Seite:Die Gartenlaube (1865) 184.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wege und der Bucht hinaus. Möblement und Verzierung desselben sind nicht reicher als in einem wohlhabenden Bürgerhause. Rothe Vorhänge an Goldleisten neben der Thür und dem breiten Fenster, ein Sopha mit einem Tisch davor, zwei gepolsterte Lehnstühle, ein Secretär, ein Glasschrank, noch ein kleiner Tisch, ein Blumenstand mit hübschen Blattpflanzen, eine Stutzuhr und etliche gewöhnliche Stühle, endlich drei Oelbilder, von denen zwei die Töchterchen des Herzogs, niedliche Kindergesichter mit blonden Lockenköpfen und den Augen des Vaters, vorstellen, das dritte die hier geschilderte Villa zeigt – das wäre ungefähr die Ausstattung des nur wenig über mittelgroßen und nur mäßig hohen Zimmers, und die erwähnten Nebengemächer sind noch weniger anspruchsvoll eingerichtet.

Gleich bescheiden ist der Haushalt des Herzogs und sein ganzes Auftreten in gesellschaftlicher Beziehung.

Mehr als einer der großen adeligen Grundbesitzer Holsteins macht ein glänzenderes Haus als er. Nie sah ich ihn mit Vieren fahren. Seinen Wagen ziert weder ein Wappen noch anderer Schmuck. Seine Dienerschaft besteht aus einem Lakai in Livree, einem Jäger mit Federhut und Hirschfänger, einem Kutscher und einem Bedienten in gewöhnlicher Kleidung. Als Hofchef dient ihm der Major Schmidt, ein früherer preußischer, dann schleswig-holsteinischer Officier von Vermögen, den treue Neigung dem Herzog nach Kiel folgen hieß. Die Geschäfte eines Privatsecretärs, hauptsächlich wohl in Erledigung der Zusendungen von Büchern, Bildern, Gedichten u. dgl. bestehend, mit denen Herzog Friedrich, wie üblich, von allen Seiten heimgesucht wird, versieht ein Herr von Rumohr.

Von strenger Etiquette und Ceremonienmeisterei ist nicht die Rede. Schwarzer Frack und helle Handschuhe sind alles, was man zu einem Besuch bedarf. Die Unterhaltung bei Tafel ist völlig ungezwungen. Man speist nicht besser als in einem der wohlhabenden Kieler Privathäuser: eine Suppe, drei Gerichte, Dessert, dazu vor jedem Gast eine Karaffe mit dem landesüblichen Rothwein, zur Suppe ein Glas Portwein, blos bei besondern Gelegenheiten ein anderes Getränk, selten Champagner. Nur bisweilen sitzt man länger als eine halbe Stunde bei Tische. In der Regel sind nicht mehr als fünf bis sechs Personen geladen. Nach aufgehobener Tafel wird das Gespräch bei einer Tasse Kaffee und einer Cigarre im Empfangszimmer fortgesetzt. In Kiel wird spät, zwischen drei und vier Uhr, zu Mittag gegessen, in der herzoglichen Villa nach englischer Sitte erst um sechs Uhr Abends, und die Gesellschaft, unter der man häufig Leute von Namen, Professoren der Universität, Notabeln aus den entfernteren Theilen der Herzogthümer, Fremde von Distinction trifft, bleibt dann gewöhnlich bis gegen acht Uhr beisammen.

Der Herzog betheiligt sich bei der Unterhaltung lebhaft, er verräth dabei eine recht gute Kenntniß des Landes, Vertrautheit mit den Sitten, Rechten und Bedürfnissen desselben und reges Interesse, sich weiter zu unterrichten, auch eine respectable allgemeine Bildung – eine bessere, behauptete ein zu Vergleichen Befähigter, als mancher andere unsrer erlauchten Herren in Deutschland. Ueber politische Dinge hört man ihn stets sich im Sinne eines gemäßigten Liberalismus äußern. Im Uebrigen versteht er seine Gedanken geschickt und fließend auszudrücken und mit Gewandtheit Einwürfe zu widerlegen, die gegen seine Meinung gemacht werden. Nie hört man ihn schroff, immer mild urtheilen. Daß er sehr liebenswürdig sein kann, wissen Alle zu rühmen, welche mit ihm in Berührung kamen. Nur soweit nothwendig läßt er die Würde des Fürsten empfinden; obwohl preußischer Major, erscheint er nie in Uniform, und niemals sieht man ihn mit Ordensband und Stern. Kriegerische Neigungen scheinen ihm zu mangeln, sein Hauptcharakterzug ist ein friedlich bürgerliches Wesen, wie es der Mehrzahl der Schleswig-Holsteiner eigen ist. Ich meine, mit diesen Eigenschaften würde er einst (vorausgesetzt, daß er gut berathen wäre) ein Regent sein, unter welchem sich ein Volk ziemlich wohl befinden könnte.

Von Person ist Herzog Friedrich eine stattliche Erscheinung. Ueber Mittelgröße, wohl gewachsen, zeigt er in seinen Gesichtszügen unverkennbar den Typus des oldenburgischen Geschlechts. Die Augen sind lichtblau, das Kinn ist stark entwickelt, die Nase wohlgeformt, die Stirn hoch, der Fuß von vornehmer Kleinheit. Das braune Haar beginnt dem mittleren Dreißiger bereits zu ergrauen – wohl die Folge der Sorge des letztvergangenen Jahres und der Aufregungen, die der stete Wechsel hoffnungsreicher und herabstimmender Tage in demselben brachte.

Nicht allgemein bekannt ist nach meiner Erfahrung, daß die Herzogin nicht bei ihrem Gemahl, sondern mit dem Prinzen und den Prinzessinnen in Primkenau bei ihrem Schwiegervater, dem Herzog von Augustenburg, lebt. Die Lage eignete sich eben bis jetzt noch nicht zur Uebersiedelung nach den Herzogthümern, und so entbehrt der Herzog schon seit Monaten die Freude, im Schooß seiner Familie zu verweilen. Nicht einmal das Weihnachtsfest durfte er im Kreise der Seinen feiern. Kinder und Gemahlin sind bei ihm nur in Bildern.

Das Leben des Herzogs ist gegenwärtig ein ziemlich einförmiges. Des Morgens ein Spaziergang, selten ein Ritt, in die Umgebung, dann einsame Arbeit; nach dem zweiten Frühstück, gegen die Mittagsstunde, fährt er nach dem Hause, welches er in der Stadt inne hat, um sich hier mit seinen Räthen zu besprechen und zur Aufwartung sich meldenden Fremden, Bittstellern oder mit Vorschlägen oder Mittheilungen kommenden Freunden Audienz zu geben. Gegen fünf Uhr kehrt er nach Düsternbrook zurück. Selten besucht er das in der That mittelmäßige Theater, häufiger erscheint er in Concerten, die hier mitunter recht gut sind und wo man den Gebrauch eingeführt hat, seine loyale Gesinnung bei Eintritt der Hoheit durch allgemeines Aufstehen von den Sitzen kundzugeben. Zuweilen unterbricht noch eine Deputation mit einer Adresse diese äußerlich stille und eintönige Existenz. Hin und wieder besucht der Herzog einen befreundeten Gutsbesitzer in der nähern oder entfernteren Nachbarschaft von Kiel. Mitunter folgt er einer Einladung zur Jagd in der Gegend von Hamburg, wo der Kaufmann Godefroy, ein alter Freund des Augustenburgischen Hauses, einen stattlichen Besitz mit Wildstand hat. Manchmal fällt auch ein Erinnerungsfest oder sonst ein feierlicher Tag ein, bei welchem der Herzog in die Oeffentlichkeit zu treten hat. Sonst verläuft ein Tag ungefähr wie der andere, und noch immer will der rechte, von der Mehrzahl im Lande ersehnte, der Tag der Anerkennung und Einsetzung, nicht erscheinen. Das Provisorium scheint sich verewigen zu wollen, und die Frage ist, wer es von den beiden Hauptbetheiligten am längsten ohne Schaden zu ertragen vermag.

Ein Theil der Schleswig-Holsteiner wird noch eine Weile fest bleiben, wenigstens in seinem Widerwillen gegen die offne und volle Annexion; ob viele, wird die Zukunft lehren. Der enge Anschluß des neuen Staates an Preußen ist, was man auch dagegen eingewendet hat und wie sehr sich auch der starre Particularismus dagegen aufbäumt, im Interesse nicht blos Preußens, sondern ebenso sehr zum Wohle Schleswig-Holsteins zu wünschen und wird in der That von Vielen gewünscht. Er ist eine unvermeidliche Nothwendigkeit und wird darum ganz unzweifelhaft erfolgen, wofern Preußen nicht mehr verlangt und – vermag.

Gar Manche, die an diese Unvermeidlichkeit nicht glauben wollen, werden über kurz oder lang daran glauben lernen, und soviel Hinterthüren Klügere sich zu öffnen bemüht sind, um den verhaßten Zugeständnissen mindestens theilweise auszuweichen, dem, was Preußen in seinem und Deutschlands Interesse fordert, werden sie nicht entgehen. Der Widerwille wird sich bei der Mehrzahl noch während des Provisoriums allmählich legen. Unschädliches Murren und Grollen wird man nicht beachten, das Uebrige wird das lebhafte Bedürfniß des Landes nach Ruhe in einem Definitivum thun. Von Widerstand mit den Waffen können nur Träumer schwärmen – kein Mann im ganzen Lande wird eine Hand, geschweige das Schwert erheben, selbst gegen die volle Einverleibung nicht, soviel auch von gewissen Leuten damit gedroht wird. Darüber wolle man sich im innern Deutschland keinen Täuschungen hingeben.

Vieles sieht von ferne betrachtet anders aus als von nahe in Augenschein genommen – auch die Adressenstürme, die sich hier zu Lande von Zeit zu Zeit gegen Preußen und die Vertreter des engen und bedingslosen Anschlusses, die einzigen wahren und ehrlichen Freunde Herzog Friedrich’s, so gewaltig vernehmen lassen. Man kennt aber hier den Aeolus, der sie in seinem Windsacke hat, und man weiß nachgerade zur Genüge, daß sie mehr lärmen als bedeuten. Lasse man dieses Windmachen endlich, und es wird klarer werden, klarer in vielen Köpfen, klarer und heiterer auch in der Situation des Herzogs in der Düsternbrooker Villa.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_184.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)