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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der böse Nachbar
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Der Fischer saß auf einem Steine am Ufer und blickte sehr gedankenvoll in’s Wasser. Horst hielt neben ihm und sah, daß der junge Mann den bessern Ständen angehören mußte, nach seiner Kleidung und dem feinen, ein wenig blassen, aus großen hellblauen Augen sehr ruhig dreinschauenden Gesichte. Er war schlank, groß und mager.

„Ist Allmer dieses Weges geritten?“ fragte Horst den Angler nach einem leichten Gruße.

Der junge Mann erhob sich und höflich die kleine Lederkappe, die er trug, ziehend, sagte er: „Allmer … dieses Weges? … ich weiß es nicht … ich sah ihn nicht. Meinen Sie, daß er dieses Weges geritten sei?“ Der junge Mann fragte dies in einem Tone, in welchem etwas wie Sorge oder Aengstlichkeit durchklang.

„Ob ich es meine? Man sagte es mir. Aber ich bedaure, daß Sie sich durch mich haben stören lassen, es war nicht meine Absicht …“

„Das thut durchaus nichts,“ versetzte der junge Mann, zerstreuten und scheuen Auges den Weg hinauf- und hinabblickend, als ob er fürchte, Allmer unten oder oben um die nächste Bergecke kommen zu sehen, „ich will ohnehin aufhören, ich habe wenig Glück heute; wir müssen anderes Wetter bekommen! Sie sind wohl Baron Horst?“

Horst machte eine leichte Verbeugung. „Und Sie?“ sagte er dabei.

„Ich heiße Florens von Ambotten, ich bin der Vetter von Herrn von Schollbeck.“

„Der Vetter von Herrn von Schollbeck?“ fragte Horst ein wenig überrascht, und nachdem er sich den „spitzbübischen“ Jüngling noch einmal angesehen, setzte er rasch entschlossen hinzu: „es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen; wenn Sie heimgehen wollen, erlauben Sie mir wohl, daß ich Sie eine Strecke begleite?“

„O, Sie sind gar gütig,“ versetzte der Vetter, und seinen im Grase liegenden Rock anziehend, seine Anglergeräthschaft zusammenpackend, machte er sich auf den Heimweg thalaufwärts, während Horst, der abgestiegen war, sein Pferd hinter sich führend neben ihm blieb.

„Sie sind der Verlobte von Fräulein von Schollbeck?“ eröffnete Horst ein wenig brüsk die Unterhaltung.

„Der Verlobte … ja,“ antwortete der junge Mensch mit seiner merkwürdig sanften Stimme und ein wenig erröthend, „ja, Herr von Schollbeck sagt es wohl mal, aber Fräulein Eugenie spricht nie davon, und so kann ich es auch nicht glauben, daß …“

„Nun,“ fiel Horst, ihn betroffen ansehend und dann merkwürdig erleichtert aufathmend, ein, „Fräulein Eugenie erwartet wohl, daß Sie davon zu sprechen beginnen …“

Der Vetter seufzte. „Ach,“ sagte er, „wenn Sie das Fräulein kennten, würden Sie einsehen, daß bei ihr davon zu beginnen nicht leicht ist, und zudem …“

„Zudem?“

„Bin ich auch gar nicht des Vetters Ansicht,“ fuhr der junge Mann fort, „daß ich Eugenie glücklich machen kann, wenn ich ihr Mann werde und ewig mit ihr bei ihm auf Haus Schollbeck sitzen bleibe, was doch die Folge wäre, da ich arm bin … Eugenie gehört in die Welt, in eine große glänzende Welt, da würde sie erst an ihrer Stelle sein – denn sie hat Geist, viel Geist, und hat viel gelernt, viel, viel mehr als andere Damen, und dabei ist sie so überaus schön. Soll sie nun ihr Leben lang in dem einsamen alten Hause bleiben?“

„Das ist ebenso einsichtig als selbstverleugnend von Ihnen bemerkt,“ sagte Horst immer mehr erstaunt über den jungen Mann.

„Nicht wahr, Sie geben mir auch Recht?“ fiel der Vetter sehr lebhaft ein.

„Gewiß,“ versetzte Horst.

„Wann werden Sie zu uns kommen?“ fuhr der junge Mann fort.

„Ich beabsichtigte Ihnen morgen meinen Besuch zu machen, aber Herr Allmer sagte mir, daß Ihr Vetter so wenig eine Störung seiner Einsamkeit liebe, daß ich schon auf die Hoffnung verzichtete, empfangen zu werden …“

„O,“ versetzte Florens von Ambotten mit einem Tone der Verwunderung. „Allmer sagte das? Nun, Allmer weiß es vielleicht … ich meine, der Vetter hätte Sie mit Spannung erwartet, da Sie doch unser nächster und einziger Nachbar hier sind. Eugenie hat sich auch auf Ihr Kommen gefreut, als wir hörten, daß Sie da seien, und Eugenie sich sagen mußte, daß Sie es gewesen, den sie in Falkenrieth getroffen …“

„In der That? – Und Herr von Schollbeck ist durchaus nicht so abgeschlossen?“

„O gewiß nicht … wir haben manchmal Fremde aus der Stadt, und Eugenie wird sich sicherlich freuen, wenn Sie zu uns kommen …“

„Nun, ich bin herzlich erfreut, das zu hören; so hat Allmer mich verkehrt berichtet und umsonst besorgt gemacht!“

„Ja, Allmer!“ sagte der Vetter mit einem eigenthümlichen Tone, dessen Bedeutung Horst völlig entging.

Sie waren an eine Stelle gekommen, wo der Fluß und das Thal mit ihm eine starke Biegung nach links machten. Das Thal zeigte sich nun bedeutend verbreitert; der kleine Fluß zweigte sich in zwei Arme auseinander; und weiter hinauf zwischen diesen Armen, vor einer Reihe hoher Baumwipfel, stand Haus Schollbeck, ein weißübertünchtes großes Gebäude mit grünen Jalousien und einem hoch hinan mit Epheu bewachsenen Eckthurm, der rechts an den Bau stieß, während links unten eine lange Holzbrücke über den einen Flußarm führte. Neben dem Aufgang zur Brücke stand an der einen Seite eine Gruppe Trauerweiden, an der andern ein Pförtnerhaus. Das Terrain vor dem Gebäude bis in die Spitze des Flußdeltas hinein war mit wohlgepflegten Gartenanlagen bedeckt. Das Ganze bildete ein hübsches Landschaftsbild und sah weit freundlicher und wohlerhaltener aus, als Horst’s Residenz. Als der Letztere seine Blicke darüber schweifen ließ, sagte der Vetter:

„Da kommt Allmer!“

„Allmer? Sie haben in der That ein gutes Auge, Herr von Ambotten!“ versetzte Horst den Reiter fixirend, der eben über die Brücke von Haus Schollbeck kam, „ich hätte ihn nicht so weit erkannt … aber er ist es!“

„Nun werden Sie wohl mit ihm heimreiten,“ fuhr Florens von Ambotten in einer Weise zu reden fort, welche offenbar eine gewisse Aufregung verrieth, in die er gekommen war … „und morgen werden wir Sie sehen … wann werden Sie kommen, damit ich sicherlich zu Hause bin?“

„Etwa um elf Uhr, wenn Ihnen die Stunde genehm ist?“

„O gewiß … ich werde Sie auf elf dem Vetter und Eugenien ankündigen – sie werden sich sehr freuen, Sie zu sehen, zweifeln Sie nicht daran.“

Der junge Mann zog sein Lederkäppchen und eilte nun mit langen Schritten davon, als ob er brenne, von Horst los und heim zu kommen. Die Angelruthe schwankte auf seiner Schulter wie ein langes Schilfrohr. Als er Allmer erreicht hatte, sprachen beide zusammen … nicht lange, denn Allmer setzte gleich darauf sein Pferd in Trab und erreichte in wenig Augenblicken seinen Gebieter, der sich unterdeß wieder in den Sattel geschwungen hatte.

„Sie in Schollbeck?“ sagte Horst mit einem Tone der Verwunderung, während Allmer ihn begrüßte und an seine linke Seite ritt.

„Ich bin hingeritten, um dem Schlingel von Wirthschafts-Inspector meine Meinung zu sagen,“ rief Allmer in einem hitzigen Aerger aus. „Es ist eine verrottete Wirthschaft in diesem Schollbeck … ein Schlagbaum zwischen ihrer Weide da drüben und unsern jungen Eichenschlägen ist morsch und zerbrochen, und so sind uns ihre Rinder in das junge Holz gedrungen und haben für mehr als zwanzig Thaler Schaden angerichtet; ich habe dem Inspector gesagt, wenn nicht noch in dieser Nacht der Schlagbaum wieder hergestellt würde, verklagt’ ich ihn morgen am Tage und seine Rinder ließ ich ihm ohne Gnade und Barmherzigkeit pfänden.“

„Sie gehen ja gewaltig scharf mit unsern Nachbarn in’s Gericht.“

„Das muß man leider, das werden Sie bald selbst einsehen lernen, es ist gar kein Auskommen sonst mit diesen Leuten … da heißt es: wie der Herr, so der Knecht …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_658.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)