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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die blutige That Tawanka’s erregte in Mackinaw einen allgemeinen Schrei der Entrüstung, und die Behörden des Ortes ergriffen schleunigst energische Maßregeln, um des mysteriösen Mörders habhaft zu werden, indessen verloren sie bald dessen Spur, da die ausgeschickten Beamten, denen man einige Chippewas von der Insel mitgegeben hatte, die alle Schlupfwinkel der Umgegend genau kannten, unverrichteter Sache zurückkehren mußten, weil sie auf offenem See von einem heftigen Sturme überfallen wurden, der ihr Boot unaufhaltsam nach Mackinaw zurücktrieb. Erst nach Verlauf einiger Jahre wurde der Häuptling in Ontonagon verhaftet, wohin er sich begeben hatte, um von dort aus die Gräber seiner Väter zu besuchen, denn die Sehnsucht nach den alten Wohnsitzen ist bei den Indianern oft unwiderstehlich. Sein alter Freund, der Canadier, der nicht vermuthen konnte, daß Tawanka jemals zurückkehren würde, hatte aber in seiner angeborenen Plauderhaftigkeit den Bewohnern des Städtchens gegenüber schon öfters geäußert, daß Niemand anders der Mörder Jones’ sein könne, als der Häuptling, der aus ihm unbekannten Gründen dem Yankee Rache geschworen habe. So wurde Ambrose wider seinen Willen zum Verräther an dem Indianer. Als dieser von dem Sheriff verhaftet wurde, machte er durchaus keinen Versuch, die That zu leugnen; er legte im Gegentheil ein offenes Geständniß ab, indem er behauptete, einen Act der Gerechtigkeit geübt zu haben. Vergebens bot man ihm Leben und Freiheit an, wenn er Landmesser der Regierung nach der Silberinsel führen wolle; die glänzendsten Versprechungen waren nicht im Stande, ihm das Geheimniß zu entreißen. Ruhig und gelassen hörte er sein Todesurtheil an und ebenso resignirt schritt er nach der Richtstätte, wo ihn die verhängnißvolle Schlinge erwartete.




Noch einmal der Meister des „Freischütz“.

Als Carl Maria von Weber durch seinen „Freischütz“ sich schon längst den glänzendsten Ruhm, die Verehrung und Liebe der ganzen deutschen Nation erworben hatte und in Berlin eben seine „Euryanthe“ einstudirte, kam sein damaliger Chef, der Intendant und Kammerherr von Lüttichau, daselbst an und wohnte mehreren Proben bei. Der Cavalier war im höchsten Grade befremdet von der allgemein offen und laut Weber entgegengebrachten Verehrung, der wahrhaften Huldigung, mit der sich ihm nicht allein geistige, sondern auch höchste Vornehmheiten der Geburt näherten. Als er mit Weber und Lichtenstein das Theater nach der zweiten Generalprobe verließ und sah, daß nicht allein das Personal allenthalben vor dem Meister ehrerbietig den Hut zog, sondern sogar das Publicum, das sich, um Weber zu sehen, vor dem Ausgange versammelt hatte, das Haupt entblößte, rief er aus: „Weber, sind Sie denn wirklich ein berühmter Mann?!! – –“

Und doch verwendeten sich Männer, die den Genius zu schätzen wußten, für die Verleihung des Civil-Verdienst-Ordens an Weber bei dem damaligen Minister von Einsiedel zwei Mal vergeblich. Dieser Minister, Graf Detlev von Einsiedel, hatte überhaupt ganz eigene Begriffe von dem, was des Menschen Würde bestimmt. Als es sich am sächsischen Hofe darum handelte, dem nach Kopenhagen zurückgekehrten Thorwaldsen einen Orden zu verleihen, wurde auf Einsiedel’s Betrieb die Classe desselben lediglich nach des unsterblichen Meisters Rang als dänischer Staatsrath bestimmt, und als Grund für die Verleihung des Ordens bezeichnete man nicht den Wunsch, dem der Welt leuchtenden großen Kunstverdienste zu huldigen, sondern des Meisters Verdienst und Bemühung – beim Unterricht zweier junger Sachsen!!!

Wenn aber seltsamer Weise ein Theil des Hofs und Adels in Dresden – denn schöne Ausnahmen gab es auch da – die Ehre, welche ihnen der Besitz eines solchen Genius verschaffte, nicht zu würdigen verstand, so wurde der Meister reichlich für die Nichtbeachtung entschädigt durch die Liebe und Verehrung, welche ihm von Hoch und Gering gezollt wurde, sobald er außerhalb des Weichbildes von Elb-Athen sich blicken ließ.

Als der Maestro auf seiner Reise nach Bad Ems in Wiesbaden bei Tafel saß, begegnete ihm folgendes anmuthige Abenteuer, das er seiner Gattin berichtet:

„Es saß ein Dr. Horn neben mir, ein höchst gebildeter Mann und großer Musikfreund. Nachdem wir über Literatur und viele Dinge recht interessante Gespräche geführt hatten und er bemerkte, daß ich aus Sachsen sei und daß er früher in Leipzig studirt hatte, so frug er mich nach tausend Dingen. Die Tafelmusik brachte dann endlich das Gespräch auch auf den Freischütz etc. Ich wich auf’s Künstlichste allen Fragen aus, die mich hätten verrathen können, bis denn endlich der Mann ganz erstaunt, mich in Allem so zu Hause zu wissen, nach meinem Namen frug; nun, das ist ein ehrlicher Name, und ich konnte also nicht verschweigen, daß ich Weber heiße. ,Weber?’ rief er ganz gespannt, ‚Gottfried Weber?’ ‚Nein,’ sagte ich. – ‚Also aus Berlin?’ – ‚Der ist lange todt.’ – ,Also –’, mit einer Pause, wie Jemand, dem ein freudiger Schreck den Athem verhält, ,doch nicht –’ – ‚Carl Maria von Weber,’ sagte ich ganz ruhig, indem ich mir einschenkte. – Da hättest Du sehen sollen, wie der Mann, wie vom Donner gerührt, fünf Minuten unbeweglich still und starr saß und endlich, indem ihm die Augen feucht wurden, ganz andächtig still sprach: ,Was hat mich Gott für ein Glück erleben lassen!’ – Du weißt, liebe Lina, daß die größten, dicksten Weihrauchwolken weder meine Nase kitzeln, noch meinen Sinn afficiren. Aber hier, ich gestehe es, mußte ich dem Schöpfer innig ergeben danken, daß er mir Macht gegeben, so tief eines guten Menschen Herz zu ergreifen, und daß wohl kein besserer Lohn mir je wieder geboten werden wird.“

„Weber, sind Sie denn wirklich ein berühmter Mann?!“ Nun, so fragte schon zu jener Zeit außer Dresden wenigstens kein gebildeter Mensch deutscher Nation mehr. Hat doch nach Mozart kein Operncomponist die allgemeine Gunst der musikalischen Welt in vollerem Maße gewonnen, als unser Meister. Seine Werke sind bekannt und leben fort auf den Bühnen, im Concertsaale, im Haus und in den Herzen aller echten Musikfreunde.

Von seinem äußeren Leben hingegen und von dem inneren Getriebe seines Geistes, von den Leiden und Freuden seines Herzens, von dem Menschen Carl Maria von Weber, wußte man bisher so gut wie nichts. Die mitgetheilten wenigen Züge werden das dem Leser schon gezeigt haben.

Die Erscheinung der von seinem Sohne geschriebenen Biographie des Meisters[1] mußte daher seinen zahlreichen Verehrern höchst willkommen sein. Nun kommt mir aber bei allen Memoiren und Lebensbeschreibungen jedesmal gleich die fatale Frage: wird darin die unbedingte Wahrheit zu vernehmen sein? Von einem Autobiographen wenigstens, das steht fest, ist sie nicht ohne mannigfache Modifikationen zu erwarten. Es giebt keinen Menschen ohne Schwächen und Fehler, und keinen, der sich durch das ungeschminkte Geständniß derselben in den Augen seiner Zeitgenossen oder der Nachwelt wirklich herabsetzen möchte. Dergleichen wird daher entweder verschwiegen, oder wenn es bekannt und nicht zu leugnen ist, in einer Weise dargestellt, daß es nicht als freie That des Charakters, sondern als Nöthigung unbesiegbarer Umstände und damit entschuldbar erscheint. Glaubwürdiger kann eine Lebensbeschreibung durch einen Andern gerathen, vorausgesetzt, daß dieser im Besitz aller Materialien dazu ist, Geist genug hat, um in alle Tiefen seines Objects einzudringen. und Muth genug, alles Gesehene rücksichtslos darzustellen. Dürfen wir aber eine solche Biographie von Max Maria von Weber, dem Sohne des Meisters, erwarten? Leichter gesteht ein edler Mensch seine eigenen Schwächen ein, als daß er die Schwächen seiner Angehörigen der Welt preisgäbe. Es war aber schon a priori anzunehmen, daß auch das Leben unseres Meisters nicht lauter Licht sein werde. Denn wie es überhaupt keinen vollkommenen Menschen giebt, so ist ein solches Exemplar auch unter den Künstlern nicht und um so weniger zu finden, als die unerläßlichen Eigenschaften des Genius zur Hervorbringung echter Kunstwerke, glühende Einbildungskraft, reizbares Gefühl, starke Sinnlichkeit, zugleich gefährliche Eigenschaften für das sittliche Leben sind und die Künstler überdies gern die Meinung hegen, ihnen sei etwas mehr nachzusehen, als andern Menschenkindern.

  1. Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild von Max Maria von Weber. Leipzig, Ernst Keil, 1864.
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