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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Weil Du dann noch glücklich werden kannst,“ sagte sie ernst und bedeutungsvoll.

Er zuckte zusammen, richtete sich dann stolz, fast heftig empor und fragte trotzig: „Was berechtigt Dich dazu, mich für unglücklich zu halten?“

„Die Vergangenheit und – der heutige Tag!“

Die Worte erschütterten ihn; doch bezwang er sich und sagte kalt: „Ich verstehe Dich nicht!“

Sie sah ihn fest an und entgegnete traurig: „Ich verstehe Dich leider nur zu gut – Deine Qual – Deine Kämpfe – Deinen Stolz – und traurigen Sieg!“

„Nanna!“ rief er weicher, als er Thränen in den Augen sah, die er nur leuchtend von Glück und strahlend von Jugendmuth kannte.

„Ja, Erich, ich verstehe Dich!“ wiederholte sie ernst, „ich, die lustige Nanna, sag Dir’s noch einmal: Niemand, Niemand kann Dir die Verzweiflung Deines Herzens besser nachfühlen, denn ich! Unsere Lage ist insofern eine gleiche, weil der heutige Tag unsere beiderseitigen Jugendhoffnungen zerstörte. Ich, Erich, bin nur noch schlimmer daran, denn während Dich, wie ich glaube, noch kein festeres Band an Ingeborg knüpft, als das Deiner Liebe, war ich Oscar Fordenskiöld’s Braut, seit zwei Jahren seine glückliche, seine hoffende, seine überselige Braut! An meinem sechzehnten Geburtstage verlobte er sich mit mir im Geheimen, noch vor sechs Wochen, als er von Schweden kam, schwur er mir ewige Liebe, ewige Treue, und heute – heut’ ist er Ingeborg vor Gott und Menschen feierlich anverlobt!“

„Wie? Was sagst Du?“ schrie Erich entsetzt.

„Die Wahrheit.“

„Nanna, es ist unmöglich!“

„Ich dachte es bis heute auch, Erich! aber es ist doch wahr! Vor einigen Tagen beschied er mich hierher, hier an dieser Stelle sagte er mir, wie er durch den Willen seines Vaters, den Wunsch seines Onkels gezwungen sei, um Ingeborg zu werben, und daß dann auch bald die Hochzeit folgen werde. Er sprach auch noch von seiner Armuth, von Ingeborg’s Reichthum, von alten Verpflichtungen, die er eingegangen sei, ehe er mich geliebt habe, von neuen Ereignissen, die mit drückender Gewalt über ihn hereingebrochen seien, kurzum, er sprach und redete von Vielem, während ich von Allem Nichts verstand, als seine Absicht, mich aufzugeben. Obschon ich nun dies Eine, dies Entsetzliche zwar verstand, begriffen hab ich’s erst seit heute Morgen, wo Ingeborg mir, ihrer vertrautesten Freundin, die Anzeige von ihrer Verlobung sandte und mich bat, dem frohen Familienfeste beizuwohnen. Hier, an eben dieser Stelle, hab ich mir vor einigen Stunden Kraft erfleht, ihrer Einladung Folge leisten zu können, habe sie dann als seine Braut gesehen, sie – sie, die Freundin, in den Armen Dessen, der mir Liebe und Treue geschworen!“

Das Mädchen, das die letzten Worte in leidenschaftlicher Heftigkeit hervorgestoßen, blieb einen Augenblick in tiefes Schweigen verloren, dann fragte es mit hohler Stimme:

„Weißt Du, was es heißt, einer Friesin das Wort brechen?“

In sprachlosem Schrecken starrte er sie an, doch eh’ er eine Silbe entgegnen konnte, fuhr sie hastig fort:

„Du weißt von Hörensagen, was solch ein Weib unseres starren Volkes kann, dem man das Herz mit Füßen getreten und die Seele gefoltert hat. Doch ich, Erich, ich weiß jetzt aus Erfahrung, wie Jemandem zu Muthe ist, der so behandelt worden, und das ist etwas Anderes, o, das ist furchtbar, so furchtbar, wie meine Rache sein wird.“

„Was gedenkst Du zu thun?“

„Zu beten!“

„Zu beten?“

„Nichts Anderes! Mit der heißen Inbrunst, wie ich heute hier zu Gott um Kraft gefleht, so werd’ ich ferner Tag für Tag, Stunde um Stunde Ihn den Allmächngen bitten, das mir angethane Unrecht zu rächen! Er, der Allgütige, der mich heut erhört, wird sich auch künftig mir gnädig erweisen, wird den Meineidigen strafen, mit der härtesten Strafe, die ihm zu Theil werden kann – ihm die Liebe Ingeborg’s entziehen, die jetzt sein Glück ist, wie seine Liebe einst das meinige war.“

Sie schwieg erschöpft, und Erich Larsson sagte leise:

„Möchtest Du nicht vergebens beten!“




Die Sonne des nächsten Morgens stand noch nicht hoch am Himmel, als die beiden stattlichen Gestalten der Barone Fordenskiöld durch die niedrige Thür des Hauses traten, in welchem der Deichgraf Hansen wohnte. Sie begehrten Nanna zu sprechen. Als die Magd den Bescheid gab, Nanna sei bei Tagesanbruch mit ihrem Vater nach Föhr gefahren, leuchtete ein Freudenstrahl im Antlitz des jungen Mannes auf, während das ernste Gesicht des ältern Herrn noch ernster und düsterer wurde.

„Werden sie bald wiederkommen?“ fragte der Letztere nach kurzem Sinnen.

Das Mädchen lächelte ein wenig verlegen und entgegnete leise: „Sie wissen vielleicht nicht, daß der Capitain Arnulf Braderöp von seiner großen Reise heimgekehrt ist und einige Wochen auf Föhr bleibt?“

„Nein! Doch was hat das mit meiner Frage zu thun?“

Das Mädchen wurde noch verlegner, erröthete tief und griff, wie um irgend einen Halt zu haben, nach seiner Schürze.

„Arnulf Braderöp ist nicht allein der schmuckste Bursche,“ sprach sie dann langsam und bedächtig, „der je auf den Halligen gelebt, er hat auch eins der schönsten Schiffe, die je in See stachen. Als er voriges Jahr hier war – und Sie haben wohl gehört, daß das am Tage nach dem der Fall war, wo er nach Föhr zurückgekommen – da sagte er, die nächste Reise mache er nicht allein, sondern mit seiner Frau, für die schon eine Cajüte eingerichtet wäre, und diese Frau heiße, so Gott ihm gnädig sei und Menschen seine Wünsche erhörten, Nanna. Der Deichgraf lächelte bei den Worten so wohlgefällig, daß ich gleich wußte, Herr Arnulf Braderöp würde von ihm willkommen geheißen, wenn er den größten Schatz des Hauses entführen wolle; die Hauptperson, Nanna, wurde aber grad so roth, wie der Seekrebs, der da auf dem Heerde kocht, und gestern Abend, da ging sie dem Vater so lang um den Bart, bis der Alte versprach, heut seine Schwester auf Föhr zu besuchen, welche die Tante des Capitains Arnulf ist. Ich denke mir nun, sie werden so lange ausbleiben, bis alles Nähere von wegen – der nächsten Seereise verabredet ist.“

Wie wenig küssenswerth auch Jungfrau Stine Brömmer, der dienstbare Geist des deichgräflichen Hauses, aussah, Oscar Fordenskiöld schien, nach dem Ausdruck seines Gesichts zu urtheilen, das lebhafteste Verlangen zu tragen, sie in seine Arme zu schließen. Selbst sein ernster Onkel blickte die Berichterstatterin freundlich an und schritt mit freierer Stirn und hellerm Auge aus dem Hause, als er in dasselbe eingetreten.

Als beide Herren einige Schritte gegangen, sagte der Baron: „That ich Dir Unrecht, Oscar, so wird Niemand glücklicher sein, als ich, und ich Dich frohen Herzens um Verzeihung bitten.“

„Lieber Onkel,“ entgegnete der junge Mann mit geschmeidiger Unterwürfigkeit, „ein Irrthum war von Ihrer Seite nur zu natürlich, nach den seltsamen Worten des Mädchens. Wollten Sie mir nun aber auch gestern Abend nicht glauben, daß die schöne Deichgräfin immer etwas aufgeregt und voll überspannter Ideen sei, jetzt sind Sie hoffentlich überzeugt, daß in ihrem Ausruf kein Hinterhalt gegen mich lag. Fräulein Nanna –“

„Lassen wir das, Oscar! Ich sagte Dir bereits, ich glaubte seit lange keinen Worten mehr und mir genügten zu Ueberzeugungen einzig Beweise. Aus diesem Grunde begab ich mich zu dem Mädchen; da ich indeß durch Nanna’s Abwesenheit verhindert wurde, ihr die Fragen vorzulegen, die ich beantwortet wünschte und über welche Du mir keine mich befriedigende Auskunft gegeben hast –“

„Sie genügte aber doch Ingeborg – Ingeborg, meiner Braut!“

„Ingeborg ist ein Kind! sie kennt weder Herz noch Welt, sie war erschreckt durch Wort und Wesen ihrer Freundin, Du beruhigtest sie und sie ist zufrieden. Anders mit mir, dem Manne, der die dunklen Wege des Lebens kennt und die Tiefen der Seele ergründete, der aus bitterer Erfahrung weiß, wohin sich der Wogenschlag des Schicksals wenden kann. Laß also Ingeborg aus dem Spiele! Du hast’s jetzt nur mit mir, dem Vater, zu thun, der sein Kind vor dem Jammer bewahren möchte, welcher einst über mich, den fest Vertrauenden, hereinbrach. So werde ich denn an Nanna schreiben. Ich bitte Dich, so lange nach Westerland zu gehen, bis ich Antwort bekommen, und sei fest überzeugt, daß ich diese Dir keine Stunde vorenthalten werde.“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_100.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)