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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 43. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Der böse Nachbar
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Allmer seufzte. „Sagen Sie es immerhin, mein Fräulein,“ sprach er dann … „ja wohl, es ist ein kläglicher Wille, dieser Wille, den ich hatte, Ihnen zu gehorchen, Ihnen durch meine leidenschaftlichen Bewerbungen nicht lästig zu fallen, Ihnen Zeit zu lassen, sich über Ihre Gefühle klar zu werden, mir die Zeit, durch stille Ergebenheit Ihre Gunst zu erringen … die Leidenschaft ist stärker, die Leidenschaft, die mich während dieses Harrens, während dieser furchtbaren Ungewißheit verzehrt, martert, auf eine unsägliche Folter spannt, die mich tödtet … Eugenie, seien Sie barmherzig … jetzt, wo ich in einen Kampf, in eine Gefahr um Ihretwillen gehen will, nur um den Verdruß zu rächen, der Ihnen angethan wurde – jetzt sprechen Sie endlich ein Ja, das diesen Zustand in ein grenzenloses Glück verkehrt, oder ein Nein, das mich zur Raserei treibt, das mich fähig macht, zu tödten und zu vernichten, die Welt in Flammen zu setzen, das entsetzlich, ganz entsetzlich wäre …“

Allmer sprach diese Worte mit einer Heftigkeit, mit einer Gluth aus, die nur allzu deutlich von der furchtbaren Leidenschaft zeugte, der dieser Mann sich hingegeben fühlte und die seinem Willen in der That vollständig sich dienstbar gemacht zu haben schien.

„O mein Gott!“ sagte Eugenie tief erschrocken und vollständig darauf verzichtend, die Zeichen dieses Erschrockenseins durch ihre Selbstbeherrschung zu unterdrücken … „wie darf ich denn zu einem Manne sprechen, der sich so von seiner Leidenschaft bewältigen läßt, der mich zwingen will, der meinen Willen durch Schrecken zu unterjochen sucht … Sie sind fürchterlich!“

Eugenie war todtenblaß geworden, sie hatte ihre Arbeit fallen lassen und sah Allmer mit weit aufgerissenen Augen, in denen sich eine wirkliche Seelenangst spiegelte, an.

„Haben Sie Erbarmen mit mir,“ fuhr Allmer fort, „und verdammen Sie diese Leidenschaft nicht … Sie, Sie haben sie erweckt, und was sie stachelt, das ist ein Gedanke, der mich nicht verläßt, der mich rasend macht. Ich glaube, daß Sie mir Ihre Hand geben, daß Sie ohne Widerstreben die Meine werden würden, wenn nicht das Einzige zwischen uns stände, das ganz allein, daß ich ein Bürgerlicher bin, ein Mann ohne Namen und Titel, daß ich mir meine Stellung, mein Vermögen nicht habe schenken, vermachen, vererben lassen, sondern daß ich durch eigene Anstrengung, durch Arbeit und Mühe es errungen habe … Ihr denkt ja so, Ihr Alle, Sclaven des unsinnigsten Vorurtheils, die Ihr seid, und daß Sie, Sie Eugenie, die ich liebe, die ich anbete, so denken, daß auch Ihr Verstand von diesem Wahnsinn umnebelt ist und daß darunter all mein Lebensglück zu Grunde gehen soll – das eben, die Verzweiflung darüber ist es, was mich so leidenschaftlich macht!“

„Sie kennen mich genug, ich habe Ihnen auch gesagt, daß Sie sich darüber täuschen, daß ich solche Vorurtheile nicht hege, daß ich vollaus den Muth und die männliche Kraft anerkenne, mit der Sie Ihr Schicksal sich selbst gegründet haben.“

„Nun, dann begreife ich nicht, Eugenie, weshalb Sie mich meiner Folter überlassen; Sie wissen, daß ich mit Ihrem Vater geredet habe, daß er nicht wider meine Wünsche ist, daß er das Verhältniß zu Ihrem Vetter nicht als Etwas betrachtet, was Ihren Neigungen ernstlich in den Weg treten kann.“

„Aber mein Gott, habe ich Ihnen denn nicht gesagt, daß ich frei, ganz frei meine Entschlüsse …“

Zu Eugeniens unaussprechlicher Erleichterung wurde sie hier unterbrochen; ihr Vater trat, aus dem Hause zurückkehrend, um die Thurmecke. Allmer wandte ihm sein hochgeröthetes Gesicht mit einem Ausdruck unverkennbaren Aergers zu, Eugenie aber sprang auf, raffte ihre Arbeit zusammen und eilte davon. Auf Allmer’s Lippen schwebte ein leiser, kaum unterdrückter Fluch, als er ihr mit flammendem Auge nachblickte.

„Da ist der Brief von Florens,“ sagte Herr von Schollbeck, „wollen Sie seine Besorgung übernehmen?“

„Ich will ihn Horst übersenden und meinen eigenen Absagebrief beilegen!“ versetzte Allmer und verabschiedete sich dann rasch von dem alten Herrn.




6.

Es war spät Abends geworden. Die Bewohner von Haus Schollbeck hatten sich zur Ruhe auf ihre Zimmer zurückgezogen. Aber vielleicht der alte Herr allein hatte sich wirklich zur Ruhe gelegt. Aus den Fenstern Eugeniens schimmerte das Licht der Lampe weit hinaus und beleuchtete das grüne Laubgezweige der nächsten Bäume, welche den Hintergrund von Haus Schollbeck bildeten. Die Zimmer Eugeniens lagen nach hinten hinaus; ihr Wohnzimmer hatte eine Glasthür, die auf einen Altan führte, der, an der einen Seite von dem vorspringenden alten Thurme abgeschnitten, mit leichtem Lattenwerk überbaut und mit Reben überkleidet war, so daß er eine allerliebste, in der Höhe des ersten Stockwerks angebrachte Veranda bildete.

Die Thür stand offen und ließ das Licht der großen Lampe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_673.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)