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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


lobt oder gar tadelt, zeichnet sämmtliche Werke des Meisters aus. Der Maler blieb indeß nicht in der mittleren Bergzone stehen, er eroberte der Kunst die dritte und höchste Zone der Alpenwelt, und hier feierte der Genius Calame’s seine höchsten Triumphe. Das Chaos der nackten Gipfel, der felsigen Einöden, der schauerlichen Abgründe, der Eisklüfte dieser Zone, die da aufhört, wo der Himmel beginnt, diese übermenschliche Natur hat Calame menschlich erfaßt und künstlerisch verklärt.

Das erste Meisterwerk, das diesen Charakter trägt, ist der Monte-Rosa. Das Original befindet sich im Besitze des Professors de la Rive in Genf, in größerem Maßstabe ausgeführt in den Museen von Neuenburg und von Leipzig, und viele der Leser werden es am letztern Orte zu bewundern Gelegenheit gehabt haben. Es ist aufgenommen in der Nähe des Randahgletschers über dem Sanct Niclasthal. Im Vordergrunde eine düstere Wasserfläche – eine verlorene Weide, öde Hügel, tiefmelancholische Einsamkeit – hinten die Monte-Rosakette im herrlichsten Morgenalpenglühen. Wir stehen in ehrfurchtsvollem Bangen vor der höchsten Majestät der Alpenwelt. Dieser wunderbare Glanz der Schneegipfel, zum Theil von rosigem Lichte übergossen und darüber der tief-, fast schwarzblaue Himmel; der träumerische Duft, der über dem Abgrund schwebt und die weite Ferne des Hintergrunds so unnachahmlich zeigt; die stille Luft; das Schweigen der Einsamkeit; die göttliche Ruhe lassen die Seele ahnen, daß über dieser Schöpfung der Odem des Geistes webt, der einst über den Wassern schwebte.

Wahrlich, wer so malte, der muß ein einfaches, kindliches, frommes Gemüth gehabt haben! Mit kindlicher Liebe an seiner Mutter hängend, bald und glücklich verheirathet, frühe kränkelnd, von Natur ernst gestimmt, liebte Calame die Kunst und die Künstler, aber nicht das gewöhnliche bunte, laute Künstlertreiben, und das wurde ihm vielfach verargt. Wie er seine eigene Mutter geliebt, so legte er seinen beiden Kindern die Mutter an’s Herz fast selbst mit kindlichem Flehen.

Man hat Calame oft der Habsucht, des Geizes und der Härte geziehen. Er hinterläßt allerdings mehr als eine Million; dies genügt Manchen, um den Stein auf ihn zu werfen. Allein nicht Calame machte, sondern die Käufer boten die Preise. „Gut,“ sagen die Beschränkten seiner Feinde, „aber warum, malte er fort, als er ruhen und Andern den Verdienst lassen sollte?“ Die einfache Antwort ist: Calame mußte malen; das künstlerische Schaffen war seine Lebensbedingung. Er wurde von einem unstillbaren Arbeitfieber verzehrt. Als er einst mit einem Freunde reiste, wollte ihn dieser zu seiner Erholung nach München führen. Allein der Künstler kehrte unterwegs wieder um. „Gieb mir meinen Pinsel wieder,“ ruft er schmerzlich aus und opfert die Kunstschätze an der Isar, um einen verborgenen Winkel in Graubündten aufzusuchen, den einzigen Ort, wo er eine gewisse Studie machen zu können hoffte. Oft, wenn ihn seine Freunde zur Ruhe zwangen, bat er sie flehentlich, ihn arbeiten zu lassen; „die innerliche Unruhe bringt mich um; die Arbeit allein verschafft mir Ruhe und Frieden.“ Wenn er den Pinsel weglegte, griff er zum Buche. Seine Briefe und Aufsätze bekunden seine wissenschaftliche Bildung und seine tiefe Kennitniß der Kunst und Kunstgeschichte. Um sich dann und wann einmal auszuspannen, zeichnete er Hunderte von Heften für seine Schüler, Studien und Vorlagen vom einfachen Strich bis zum feinsten Baumschlag, die durch die ganze Welt als Hauptbildungsmittel für den angehenden Landschafter verbreitet sind und von denen jedes einzelne Blatt ein kleines Cabinetsstück ist.

Auch sonst sorgte er väterlich für seine Schüler. Sehr vielen derselben erließ er nicht nur das Lehrgeld, sondern bezahlte noch Wohnung und Kost für sie. Wie Viele haben ihm wohl dafür gedankt? Wie Viele mögen eingestimmt haben in die Vorwürfe neidischer Kunstgenossen! Die stillen Wohlthaten Calame’s sind meist unbekannt. Nur einen Zug will ich erzählen. Als er in Brüssel war, erfuhr er, daß einer seiner Geschäftsfreunde, ein Kunsthändler, in dieser Stadt gestorben sei und Frau und Kinder hinterlasse. Der Verstorbene schuldete ihm ein paar Tausend Franken. Wäre Calame der Geizhals gewesen, für den man ihn ausgiebt, so hätte er die Bilder verkaufen lassen, welche der Kunsthändler im Hause hatte. Statt dessen schenkte er den Hinterlassenen die Schuld und zweitausend fünfhundert Francs baar dazu. Nein, nicht aus Geiz, aus Habsucht, wie man behaupten wollte, arbeitete Calame so rastlos, sondern weil er mußte. Die Anzahl seiner Werke – Oelgemälde, Lithographieen, radirte Kupferstiche – ist ungeheuer. Man glaubt kaum, daß ein einziger Mensch es vermochte, ein solches Riesenpensum zu vollenden, von dem jedes einzelne Stück den Stempel der Vollendung trägt.

Außer den schon genannten Hauptwerken Calame’s, „der Sturm auf der Handeck“, „der Monte-Rosa“, „die Eichen im Sturm“, nenne ich noch den „Vierwaldstättersee“ (im Museum zu Basel und im Besitz des Kaisers der Franzosen) und „die vier Jahreszeiten“ (in der Galerie des Kaisers von Rußland).

Schon früher war Calame in Italien gewesen, der Aufenthalt im Lande der Schönheit und Poesie hat ihn aber nur zu einem Hauptbild begeistert, „die Ruinen von Pästum“ im städtischen Museum zu Leipzig. Im letzten Herbste kehrte er noch einmal nach Italien zurück, nicht um nach neuen Motiven aus der südlichen Landschaft zu suchen, sondern um die weichere Luft des Mittags einzuathmen, die seiner müden, kranken Brust so noth that. Die Arbeit, die mit den Studien verbundenen Strapazen hatten seinen zarten Organismus frühzeitig angegriffen. In Mentone bei Nizza, in dem reizend gelegenen Curorte des Fürstenthums Monaco, schloß, am 17. März des vorigen Jahres, der Künstler die müden Augen – oder vielmehr das müde Auge, denn jetzt, nachdem wir die Fülle und Vollkommenheit seiner Werke bewundert, erwähnen wir noch das Wunderbarste – Calame hatte von der Geburt an nur ein Auge dem Lichte erschlossen, und dieses eine Auge drang in alle Höhen und Tiefen, erfaßte die gewaltigsten Massen und die zartesten Linien, das blendendste Weiß und die lieblichsten Farbenspiele und erblindete doch nicht, obgleich ihm der Künstler mehr zumuthete, als mancher strebsame Meister seinen beiden Augen zumal. – Das giebt auch dem Ausdrucke auf unserem Bilde das eigenthümlich Starre des Blicks. Wir erwähnen hier noch, daß die Photographie, nach welcher der Zeichner der Gartenlaube das vorstehende Bild gezeichnet, von der Familie und den Freunden des Künstlers als das ähnlichste Portrait Calame’s gerühmt wird. Die in Mentone aufgenommene Photographie erscheint den Genfern ziemlich fremd, da sich der Leidende erst im Süden, um den Hals zu schützen, den vollen Bart wachsen ließ. Das Portrait, welches die Illustrirte Zeitung enthielt, ist allerdings idealer, hat aber fast mehr Aehnlichkeit mit Mazzini, als mit Calame, so wie er uns noch vor der Seele steht.

Calame wollte in der Heimath begraben sein, die er, obschon sie ihm nicht einmal das Ehrenbürgerrecht schenkte, während er seine Brust mit den Medaillen und Orden vieler Staaten hätte schmücken können, so heiß geliebt und so viel verherrlicht hatte. Seine Leiche wurde nach Genf gebracht und hier, wie schon bemerkt, von einem kleinen Häuflein bestattet.




Der Richter.
Nach brieflichen Mittheilungen. Von J. D. H. Temme.
(Schluß)

Der Justizamtmann machte eine Pause, während welcher er den jungen Edelmann beobachtete, um zu sehen, welche Wirkung seine Mittheilung auf ihn gemacht habe. Auch der alte Freiherr richtete wieder den scharfen Blick auf seinen Sohn, indem er die Hand von seinem Gesicht entfernte, das entsetzlich anzusehen war. Der Greis bebte wie in Todesangst das Gesicht des jungen Freiherrn aber war unbeweglich geblieben wie vorher.

„Habe ich hierher kommen müssen,“ fragte er, „um Criminalgeschichten von Ihnen zu hören?“

Der alte Freiherr bedeckte sein Gesicht wieder, und der Justizamtmann fuhr fort:

„Von dem Vorfalle, von dem plötzlichen, unter jenen auffallenden, verdächtigen Umständen stattgehabten Tode der jungen Dame wurde dem Gerichte Anzeige gemacht und in Folge dessen eine Untersuchung eingeleitet. Die Dame war vergiftet, und zwar mit Strychnin, und der Mörder war entflohen...Der Mörder war entflohen,“ wiederholte er, „längere Zeit war auch seine Spur verloren; sie ist wiedergefunden.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_077.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2022)