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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und unter seinem Bauche einen nicht mehr neuen, nach alter Art construirten Damensattel trug, dessen kurzer Bügel nachschleppte und jeden Augenblick die Hinterhufe des Thieres einzufangen drohte.

Unser junger Mann nahte dem Flüchtling mit möglichst ruhigen Bewegungen; das Pferd blickte ihn mit vorgestrecktem Hals durch die weitgeöffneten Nüstern schnaubend an; in dem Augenblick, wo der Wanderer mit raschem Griff den herabhängenden Zügel faßte, schnellte es den Kopf in die Höhe und wollte die Flucht ergreifen; aber es war zu spät – es war gefangen!

Der junge Mann klopfte und streichelte dem Thiere den Hals, und sprach ihm mit einer weichen eigenthümlich wohllautend klingenden Stimme zu; dann knüpfte er die zerrissenen Zügel aneinander, und nachdem er diese fest um das Drehkreuz geschlungen, begann er den Sattel loszuschnallen und wieder in seine richtige Lage zu bringen. Dies gelang ihm, indem er seine Thätigkeit häufig unterbrach, um die Bremsen abzuwehren, welche augenscheinlich das arme Thier in die Aufregung gebracht, in der es seine leichtsinnige Escapade gemacht hatte. Als er damit zu Stande gekommen und die Zügel wieder gelöst hatte, führte er es eine Strecke weit auf dem Fußpfade hinter sich. Der Weg lief jetzt zwischen dem Gehölz links und einer schmalen Wiesenfläche rechts; die tief in den weichen Wiesengrund eingeschlagenen Hufspuren zeigten, daß das flüchtige Thier von dieser Seite gekommen war. Nach einer Weile blieb der junge Mann stehen, warf dem Pferde die Zügel über den Hals, trat an seine Seite und schwang sich mit großer Leichtigkeit, ohne des fehlenden hülfreichen Männer-Bügels zu bedürfen, auf den Rücken des Pferdes, auf dem er sich leicht und sicher wie eine Dame festsetzte und nun das Thier völlig in seiner Gewalt zeigte.

War unser Wanderer ein Student, so mußte er mit vielem Erfolg, das sah man, die Universitätsreitbahn besucht haben und jedenfalls war er „in allen Sätteln gerecht“.

Der Pfad, dem der Reiter folgte, verließ jetzt das schmale Wiesenthal, zog sich rechts über einen kleinen mit Buchenwald bedeckten Rücken, der eine Verbindung zwischen zwei höheren rechts und links sich erhebenden Waldbergen bildete, und führte, leise niedersteigend, an der anderen Seite des Rückens hinab bis an eine Stelle, wo der Fremde durch ein von den Buchenzweigen gewölbtes dunkles Thor ein von der Sonne grell beschienenes reizendes kleines Landschaftsbild erblickte, welches das Waldthor auf’s schönste umrahmte.




2.

Es war eine Scenerie ganz eigenthümlicher Art. Ein kleines rundumher abgeschlossenes Thal, umgeben von grünen, dicht mit Laubholz bestandenen Bergen, an deren Fuß Wald und Wiese sich um den Raum stritten und in diesem Kampfe kleine Buchten hervorgebracht hatten, jenachdem das eine oder das andere in das Gebiet des Grenznachbars eingedrungen. In der Mitte ein großer ovaler Weiher, dunkel, spiegelglatt, reich besäet mit träumerischen weißen Seerosen und belebt von einer Schaar weißer Enten, und inmitten des Wassers, von seiner Fläche klar gespiegelt, auf starken Grundmauern sich erhebend, ein kleiner eigenthümlicher Schloßbau, über einer Terrasse mit vier kleinen Eckpavillons aufsteigend, gelbgrau, verfallen, aber reizend wie ein Märchenbild, wie ein Traum, wie ein Luftschloß, das eine Poetenphantasie sich baut.

Das braune Damenpferd wieherte, als es des kleinen Schlosses ansichtig ward, und hob sich aus eigenem Antrieb zu einem kurzen Galopp, der den Reiter nach wenigen Augenblicken, an einer verfallenen Gartenmauer entlang, zu einem Wirthschaftsgebäude brachte, in welchem eine offenstehende Thür in einen Stall blicken ließ. Da der Braune vor dieser Thür hielt, so schloß der Fremde daraus, daß das Pferd sich hier heimisch fühle, und sprang auf den Boden. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Er rief. Niemand kam. So führte er das Thier selbst in den Stall. An einem Ring in der Krippe hing das Stück des Zaums, das der Flüchtling abgerissen hatte.

„Also von hier aus,“ sagte der Fremde, „hast Du den kleinen Ausflug unternommen, mein Brauner … nun, es war ja auch Niemand da, der Dich hütete, und wenn die Stallthüren so leichtsinnig offen gelassen werden, kommen die Bremsen herein, die so abscheulich stechen, daß ein geduldigerer Gast, als Du bist, darüber den Koller bekommen könnte! Und jetzt erhole Dich,“ setzte er hinzu, nachdem er das Thier auf’s Neue angebunden hatte und indem er ihm einen Schlag auf die Kruppe gab … „und nun will ich sehen, wo wohl Deine Herrin steckt und ob mir denn Niemand dankt, daß ich Dich eingefangen!“

Er schritt, nachdem er die Stallthür hinter sich geschlossen, an dem kleinen Wirtschaftsgebäude entlang einer steinernen Brücke zu, welche mit einer zierlichen auf kleinen Sandsteinsäulen ruhenden Balustrade versehen war. Die Brücke mündete auf die breite mit Steinplatten belegte Terrasse, die ringsumher mit einer gleichen Balustrade versehen war. Dem Ende der Brücke gegenüber stand die Thür, die in das Innere des Gebäudes führte, halb offen.

Das kleine Schloß war ein Bau von einer Hauptetage, mit einem Entresolstock, den runde Fenster, sogenannte Oeils de boeuf andeuteten, darüber; dann kam ein Mansardendach mit schwarzer Schieferbedeckung und hohen breiten Essen; in der Mitte über dem Portal aber sprang aus dem Entresolstock ein Balcon vor, unter welchem in weißer Stuckarbeit ein von mächtigen Sonnenstrahlen umwobenes Phöbushaupt auf die Eintretenden niederblickte; an den Wandflächen zwischen den Fenstern rechts und links waren Jagdtrophäen in Sandstein angebracht; an beiden Seiten des Baues aber erhoben sich zwei schlanke viereckige Thürme mit kleinen Kuppeln und Laternen darauf. Alle Verhältnisse waren edel und schön, das Ganze hätte man in der That kokett nennen mögen, wenn ein Gebäude kokett sein kann … und weshalb sollte es das nicht, wenn es zu gefallen und zu bestricken sucht durch ganz besondere Mittel und … doch von demselben Stein ist wie das Herz einer koketten Frau!

Der junge Mann schritt von der Terrasse durch die halbgeöffnete Glasthür, die ohne Treppenstufe oder Schwellenerhöhung in das Innere führte, und betrat einen ovalen Salon, der in vollkommenster Harmonie mit dem Aeußeren des Gebäudes stand. Er war kunstreich parkettirt, während an der Decke ein großes mythologisches Gemälde prangte, aus dem nackte Amouretten und halbnackte Nymphen Blumen auf den Eintretenden niederwarfen; über den Thüren Süpporten mit Schäferscenen, die Wandfelder von reichen Stuckzierrathen umrahmt – Alles das gehörte einem und demselben Geschmack an und war sehr hübsch, wenn es auch sehr zerfallen und vom Zahn der Zeit benagt war, der mit so leichten Werkzeugen wie Staub und Spinneweben und feuchtem Dunst Steine zerbricht und Wände umwirft.

An den beiden entgegengesetzten Enden befanden sich zwei Nischen angebracht; die eine war mit allerlei Muschelwerk ausgelegt, und oben auf einer kleinen Stufenpyramide stand hier mit hochaufgerecktem Schnabel ein stolzer Schwan, bestimmt das Wasser auszusprudeln, das einst in Cascatellen die Stufen niedergeströmt war; aber leider war der Schwan todt, das Wasser sprudelte, die Cascatellen rauschten nicht mehr … des Fremden Auge flog von der todten staubgeschwärzten Muschelnische der gegenüberliegenden Nische am andern Ende des ovalen Raumes, zu, und hier traf es auf einen Schwan, der lebendig war und athmete.

Der athmete und zwar sehr überrascht hoch auf athmete; ein hochgewachsenes, schlankes junges Mädchen, das auf dem Sockel einer Statue des Meleager saß und bisher in eine Lecture versunken gewesen war – das Buch, welches sie gehalten, entsank ihrer Hand, als sie jetzt auffahrend ein leises: Ah! der Überraschung ausstieß.

Sie war gekleidet in eine weiße Blouse und einen langen dunkelgrünen Reitrock; ihr Reithut mit weißer Feder, Handschuhe und Gerte lagen neben ihr zu Füßen des Meleager, der die zweite Nische ausfüllte.

Der Fremde nahte sich ihr rasch und hob das Buch auf, das sie hatte fallen lassen. Er überreichte es ihr mit einer Verbeugung, nachdem er einen Blick auf den blauen Umschlag geworfen.

„Sie lesen da ein reizendes Buch, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er dabei mit einer gemüthlichen Unbefangenheit, als ob er eine längst Bekannte anrede, ‚das Pferd des Phidias‘,[1] ich freue mich zu sehen, daß es bis in diese Waldgebirge gedrungen, es kann nichts Geistreicheres und Hübscheres geben, als diese Plaudereien à propos d’un cheval – aber man darf nicht ganz das eigene darüber vergessen und in den Wald durchgehen lassen …“

Die junge Dame, die etwa zwei- bis vierundzwanzig Jahre haben konnte und deren feine vornehme Züge sich mit hellem Roth bedeckt hatten, während der Fremde, der ihre völlige Einsamkeit so unvermuthet unterbrochen, sie angeredet, blickte ihn jetzt mit einem


  1. Plaudereien aus Athen von B. Cherbuliez. Jena, 1861.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_626.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)