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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

schwang Hiesel sich von der Friedhofmauer auf den Sitz, faßte Zügel und Peitsche, und wie vom Winde getragen sauste das Gespann über die nächtliche Ebene.

Hiesel und Monika saßen eng aneinander; es war keine Zeit zu Worten, aber das trauliche Aneinanderschmiegen sagte mehr, als Worte vermocht hätten. Als es eine kleine Anhöhe hinanging, hielt er die Pferde an, daß sie verschnauben konnten. „Dort liegt schon die Brücke,“ sagte Monika, nach einem erhöhten dunklen Punkte hindeutend, „in einer halben Viertelstunde sind wir dort …“

„Also nur noch eine halbe Viertelstunde ist es,“ erwiderte Hiesel, „daß ich Dich vor mir hab’! Dann muß ich fort von Dir und weiß nit, ob wir einmal wieder zusammenkommen oder nie mehr … Monika, jetzt mußt Du mir antworten auf meine Fragen … mit dem schönen friedlichen Jägerhaus, das ich Dir versprochen hab’, mit dem wird’s freilich nichts mehr sein … aber sagen kannst’ mir doch, ob Du mich gern hast, ob Du gern mit mir gegangen wärst, wenn ich Dich wiedergeholt hätt’, wie Du mich zum Tanz … ob Du mich nit ganz und gar vergessen willst?“

Eine zärtliche Antwort zögerte auf den Lippen des Mädchens, der Schrecken verscheuchte sie davon. „Jesus Maria,“ schrie sie auf, „dort, schau’ hin, Hiesel – dort bei der Bruck blitzt was und rührt sich … die Bruck ist besetzt…“

Hiesel hielt die Pferde an und stand hochaufgerichtet im Wagen. „Wahrhaftig,“ sagte er scharf hinüberblickend, „das sind Berittene! Hoho, sie machen’s ja wohl wichtig mit mir, der Hiesel muß eine wichtige Person sein, daß sie sich so viel Mühe geben um ihn – sie haben mich eingegangen, wie bei einem Treibjagen …“

„Da ist ein Seitenweg,“ fiel Monika ein, „ein Feldstraßl, vielleicht können wir am Lech hinauf bis zu der Ueberfuhr’ … Gieb mir die Zügel, ich kenn’ den Weg – über den Wiesgrund hört man auch die Räder nicht so weit rasseln …“

Pfeilschnell und fast lautlos ging es auf dem weichen Grunde dahin, eine dichte Wolke legte sich vor den Mond und hüllte die Gegend weithin in tiefen Schatten.

Mit einmal fiel Hiesel der Fahrenden in die Zügel. „Da können wir auch nit weiter,“ flüsterte er, „dort hinter dem Gebüschstreifen ist es auch nit richtig und hinter uns,“ fuhr er sich umwendend fort, „hinter uns sind sie auch schon … ich sehe die Husarenbüsche fliegen … sie haben die Spur …“

Im Nu riß er mit gewaltiger Faust die Rosse herum, die Peitsche sauste und über Stock und Stein ging’s polternd und schnellend quer durch die Felder, um das Ufer des Lechs, der sich wie ein mattgrauer Streifen dahinzog, noch vor den Verfolgern zu erreichen.

Jetzt war es gelungen und Hiesel sprang vom Wagen, das Mädchen ihm nach.

„Sie kommen von allen Seiten!“ rief er. „Es giebt keinen andern Ausweg …“ und machte einen Schritt gegen den Strom, der mit mächtigen hochgehenden Wellen dahinrauschte.

„Was willst’ Du thun?“ rief Monika und hielt ihn angstvoll zurück.

„Fürcht’ Dich nit,“ sagte er. „ich kann gut schwimmen – eh’ ich mich von denen fangen laß’, will ich mich unserm Herrgott übergeben … B’hüt’ Gott, Moni … ich dank’ Dir schön für Deine Lieb’ und Deine Treu’ … B’hüt’ Dich Gott!“

Er schloß sie fest an sich, drückte einen innigen Kuß auf ihre Lippen und sprang mit kühnem Satz in den Lech – der Hund hinter ihm her; mit einem Aufschrei sank Monika in die Kniee und starrte entsetzt in die aufschäumenden Wellen. Es war die höchste Zeit gewesen, schon ward der Hufschlag der ansprengenden Rosse deutlich vernehmbar.

Da brach der Mond hervor und zeigte fern in der Mitte des wilden Stromes den verwegenen Schwimmer; auch die Reiter erblickten ihn, Schüsse krachten, die Kugeln sausten ihm nach …

Er verschwand; die Wellen gingen über ihm zusammen …




3.

Ein leiser gurgelnder Pfiff, wie der einer Wassernatter, tönte über die nachtverhüllte Waldblöße.

Kaum war der Ton verhallt, so stieg aus der Mitte ein schnell aufflackerndes und eben so schnell erlöschendes Licht empor, das wie ein Blitz secundenlang den ganzen, von schwarzen, eng herangerückten Tannenwäldern eingeschlossenen Raum übersehen und ein ansehnliches Gehöfte erkennen ließ, das sich darauf erhob. Die unbeworfenen Riegelwände mit den rohen Ziegeln und rauh behauenen Balken gaben ihm ein ungastliches Ansehen, das durch den Umstand noch gesteigert wurde, daß alle Läden geschlossen waren und das Haus wie unbewohnt oder wieder verlassen erscheinen ließen. Als ob der Wald einen dunklen Arm ausstrecke, um es nicht loszulassen, zog sich hinter demselben eine finstere lebende Hecke niedergehaltener Fichtenstämme hin und diente zur Richtschnur einer männlichen Gestalt, die vorsichtig und gebückt daran hinschlüpfte.

An der Wand, unter den Fenstern des Erdgeschosses angekommen, ließ der Mann das gurgelnde Pfeifen wieder ertönen, der untere Theil eines Ladens schob sich vorwärts und schloß sich wieder, nachdem ein paar leise Worte der Verständigung gewechselt waren. Der Angekommene schlich an der Wand hin zur Hinterthür des Hauses, welche aber nicht aufgemacht wurde, sondern in welcher sich nur der untere Theil der Verschalung wie eine Klappe aufthat und eine Oeffnung bildete, nur eben groß genug, einen Mann in gebückter Stellung durchkriechen zu lassen. Drinnen richtete der Fremde sich auf und grüßte die Oeffnende, die mit der Lampe in der Hand ihm gegenüberstand; sie hielt die andere Hand wie einen Schirm darüber, so daß das Licht das Gewölbe des Hausgangs nur streifenweise erhellte, dafür aber seinen vollen Schein auf die beiden Gestalten warf. Es war der Bursche im blauen Fuhrmannskittel mit rothem Haar und schielenden Augen; das Mädchen, halb ländlich, halb städtisch gekleidet, war groß, füllreich und doch schlank; das Gesicht war schön, aber verlebt, in den Zügen hatte die wilde Leidenschaft gewühlt, die aus den schwarzen Augen brannte und, von innen heraus zerstörend, das reine Ebenmaß verwischte.

Das Erscheinen des Fuhrmanns schien ihr unerwartet. „Du bist’s, Rother?“ fragte sie gedehnt, daß er davon überrascht sie blinzend anschielte. „Warum soll ich’s nicht sein?“ sagte er. „Komm’ ich Dir etwa ungelegen, Kundel? Niemand von der Cameradschaft da?“

„Niemand.“

„Sonderbar! Ich hatte gedacht, die ganze Herberg’ voll zu finden. Es muß doch alles unterwegs sein, was zu den freien Leuten gehört! … Und so bist Du ganz allein, Kuni? Auch der Better nicht daheim?“

„Der ist nach Appertshausen und kommt erst gegen Morgen wieder…“

„Prächtig!“ rief der Bursche und schwang seinen Hut. „Da hätt’ ich’s ja gar nicht besser treffen können! Ein paar Stunden mit der schönen Kundel allein!“

„Komm’ mir nicht zu nah’!“ entgegnete das Mädchen und trat vor seiner versuchten Annäherung entrüstet zurück. Der Rothe aber ließ sich nicht so leicht abweisen, er trat ihr wieder näher und wollte sie um den Leib fassen. „Das wär’ ja ganz etwas Neues!“ rief er lachend. „Seit wann wär’ denn die Kundel so feuerscheu? Sei doch gescheidt und zier’ Dich nicht so …“

„Weg von mir oder ich stech’ Dich nieder …“ rief das Mädchen mit lauter Stimme und riß aus dem Mieder ein kurzes stiletartiges Messer hervor, im Augenblick des Rufens selbst aber dämpfte sie den Ton und machte dem Burschen, gegen eine Thür im Hausgange zeigend, eine abwinkende Bewegung.

„Still sein soll ich?“ fragte er halblaut. „Es ist also doch Jemand im Haus?“

„Ja,“ flüsterte sie und öffnete die Thür der großen Gaststube, „ich hab’ im Anfang gar nicht daran gedacht.“

Der Rothe folgte zögernd und mit mißtrauischen Blicken. „So?“ sagte er. „Wer ist denn im Haus?“

„Komm nur da herein,“ erwiederte das Mädchen, „ein Fremder ist’s, der krank in’s Haus gekommen… Komm doch, wirst hungrig und durstig sein … Hab’ nur eine kleine Geduld,“ fuhr sie in gesteigerter Geschäftigkeit fort, während sie die Lampe auf den Tisch am Ofen setzte, „ich bin gleich wieder da aus dem Keller – sollst es von einem ganz frischen Faß haben …“

Damit war sie auch schon an der Thür und zog diese hinter sich zu. „Das ist doch gespaßig,“ sagte der Rothkopf, ihr bedenklich nachschielend. „Erst ist sie wie eine Wildkatz’ und jetzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_227.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)