war nur für diese Augsburger die Erlösung noch nicht gekommen. Der katholische Magistrat hatte durch Dr. Johann von Leuxelring, der seit 1645 als „Kanzler der Stadt Augsburg“ beim Friedenscongreß in Münster fungirte, Augsburg als eine rein-katholische Stadt darstellen lassen und Alles aufgeboten, um die seit vierzehn Jahren dort herrschenden Zustände zu erhalten. Erst „nach unsäglicher Arbeit, Unkosten, Schreiben und Reisen an die verschiedenen königlichen, kurfürstlichen und fürstlichen Höfe mit anhaltendem Suppliciren und Bitten“ – gelang es den Augsburgern, und namentlich durch den unermüdlichen und muthigen Rechtsgelehrten Johann David Hörwart, endlich die Wiederherstellung ihrer Religionsfreiheit und die Wiedereinsetzung in ihre Rechte und geistlichen und weltlichen Besitzthümer zu erringen. Am 23. Mai 1649, einem Pfingstfeste, wurden alle ihre ehemaligen Kirchen den Evangelischen wieder geöffnet, und am 8. August 1650 feierten die standhaften Protestanten Augsburgs nach einundzwanzigjähriger Trübsal, ihr erstes Dank- und Freudenfest des Friedens und des Siegs.

Sie hatten sich’s verdient, ihr Fest, diese eisernen Alten. Und daß sie, trotz ihrer äußerlichen Starrheit, das rechte, warme, gute Herz dazu mitbrachten, zeigten sie damit, daß sie zwei Tage darnach die Friedensfeier von den Kindern in Kinderweise wiederholen ließen. Sie nannten den Tag das „Kinder-Frieden-Fest“.

Noch heute begehen die Augsburger Augsburgischer Confession beide Feste. Wie vor 204 Jahren zieht am 8. August die evangelische Bevölkerung in die mit Laubwerk, Gewinden und Blumenkränzen geschmückten Kirchen, wo die Prediger die Ehre der Väter und den Sieg ihres Glaubens preisen.

Und dennoch ist dieses Fest nur ein halbes, denn seine andere Hälfte ist Trauer – die alte Trauer über die Zerrissenheit des Vaterlandes, die nicht einmal die Bürger einer Stadt und nicht einmal vor Gott zur vollen Einigkeit kommen läßt! –

Ist’s auch ein schöner, ein wohlthuender Gedanke, die Ehre der Väter heilig zu halten, so sollten wir Deutsche der Gegenwart doch gar ernstlich fürsorgen, daß solche Feste nicht die Zwietracht verewigen. Ist es nicht möglich, von einer solchen Feier den Geist fern zu halten, welcher „den Anderen“ den Stachel des Hasses mit jedem Jahre von Neuem in die Herzen drückt, dann begnüge man sich mit der Thatsache, daß die Ehre der Väter in der Geschichte steht und dort ihre Verewigung findet, soweit Menschen dieses Wort aussprechen dürfen.

Dagegen sollte keine Hand je greifen nach den Kränzen des Kinder-Friedens-Festes des 10. August! Aber reißet an diesem Tage die alten Schranken der Kirchengrenzen nieder, alle Ihr glücklichen Eltern von Augsburg! Laßt Euere Kinder ein gemeinsames Friedensfest feiern, so lange Ihr Alten selbst dessen noch nicht fähig seid! Als die Trompeter durch das Reich flogen, den Frieden zu verkünden, haben Katholiken und Protestanten gemeinsam geweint vor Freude über das Ende der Schrecknisse und vor Schmerz über das Elend des Vaterlandes. Zweihundert Jahre haben die Deutschen nicht besser gemacht, sie lassen noch heute vom Buchstaben sich die Seelen verhärten. So gönnet das Fest des wahren Friedens wenigstens Eueren unschuldigen Kindern! Vielleicht ist der Anblick solcher Einigkeit mächtig genug, um Euch aus Kinderaugen das Wort der Versöhnung zu predigen.

Fr. Hofmann. 




Strafpredigt für Mütter und Erzieher.
Der angefütterte Blödsinn.

Es giebt ein Organ im menschlichen Körper, welches zum großen Nachtheile der ganzen Menschheit von den Erziehern viel zu wenig gekannt und beachtet wird. Daher kommt es denn aber auch, daß der Mensch der Jetztzeit nur das Product des Zufalls und nicht das einer naturgemäßen, vernünftigen Erziehung ist. Ob ein Mensch gut oder böse, klug oder dumm, herrschsüchtig oder sclavisch, abergläubisch oder aufgeklärt u. s. f. ist, das hat er in der Regel nur dem Zufalle, nicht selten in Gestalt einer alten Kindermuhme, zu verdanken. Das darf aber nicht so fortgehen; eine auf die im menschlichen Körper herrschenden göttlichen Naturgesetze gegründete richtige Erziehung muß andere, bessere, vollkommenere und gesündere Zukunfts-Menschen schaffen. Und das kann nur mit Hülfe jenes Organs erreicht werden, welches Gehirn heißt und in der Schädelhöhle des Kopfes, von einer festen knöchernen Wand rings umgeben, geschützt liegt.

Das Gehirn ist nämlich derjenige Apparat unseres Körpers, mit dem wir denken, fühlen, wollen und dem wir unser Selbstbewußtsein verdanken. Nur mit Hülfe dieses Apparates ist das Denken, Fühlen und Wollen möglich. Aber alle diese sogenannten geistigen Thätigkeiten ist das Gehirn nicht etwa schon von Geburt an auszuführen im Stande, sondern es müssen diese Thätigkeiten ganz allmählich im wachsenden Gehirne angeregt und in dasselbe hineingewöhnt, erzogen werden. Ebensowenig wie ein Mensch schon mit der Fähigkeit zu tanzen auf die Welt kommt, auch wenn er die schönsten Beine mitbringt, oder Clavier zu spielen, wenn auch seine Finger und Arme noch so wohlgebildet sind, ebensowenig kann der Neugeborne, wenn er auch im Besitze eines noch so guten Gehirns ist, damit geistig thätig sein, und er wird es auch niemals damit sein können, wenn das Gehirn nicht dazu angehalten, daran gewöhnt wird. Kurz, das muß erlernt werden und zwar, wenn es ein zeitgemäßes, in die Gegenwart passendes sein soll, durch Uebungen, welche von Erziehern geleitet werden, die das Gehirn richtig zu behandeln verstehen und mit den Fortschritten in der menschlichen Cultur, vorzugsweise aber in den Naturwissenschaften gehörig vertraut sind. Wollte man ein Kind, ehe es nach den richtigen Gesetzen der Menschlichkeit denken gelernt hat, einem Hexenverfolger zur Erziehung übergeben, so würde es gar nicht lange dauern, um in diesem jungen Menschen den festen Glauben erzeugt zu finden, daß es ein Gott wohlgefälliges Werk sei, Hexen so viele, als man ihrer nur habhaft werden kann, zu verbrennen.

Es steht unwiderruflich fest: nur wer ein Gehirn hat, kann denken, fühlen und wollen lernen; – und nur wer ein gut gebildetes Gehirn hat und nur der, dessen Gehirn richtig dazu erzogen wird, kann dies ordentlich lernen. Der Mensch hat zur Zeit von allen Geschöpfen das vollkommenste Gehirn und kann deshalb auch, sobald dasselbe nur durch richtige Erziehung zum richtigen Arbeiten gewöhnt wird, am vollkommensten denken, fühlen und wollen. Das Thier mit seinem kleinern, unvollkommnern Gehirn wird dies, auch bei der sorgfältigsten Erziehung, niemals in solcher Vollkommenheit thun können, wie der Mensch. Wohl aber kann ein Thier, zumal eins aus den höheren Thierclassen (Affe, Hund, Elephant etc.), weit verständiger sein und handeln als ein Mensch, dessen Gehirn unvollkommen entwickelt oder von aller Erziehung fern gehalten wurde, wie dies bei Blödsinnigen


  1. Unser Holzschnitt stellt einen solchen Gottesdienst im Collegiumshofe dar. Das Original der Zeichnung findet sich in einem alten Kupferstichwerke: „Augspurgisches Friedens-Gedächtnis, Das ist: Alle, so genannte, Friedens-Gemälde, welche seit anno 1650 etc. an dem, von Einer Hohen Obrigkeit Aug. Conf. allhier verordneten Kinder-Frieden-Feste, nemlich Mittwochs den 8. Augusti, der sämmtlichen Evangelischen Schuljugend etc. mit einem beygedruckten Carmine ausgetheilet worden.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_510.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)