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Sterbefälle mit den nach der Sterblichkeitsliste zu erwartenden hat denn auch ergeben, daß 27659/100 Personen weniger gestorben sind und die Bank 525,595 Thaler weniger zu zahlen hatte, als sie nach ihrer Berechnung erwarten durfte.

Doch ich muß darauf verzichten meine Leser mit der ganzen Fülle der Zahlenergebnisse zu unterhalten, welche die Operationen der Gothaer Lebensversicherungsbank zu Tage gefördert, als Bestätigung des merkwürdigen Lehrsatzes der modernen Statistik, daß selbst Erscheinungen, die wir dem freien Entschlusse der menschlichen Willenskraft und der Willkür des Zufalles zuzuschreiben pflegen, einem festen Naturgesetze gehorchen – da diese Betrachtungen uns für den Raum dieser Blätter zu weit führen dürften.

Daß die Leitung eines Institutes, welches im Interesse seiner Theilnehmer mit so empfindlichen Ziffern rechnet, um selbst einen unscheinbaren Decimalbruch auf die Goldwage zu legen, von einer ungewöhnlichen Sachkennerschaft überwacht sein muß, ist natürlich. Und in der That ist die Eintheilung der Arbeit in den Bureaus der Gothaischen Lebensversicherungsanstalt wie der ganze Apparat, den wir um uns sehen, ein Meisterwerk geschäftlicher Verwaltungskunst zu nennen. Diese Tausende von über unser ganzes Vaterland wirr durcheinander sich kreuzenden Lebensfäden der bei der Bank Versicherten, hier ordnen sie sich in eine einzige leitende Hand. Von seinem Arbeitszimmer aus kann der Bankdirector mit einem Blicke die ununterbrochene Thätigkeit dieser sinnreich erfundenen, anscheinend so complicirten Maschine übersehen und dirigiren. Vielleicht läuft gerade, während wir uns in diesem Zimmer befinden, der Bericht eines auswärtigen Bankagenten von dem Tode irgend eines bei der Bank versicherten Schulze oder Müller ein. Sofort wird der Bankdirector mit sicherm Griffe aus einem jener mit Chiffernetiketten versehenen blauen Pappkasten, die uns an eine Weißwaarenhandlung erinnerten, das für jenes Individuum angelegte Personalactenstück unter den andern hier reservirten sechsundzwanzigtausendsechshundert Actenstücken, von denen Hunderte auf Schulze und Müller lauten, herausziehen, um die Ansprüche der betreffenden Policeninhaber an der Bank zu prüfen und danach das Gehörige zu verfügen.

Die Lebensversicherungsbank in Gotha.

In dem Arbeitszimmer des Bankdirectors fällt uns noch ganz besonders ein großes Repositorium auf, welches in riesigen Mappen die Specialkarten des preußischen Generalstabes und der deutschen topographischen Bureaus enthält. Schlagen wir eine solche Mappe auf, so gewahren wir mit Erstaunen, daß eine Menge von Ortschaften mit grellfarbigen Punkten und Strichen, wie zu einem Feldzugsplane, markirt sind. Und in der That dienen diese Karten auch der Lebensversicherungsbank zu ihren strategischen Finanzoperationen. Nehmen wir z. B. an, daß in einem entlegenen Winkel Ostpreußens, etwa in Masuren, ein Gutsbesitzer auf sein Rittergut mit für eine mitteldeutsche Zunge unaussprechlichem polnischen Namen ein Darlehn bei der Gothaer Lebensversicherungsbank beantragte. Gut und Gutsbesitzer sind der Bankverwaltung völlig unbekannt. Es wird darum die betreffende Section der Generalstabskarte, auf welcher das Gut sich finden muß, eingesehen. Der nächste Marktflecken oder das nächste Kreisstädtchen zu diesem Gute ist mit einem rothen Punkte markirt, als Zeichen, daß dort einer von den sechshundert Agenten der Gothaischen Lebensversicherungsbank seinen Sitz hat, während die entferntere Provinzialhauptstadt durch ein anderfarbiges Zeichen als Sitz eines Generalagenten hervorgehoben ist. Der Agent und im Nothfalle der Generalagent wird nunmehr zur genauesten Berichterstattung über die hypothekarischen Verhältnisse, die Bodenbeschaffenheit, die Bewirthschaftung des Gutes und den Leumund des Besitzers aufgefordert. Sind die Agenten persönlich mit den Verhältnissen des Gutes und des Besitzers nicht vertraut, so sind sie angewiesen, darüber mit dazu befähigten, in dortiger Gegend befindlichen und aus geschäftlichem Verkehr ihnen bekannten Banktheilhabern, die schon in ihrem eigenen Interesse das Interesse der Bank wahrnehmen werden, oder auch mit andern sachverständigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_125.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)