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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Carl Heine.

Zahlen sprechen lassen. Heine’s wasserbahnbrechende Thätigkeit hat, wie Sie wissen, ein doppeltes Ziel. Wollte er die weiten Sumpfstrecken zunächst zwischen Leipzig und dem Dorfe Plagwitz (unweit Lindenau, eine Stunde von Leipzig entfernt) zu bauwürdigem Land umgestalten, so bedurfte er trocknes gutes Erdreich zum Ausfüllen derselben, und dieses gab ihm am besten das hochgelegene Terrain von Plagwitz. Und wollte er von dort das Ausfüllmaterial möglichst billig nach Leipzig schaffen, so bedurfte er einer Wasserstraße. Deshalb ließ er die Elster ausbaggern und für Boote bis zu 3000 Centner Tragfähigkeit befahrbar machen, und ebendeshalb verband er Plagwitz durch einen Canal mit der Elster. Der Canal giebt nun das Erdreich, das in Leipzig neues Bauland aus den Sümpfen erhebt, und jemehr Füllmaterial für Leipzig nöthig ist, desto weiter kann der Canalbau fortschreiten. Hätte Heine weiter nichts zu überwinden, als die Schwierigkeiten der Natur, so würden wir sein Werk schon bedeutend weiter gediehen sehen; – um so höher haben wir das zu ehren, ja anzustaunen, was trotz alledem bereits durch ihn geschehen ist. Nicht weniger als 1,100,000 Quadratellen Land umfaßt der neue Stadttheil, den Heine gegründet hat, und bildet, nach dem Durchschnittspreis von 1½ Thlr. für die Quadratelle Bauplatz, einen Grundwerth von 1,300,000 Thlr. Von diesem Areal waren ehedem 600,000 Quadratellen der Hochfluth ausgesetzte Wiesen und 200,000 Quadratellen sumpfige Gärten, von Gräben durchschnitten, welche Fieberluft über die Stadt hin verbreiteten; – jene Wiesen, früher um 44,000 Thlr. feil, haben jetzt einen Werth von 700,000 Thlr. Dafür hatte allerdings Heine nur für die Herstellung des Baugrundes der West, Rudolfs-, Wiesen-, Plagwitzer- und Elsterstraße nahe an eine halbe Million Kubikellen Füllmaterial herbeizuschaffen! Die Waldstraße nahm dessen sogar über eine ganze Million in Anspruch.“

„So also entstand die neue ‚alte Seestadt Leipzig‘! Um sich von Wasser zu befreien, mußte sie die Schifffahrt einführen!

„Es ist wirklich so. Um einen Hafen zu bekommen, baute Heine eine Stadt, die ganze westliche Vorstadt, die man Heine-Stadt nennen sollte. Jene Prachtstraßen mit bereits über zweihundert Häusern sind Ehrensäulen, die ihm kein Feind entreißt. Da steht die Menschenmenge auf Heine’s Meisterstück, seiner Weststraße! Hört nur das ‚Hoch!‘ von der Brücke, und welche That war sie selbst, die das ganze südwestliche Leipzig näher an Frankfurt gebracht hat!“

„Ist’s nicht ein wahres Volksfest, diese Canaleinweihung beim schönsten Regenwetter? Jetzt möchte ich in Heines Herz sehen können. Wie muß das freudig schlagen beim Anblick einer solchen Theilnahme für ihn und sein Wirken! Fast kein Haus steht am Ufer und keine Menschengruppe drängt heran, daraus nicht ein Blumenregen auf ihn niederfiele. Man wird stolz darauf, zu einer Bevölkerung zu gehören, die einen hervorragenden, so hochverdienten und doch so viel angefeindeten Mitbürger so sinnig und großartig zu ehren versteht.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_693.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)