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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

deren Angst und Sorge jetzt eben die Hoffnung Herr wird, und das Großmütterchen, das etwas schwer zu hören scheint und desto angestrengter der Aussage des Arztes lauscht – kommen sie Beide uns nicht ganz bekannt vor? Es ist ein gar wohlthuendes Bild, voll Zuversicht auf gerettete Lebensfreude und voll stillen Friedens, den selbst des Herrn Doctors müder Spitz nicht stört, der die Katze auf der Ofenbank ruhig auf ihr Hausrecht pochen läßt.

Den Künstler, Ernst Fischer, hat ein ziemlich starker Umweg aus Coburg, seiner Vaterstadt, wo er am 6. November 1815 geboren ist, nach Dresden geführt, wo er gegenwärtig seinen Wohnsitz hat. Sein Kunsttalent zeigte sich so früh, daß er schon im fünften Jahre nach Zeichenunterricht verlangte, und er erhielt ihn von einem originellen Maurermeister, der nicht ohne geistigen Einfluß auf die volksthümliche Richtung Fischer’s gewesen sein mag. Wie viele jetzt namhafte Coburger Künstler (Schneider, Brückner, Prätorius, König. v. Dornis, Lehmann u. A.) erhielt auch Fischer die erste Kunstbildung in der berühmten Schmidt’schen Porzellanmalerei-Anstalt, die damals fast als Kunst-Akademie in Coburg blühte. Nachdem diese Anstalt im Jahre 1833 in Folge der politischen Bewegungen nach Bamberg übergesiedelt war, besuchte Fischer die Akademien von Dresden, Paris und Antwerpen, trug hier bei einer Concurrenz die goldene Medaille davon, übernahm dann selbst die Leitung der Schmidt’schen Anstalt in Bamberg, folgte aber bald darauf der Einladung seiner Brüder nach Nordamerika. Hier weilte er sieben Jahre in Baltimore, kehrte 1854 nach Deutschland zurück und wohnt seitdem in Dresden. Mehrere seiner früheren Bilder sind im Besitze des Herzogs von Coburg.

F. H.


Das Räthsel des Tempels.
Von Johannes Scherr.
(Schluß.)

Angenommen aber, es habe wirklich eine Vertauschung und Entführung des Prinzen stattgefunden, wohin ist er gekommen, was ist aus ihm geworden? Ein Dauphin von Frankreich, in welchem seit dem 21. Januar von 1793 die französischen Royalisten von Legitimitätswegen ihren König erblicken mußten, kann doch nicht so spurlos verschwinden, als hätte die Erde ihn verschlungen. Die Sage, daß der Knabe in das Lager des Prinzen von Condé gerettet worden, ist reine Faselei. Condé war zwar ein notorischer Schwachkopf, aber in seiner Art ein ehrlicher Mann, der sich nicht dazu hätte gebrauchen lassen, seinen legitimen König zu verleugnen. Es ist also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß er den Prinzen nicht nur nicht bei sich hatte, sondern auch an das von Seiten der republikanischen Behörden amtlich kundgegebene Ableben desselben im Tempel aufrichtig glaubte, da er hierüber einen Tagesbefehl erließ, welcher mit den Worten schloß: „Der König Ludwig der Siebenzehnte ist todt, es lebe Ludwig der Achtzehnte!“ Freilich, jeder der Herren, welche nachmals für den Dauphin sich ausgaben, hat sich seine Odyssee zurechtgemacht, d. h. eine Rhapsodie der Abenteuer und Irrfahrten, welche er nach der Rettung aus dem Tempel angeblich zu bestehen gehabt. Allein dies ist kein Stoff für den Historiker, sondern nur etwa für einen Novellisten à la Monsieur A. Dumas de Monte Christo. Allerdings heißt es gar mannigfach: „Credo, quia absurdum est“ (ich glaube an den Unsinn, nicht obgleich, sondern weil er Unsinn) – und demzufolge war es ganz in der Ordnung, daß auch das nachstehende von einem stark angebrannten Royalistengehirn ausgebrütete absurde Märchen Glauben fand in der Welt. Die Entführung des Dauphin aus dem Tempel hat vor dem 9. Thermidor stattgefunden, also zu einer Zeit, wo nur ein Mensch so etwas wagen konnte, Robespierre. Dieser hat an die Stelle des wahren Dauphin einen falschen gebracht, welcher als solcher im Nothfall leicht verificirt werden konnte. Den wahren aber hat er beseitigen, ermorden, kurz, verschwinden lassen, weil er ihm ein Hinderniß war auf dem Wege zum Throne von Frankreich, auf welchen er, Maximilian Robespierre, sich schwingen wollte und zwar mittelst einer – Heirath mit der gefangenen Schwester des beseitigten Dauphin, mit der Prinzessin Marie Therese, der nachmaligen Herzogin von Angoulème. Der Zug fehlte noch zur völligen Verungeheuerlichung des Mannes, in welchem alle die kleinen und großen Kinder, ungelehrte und gelehrte, den riesengroßen Sündenbock der französischen Revolution erblicken, weil sie die Gesetze des weltgeschichtlichen Processes nicht kennen oder nicht verstehen, und daher ganz unfähig sind, die große Umwälzung in ihrer Totalität zu fassen und zu begreifen oder, was dasselbe sagt, die Wirkungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.

Doch wir haben uns jetzt hinlänglich lange in der Wolkenregion der Vermuthungen und Behauptungen, der Fabeln und Märchen herumgetrieben. Wir mußten es thun, wollten wir das in Rede stehende Problem allseitig in die richtige Beleuchtung rücken. Jetzt aber treten wir auf festeren Boden hinüber.


Nachdem der sansculottische Schuster Simon, wie wir sahen, sein Wächteramt bei dem Dauphin aufgegeben hatte, blieb das Kind sechs Monate lang ohne specielle Aufsicht. Die einzige, welche man ihm angedeihen ließ, wurde von den Tag für Tag wechselnden Commissären der Commune geführt. Jedenfalls aber wurde der arme Knabe – war es der Prinz oder ein untergeschobenes Kind – thatsächlich jetzt viel grausamer behandelt, als er von Simon und dessen Frau behandelt worden war. Alles schien nicht nur, sondern war auch augenscheinlich darauf berechnet, entweder den wirklichen Dauphin langsam zu morden, oder aber den falschen in einen Zustand zu versetzen, welcher es unmöglich machte, die Wahrheit über seine Persönlichkeit an den Tag zu bringen und mittelst dieser Unmöglichkeit die Spuren der begangenen Unterschiebung zu verwischen. Man sperrte den Knaben im untern Stockwerk des Tempelthurms in ein düsteres und mittelst künstlicher Vorrichtungen noch mehr verdunkeltes Gemach, als sollte er weder sehen noch gesehen werden. Man ließ ihm seine kärgliche Nahrung mittelst einer Art Drehscheibe zukommen, er durfte nie mehr im Garten des Tempels oder auf der Plattform des Thurmes sich Bewegung machen, noch auch mit seiner gefangenen Schwester zusammenkommen, ja derselben nicht einmal zufällig und flüchtig begegnen. Man verdammte ihn zur Einsamkeit in einem bei Tage lichtlosen, bei Nacht unerhellten Gelasse, dessen Zugänge so zu sagen förmlich verbarrikadirt waren.

Ist dies Alles nur eine Wirkung der ängstlichen Sorge des Sicherheitsausschusses gewesen, das kostbare Pfand könnte durch die Bourbonisten entführt werden, oder war es eine Folge der Absicht, den Knaben dem Anblick aller Personen, welche den Dauphin gekannt hatten, zu entziehen?

Erst am 11. Thermidor (29. Juli 1794) wurde dem armen Kleinen wieder ein Wächter bestellt und zwar in der Person des schon weiter oben genannten Creolen Laurent, dessen Wahl man auf den Einfluß hat zurückführen wollen, welchen die Creolin Josephine Beauharnais auf die Machthaber des Tages, aus Barras und Tallien, übte. Die Thermidorianer, welche der großen Lüge, daß sie „aus Menschlichkeit“ gegen Robespierre und seinen Anhang rebellirt hätten, einen Schein von Wahrheit geben wollten, ließen auch in der Behandlung des gefangenen Kindes eine scheinbare Milderung eintreten, die vielleicht noch nicht zu spät gekommen sein würde, falls sie mehr als eine nur scheinbare gewesen wäre. Am 13. Thermidor, also zwei Tage nach der Bestellung Laurent’s zum Wächter, besuchten etliche Mitglieder des Sicherheitsausschusses den kleinen Gefangenen im Tempel. Falls die Vertauschung des Prinzen durch Laurent bewerkstelligt worden wäre, müßte dies also am 12. Thermidor geschehen sein; denn der neue Wächter mußte sich doch, bevor er das Wagstück unternahm, einigermaßen in der Localität orientirt haben. Bei Gelegenheit der Verhandlung des Naundorff’schen Processes zu Paris im Jahre 1851 brachte der Anwalt der Hinterlassenen Naundorff’s, der berühmte Advocat Jules Favre, drei von Laurent an Barras gerichtete Briefe vor, in welchen die Unterschiebung eines stummen Waisenknaben an die Stelle des Dauphin „constatirt“ war. Wäre dies

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