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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ein Abend bei Heinrich Heine.
Fragment von H. M…n.

Welchen Eindruck die Frage Gerard de Nerval’s[1]: „Soll ich Sie Ihrem berühmten Landsmanne Heine vorstellen?“ auf mich gemacht hatte, ist mir unmöglich zu beschreiben. Die Verehrung, welche die Jugend der damaligen Zeit für den Dichter des „Buches der Lieder“ fühlte, wird der heutigen Jugend, welche schon einer vollständig verschiedenen Generation angehört, kaum verständlich sein, und die fieberhafte Aufregung, in der ich mich den ganzen Tag befand, welcher diesem für mich so bedeutungsvollen Abend voranging, ihr vielleicht ein mitleidsvolles Lächeln entlocken.

Gegen acht Uhr traf ich Gerard im Café Frascati und wir schlenderten, über Politik sprechend, der Wohnung meines berühmten Landsmannes, wie ihn mein Begleiter nannte, zu. Ich werde in diesen Zeilen noch öfter auf Gerard de Nerval zurückkommen, der eine so merkwürdige Erscheinung in der modernen französischen Literatur bildet, und ihn daher vorläufig nicht weiter schildern.

Als wir das Zimmer betraten, in welchem der kranke Dichter beinahe neun Jahre lang mit einem herzzerreißend schmerzhaften, langsamen, aber desto gewisseren Tode rang, beschlich mich eine Art von religiösem Gefühl, das hier im Tempel der Freigeisterei freilich nicht recht an seinem Platze war, gegen das ich mich indeß nur mit Mühe zu wehren vermochte. Heine saß in einem großen schwarzgrünen, ledernen Fauteuil und sein Kopf war in ein weißbezogenes Kopfkissen zurückgesunken; auf seinem Schooße ruhte ein aufgeschlagenes Buch und auf dem Tische neben ihm, auf dem eine mit grünem Schirm behangene Lampe brannte, ein Blatt Papier, worauf er eben einige Bemerkungen mit Bleistift geschrieben zu haben schien. Ich hatte schon viele Portraits von ihm gesehen, aber, wie es nur zu häufig ist, keins war dem Dichter ähnlich; denn der Ausdruck von tiefem Gefühl, welcher das schon ziemlich abgemagerte Gesicht des leidenden gewissermaßen beleuchtete, ist keinem Maler wiederzugeben möglich. Es war nicht das Gesicht, das ich erwartete, ein Gesicht, in dem der sarkastische Zug meiner Ansicht nach den sichtbaren Vorrang behaupten mußte – es war das Gesicht eines Poeten – eines Denkers, Niemand konnte sich täuschen. Gerard ergriff meine Hand und stellte mich Heine vor, und ich bemerkte ganz gut, welch einen unangenehmen Eindruck entweder mein Besuch oder meine Persönlichkeit auf diesen gemacht hatte, denn eine leichte Kopfbewegung und ein ermüdetes Lächeln waren die einzigen Zeichen des Willkommens, welcher mir geboten wurde. Einige Zeit lang unterhielt sich Gerard mit ihm über die glänzende Aufnahme, welche die von ihm selbst geleitete französische Uebersetzung seiner Gedichte in Frankreich gefunden halte, und ich drehte unmuthig meinen Hut zwischen den Knieen, mit mir selbst uneinig, ob ich mich empfehlen oder noch einige Zeit dableiben sollte. Plötzlich jedoch wandte sich der Dichter zu mir und fragte mit ziemlich accentuirter Stimme: „Und was sagt man in Deutschland zu der Idee, die mir gekommen ist, mich selbst zu verdolmetschen?“

„Ich bin seit einigen Jahren nicht in Deutschland gewesen,“ antwortete ich, „kann Ihnen daher Nichts darüber sagen.“

„Das ist schade,“ erwiderte er, „heute Morgen hatte ich den Besuch der Dichterin L. und des Professors S., die mir sagten, daß man sich sehr dafür interessirt hätte. Denken Sie Sich, Gerard, die gute Dame nannte mich ,Herr Doctor’, und ich lachte mich innerlich recht satt darüber, obgleich dieser Titel mir doch mit Recht zukommt. Wahrhaftig, lieber Herr, man hat in Deutschland ganz Recht, mich einen Renegaten zu heißen; denn wenn der König von Preußen mir den Hofrathstitel ertheilte, wäre ich fähig, mich darüber lustig zu machen, und für einen Deutschen ist das doch herzlich schlecht – nicht wahr?“

Ich wußte nichts zu antworten und begnügte mich zu lächeln. „Ja,“ fuhr er fort, sich zu gleicher Zeit an mich und an Gerard wendend, „ich bin ein sehr ungeschickter Mensch und sehe ein, daß ich in Deutschland täglich unpopulärer werden muß, denn mein Deutschland ist ein musterhaft tugendhaftes Land. Lachen Sie nicht, Gerard, Sie kennen es nicht, obgleich Sie es ein Dutzend Male bereist und Herrn von Goethe’s Faust übersetzt haben, wofür Ihnen der edle Herr eigenhändig einen Brief geschrieben hat, in dem er Sie becomplimentirt und Ihnen sagt, daß er sein Werk jetzt erst so recht beurtheilen kann, nachdem er es in Ihrer Uebersetzung gelesen.“

Er sank matt in sein Kissen. Nach wenigen Minuten aber sprach er weiter: „Ich sage Ihnen, Herr Gerard de Nerval, ich, der ich meine sieben Sachen so ziemlich allein übersetzt habe, daß ich jedesmal, wenn ich meine Uebersetzung lese, bei der Sie mich treulich unterstützt haben, mich beim Schopf nehmen und mich in irgend einem Krähenwinkel Deutschlands, wo man mich noch liebt, – wenn es nämlich noch solche Krähenwinkel giebt – auf einen öffentlichen Markt führen und rufen möchte: ,Haut ihn! haut ihn!’“

Gerard lachte, auch ich versuchte es, aber es wollte mir nicht gelingen. Wie konnte ich dem vordem angebeteten Idole gegenüber, das sich selbst persiflirte, heiter sein?

„Wahrhaftig,“ fuhr er fort, und seine Stimme wurde mit jedem Worte schneidender und mißtönender, „wahrhaftig, ich komme mir vor, als wenn ich mit der Casse meines literarischen Werthes aus Deutschland durchgegangen wäre und jetzt hier in Frankreich alle die Papiere versilbern wollte. Jedesmal, wenn ein Deutscher zu mir kommt, läuft es mir kalt über den Rücken, als wenn es ein geheimer Agent des deutschen Parnassus wäre, der meine Auslieferung von der französischen Regierung erlangt hätte und mich zurückzuführen gekommen wäre, dahin, ‚wo da ist Geheul und Zähneklappern‘, ich meine nach Deutschland.“

Sein Kopf, den er während dieser Worte mühsam in die Höhe gehalten hatte, fiel in sein Kissen zurück, und wie nach einer langen Arbeit schloß er ermüdet die Augen.

„Ja,“ begann Heine bald darauf wieder, ohne seine Stellung zu verändern, „sogar nach tausend Jahren werde ich noch verleumdet werden, und das dieser unglücklichen Uebersetzung halber. ,Sehen Sie, meine Herren!’ wird der Professor der älteren Literatur an einer Universität von Neuseeland sagen, ,jenes Zeitalter, wo die Menschen noch verschiedene Sprachen hatten, brachte eine Art von Geschöpfen hervor, die sich zu den Schriftstellern verhielten, wie der Affe zum Menschen, man nannte sie Uebersetzer. Diese Halbmenschen hatten nun die Aufgabe, die Werke eines Dichters denen, die nicht seine Sprache redeten, verständlich zu machen, und thaten das meistentheils wie die Affen, wenn sie ihren Mitaffen die Gebehrden der Menschen voräffen. Nun war da in jenem Lande, wo unsere Geologen in den Thälern ganze Schichten von versteinerten Nachtmützen aufgefunden haben und welches man Germanien nannte, ein Poetlein, Heine geheißen, welcher uns ein seltenes Beispiel von Geisteszerrüttung gegeben hat, indem er an seinen eigenen Werken zum Affen ward und sie den Franzosen vorgesticulirte!’ Ja, sehen Sie, Gerard, so wird es werden, und Sie haben einen großen Theil der Schuld auf Ihrem Gewissen.“

Ein unaussprechlich schmerzhafter Zug lagerte sich um Heines Mund, nachdem er dieses in fieberhafter Aufregung gesprochen; seine Augen schlossen sich wie vorhin und Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn.

„Ist Ihnen unwohl?“ fragte Gerard, der zu ihm herangetreten war.

Heine zeigte auf die in meiner Nähe herabhängende Klingelschnur, die ich zog. Eine Dame trat eiligst herein, warf nur einen Blick auf den Kranken, nahm dann von einer Console ein Fläschchen, von dessen Inhalt sie einige Tropfen in ein Glas Wasser fallen ließ, und näherte das so zubereitete Getränk den Lippen des Leidenden, welcher ein paar Schlucke davon trank. Einige Minuten später schien sich der Schmerz soweit gelindert zu haben, daß er die Augen wieder aufschlug und der Dame die Hand reichte, welche diese in der ihren behielt.

Aufmerksam betrachtete ich die Dame – ich errieth es, sie war Heine’s Frau. Heine’s Frau! Die, welcher es gelungen war, den wie ein Schmetterling von Liebe zu Liebe flatternden Dichter

  1. Gerard de Nerval, ein talentvoller Dichter der neuromantischen Schule Frankreichs, hatte u. A. Goethe’s Faust übersetzt, in seiner Lorelei seine Reise nach Thüringen und an den Rhein beschrieben und ging Heine zur Hand, als dieser seine Schriften in’s Französische übersetzte. „Gerard de Nerval war eine träumerische Natur,“ sagt Alfred Meißner, „die es nicht verstand literarisch zu speculieren, was seine Landsleute so gut können.“ Geistig zerrüttet, ohne einen Sou in der Tasche, wurde er in einer kalten Februarnacht an einen Laternenpfahl erhängt gefunden.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_008.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)