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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Meinetwegen?“ fragte Hiesel unschlüssig, doch ließ er das Gewehr sinken. „Was könnt’ Hochwürden so viel an mir liegen, daß Sie noch so spät mich aufsuchen sollten?“

„Ist das so wunderbar?“ entgegnete der Pfarrer herzlich. „Du bist mein Pfarrkind, mein Schulkind und Beichtkind gewesen, ich würde um jedes von meinen Pfarrkindern einen schwereren Gang nicht scheuen, wie viel mehr um eins, das sich vom rechten Weg verlaufen hat, um eins, dem ich bei jeder Gelegenheit hab’ merken lassen, was ich darauf halte!“

„Ha, das ist wahr! Das haben Hochwürden immer gethan!“ rief Hiesel überwunden, legte Hut und Büchse ab und kam an den Tisch. „Und daß Sie wegen meiner kommen, wirklich wegen meiner und noch so spät … schauen’s, Herr Pfarrer, das freut mich, wie mich noch nicht leicht was gefreut hat im Leben …“

„Und mich erfreut Deine Freude, Hiesel, sie beweist, daß ich mich in Dir nicht getäuscht habe, daß Du ein gutes Herz hast, dem nur der Leichtsinn gar viel zu schaffen macht und der Uebermuth. Ich habe schon erfahren, was heute am Erdweg vorgefallen ist; der erste Gebrauch, den Du von Deiner wiedererlangten Freiheit gemacht, war ein schlimmer, Du bist mit einem Schritt wieder ganz auf den alten Irrweg gerathen!“

„Ich hab’ nit anders gekonnt, Herr Pfarrer! Hätt’ ich zuschauen sollen, wie die Jäger den Buben mißhandelt und fortgeschleppt haben? Und wenn’s mir auf der Stell’ den Kopf gekostet hätt’, das hätt’ ich nit über’s Herz gebracht!“

„Ja, ja,“ entgegnete der Pfarrer etwas unsicher, „Du hast ganz wacker gehandelt Deiner Gesinnung nach, und doch hast Du ein großes Unrecht begangen. Widersetzung gegen die Obrigkeit, gewaltsame Befreiung eines Gefangenen! Ueberleg’ es Dir selber, Hiesel, und sage, wohin es kommen müßte, wenn es Jedem erlaubt wäre oder einfiele, der Gerechtigkeit in den erhobenen Arm zu fallen! … Wegen der Eigenthümlichkeit des Falles,“ fuhr er fort und rückte dem schweigenden Hiesel näher, „will ich sorgen, daß das Gericht ein Auge zudrückt und die Geschichte keine weitern bösen Folgen haben soll … aber Du mußt mir versprechen, daß Du ein anderes Leben anfangen willst … Du warst im Begriff zu gehen, als ich kam, das kann nicht Dein Ernst gewesen sein; Du wirst hier bleiben, wirst die Büchse, die Dir einmal nicht zugehört, weglegen und dafür wieder zu Drischel und Sense greifen …“

„Nein, Herr Pfarrer!“ rief Hiesel kopfschüttelnd und mit ungläubigem Lächeln. „Das geht nimmer an! Zum Bauernknecht bin ich schon verdorben!“

„Warum doch? Du wirst Dich mit der Bauernarbeit wieder zurechtfinden, wenn Du nur ernstlich willst und es Dir vornimmst, dabei auszuhalten! Warum solltest Du dazu verdorben sein?“

„Das will ich Ihnen erzählen, Herr Pfarrer, wenn Sie’s hören wollen! Sie werden’s nachher selber sagen, daß es nimmer geht … ich bin ein Bauernknecht gewesen, so gut als Einer, und hab’ gearbeitet, so gut wie zwei – mein Vater soll mir’s bezeugen, ob’s nicht wahr ist. Meine Dienstbauern sind alle zufrieden gewesen mit mir, und wie ich nach Mergenthau hinübergekommen bin, auf das Gut und Brauhaus von den Jesuitern, da haben’s den Klostermair-Hiesel schier auf den Händen getragen … vom Jäger, vom alten Lienhard, der mich als Buben oft mitgenommen hat in den Wald, hab’ ich das Schießen gelernt gehabt; die Herrn, wenn sie in die Vacanz herausgekommen und auf die Jagd gegangen sind, haben mich allemal bei sich haben wollen – aus dem Bauernknecht ist nach und nach ein Jäger worden – sie haben mir versprochen, daß sie mich zum Gehülfen und am End’ selber zum Jäger machen wollten auf einem von ihren Gütern … drüber hab’ ich die Bauernarbeit verwöhnt, und wenn mich einmal wer auf dem Gewissen haben muß, so sind’s die Herrn …“

„Sei nicht ungerecht, Hiesel!“ bemerkte der Pfarrer, „wäre das der Dank dafür, daß sie Dich befördern wollten, daß sie Dich unterrichten ließen, daß sie …“

„Ja, ja!“ unterbrach ihn Hiesel, „sie haben mich in die Höh’ gehoben und dann fallen lassen – aber ich bin ihnen doch Dank schuldig. Ich mein’ auch nicht Alle; es waren brave Herrn, die’s gut gemeint haben mit mir, ich mein’ nur Einen, den Pater Venantius. Das war ein verdrießlicher griesgrämiger Herr, der Tag und Nacht nichts anders gethan hat, als Rechnen und an der Erdkugel messen, die er in seinem Zimmer hat stehen gehabt; der ist verwachsen gewesen und halb blind und hat gehunken auf einem Fuß. Wenn er aber mit herausgekommen ist in die Vacanz, hat er durchaus auch mit gewollt auf die Jagd und wenn er dann lauter Löcher hineingeschossen hat in die geduldigen Bäum’ und in die blaue Luft, nachher hat er mir Vorwürfe gemacht und hat gesagt, ich thät’s ihm zu Fleiß und stellt’ ihn allemal an den schlechtesten Platz… Und einmal … ich muß noch lachen, wenn ich dran denk’, so schwer ich’s auch hab’ büßen müssen … einmal hab’ ich ihm zugeschaut, wie er auf dem Anstand gewesen ist und eine Katz’ ist gegen ihn herangeschlichen durch’s Dickicht, die hat er für einen Hasen gehalten und hat sie nieder’brennt, daß sie Miau geschrien hat … Drauf ist er hin gehunken und hat’s genau visitirt und weil er gemeint hat, es hätt’s Niemand gesehn, hat er die Katz’ im Gebüsch versteckt …“

Der Pfarrer lächelte. „Es können nicht Alle gewaltige Jäger sein vor dem Herrn!“ rief er, „doch fahre fort.“

„Wie der Trieb aus war,“ begann Hiesel wieder, „hat er mich richtig wieder gezankt und hat gesagt, ich verstünd’ es nicht, die Schützen richtig im Bogen aufzustellen – das hat mich geärgert, weil’s die andern Knechte mit anhörten, und in dem Aerger bin ich in’s Braustübel hinein und hab’ eine Halbe übern Durst getrunken, da ist mir’s herausgefahren … ich hab’s erzählt, wie er die Katz’ geschossen hat und hab’s in meinem Dusel nachgemacht, wie er hingehunken ist und was er für Gesichter geschnitten, und wie er die Katz’ von allen Seiten angeguckt hat, ob nit ein Haas draus wird unter der Hand … Die Bauern und Gäst’ im Braustubl haben sich schier krank gelacht ich aber hab’ am andern Tag den Laufzettel gekriegt und der Katzenschütz hat’s durchgesetzt, dem Jäger ist verboten worden, daß er mich nie mehr zur Jagd oder im Forst mitnehmen darf, sonst verliert er selber seinen Dienst …“

Aus den Mienen des Pfarres war das Lächeln verschwunden.

„Das war mein Unglück,“ fuhr der Erzähler nach einem Augenblick des Nachsinnens weiter. „Ich hab’ die Jägerei erschmeckt gehabt, und die Bauernarbeit ist mir nit mehr aus der Hand gegangen … Die Burschen haben über mich gespöttelt, wo ich mich hab’ sehen lassen, es hat mich hinaus ’zogen in den Wald, als wenn’s mich bei den Haaren hätt’ … bei Tag hab’ ich kein’ andern Gedanken gehabt und wenn ich die Augen zugemacht hab’, bin ich im Forst draußen gewesen und hab’s knallen hören! So hat’s fortgekocht in mir und wie einmal bei meinem Dienstbauer ein Hirsch in’s Kornfeld ’kommen ist und hat darin geäßt und sich herumgewälzt, da ist mir die Wuth kommen … ich bin ins Haus hinein, hab’ den Stutzen geholt und hab’ ihn niedergebrennt … am andern Tag haben’s die Jäger schon gewußt und ich hab’ flüchten müssen … Seitdem ist es aus mit dem Bauernleben! Seitdem hab’ ich mir’s vorgesetzt, den Bauern zu helfen und das überflüssige Wildbrät wegzuputzen, das ihnen so viel Schaden macht! …“

„Aber was Du auf solche Weise thust, ist schweres Unrecht!“ rief, als er geendet, der Pfarrer. „Das Wild gehört dem Fürsten oder Gutsherrn, es ist also fremdes Eigenthum, und wer es sich zueignet, begeht einen Diebstahl!“

„Das kenn’ ich!“ sagte Hiesel leicht hin. „So sagen sie alle, damit’s das dumme arme Volk glauben und fein ducken soll, es ist aber nit wahr! Das Wild ist frei – wie der Vogel in der Luft! Es hat kein’ andern Herrn, als den, der’s erwischt! Den Bauern hilft doch kein Mensch zu ihrem Schaden – giebt gar viele Gutsherrn, denen ihre Jagd lieber ist, als ihre Bauern; wenn ich ihnen also helfe, thu’ ich ein gutes Werk und kein Unrecht!“

„Deine Gesinnung ist löblich!“ antwortete kopfschüttelnd der Pfarrer, „aber die Art, wie Du sie ausführen willst, ist darum nicht weniger Unrecht. Suche auf andere Weise zu nützen … diese ist ein Verbrechen!“

„Wer hat’s zu einem Verbrechen gemacht?“

„Das Gesetz!“

„Und das Gesetz haben dieselben gemacht, die das Bauernvolk gern unterdrücken möchten – das ist kein rechtes Gesetz, das kann nicht gelten! das muß man abschaffen!“

„Ueberlaß das denen, die dazu berufen sind!“

„Wenn Jeder warten wollt’, bis man ihn ruft, geschieht niemals was … ich spür’ den Beruf in mir!“

„Welche Verblendung! Das, was Dir Lust macht, verwechselst

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_211.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)