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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die er tapfer vertheidigt, geendet. Die Militair-Commission hat ihn erschießen lassen. Seine heulende Frau, seine vaterlosen Kinder irren durch die Straßen. Hält man so das Versprechen? „Was wird mit uns werden?“ fragen sie wieder.

Am 10. Juni erhalten sie Gewißheit. Gratien zieht mit seiner Division von Stralsund ab. Er führt die Gefangenen mit sich. Die Menge wird in zwei Transporte getheilt. Den ersten Transport geleitet das sechste, den zweiten das neunte holländische Infanterie-Regiment. Die Kranken und Schwachen werden auf Wagen geladen, die Rüstigen marschiren nebenher. Noch immer schwebten sie in Ungewißheit wegen des ihrer harrenden Schicksals. Was ihnen den schmachvollen Transport, die Pein der Gefangenschaft erleichterte, das war die treue, sich offen kund gebende Theilnahme der deutschen Landsleute. Wie scheußlich handelten die sie transportirenden Holländer! Schon in Braunschweig mußte ein großer Theil der braven Leute mit Kleidungsstücken und Wäsche durch die mitleidigen Bürger versorgt werden; die frechsten Bemerkungen, der grausamste Spott geißelten die unglücklichen Anhänger Schill’s. Immer weiter führte man sie hinweg von der heimathlichen Stätte. Die Zusammentransportirten begannen während des Marsches auf Mittel und Wege zur Befreiung zu denken. Der Trompeter Böck, ein verschlagener, kecker Bursche, versuchte einige Male seinen Peinigern zu entrinnen. Schon war er glücklich in der Klappe eines Kamines der Sacristei zu Salzgitter verborgen, dann hatte er sich auf einen Glockenthurm geflüchtet, sich ganz und gar mit Schiefer bedeckt – beide Male ward er ertappt. Wie? Es ist traurig zu erzählen, durch einen seiner Cameraden, der ihn verrieth. Das Elend machte so selbstsüchtig, die Schmach so nichtswürdig, daß der Genosse den Freund verrieth, weil er nicht so glücklich als dieser sein konnte. Dann kam unter der kleinen Truppe ein heroischer Gedanke auf. Sie verabredeten sich leise und heimlich über die Escorte herzufallen, den Häschern die Waffen zu entreißen, sich durchzuschlagen und lieber auf dem Platze bleiben als in so quälenden Fesseln schmachten zu wollen. In jenen Tagen bestanden die Soldaten, welche sie bewachten, aus Westphalen. Deutsche knebelten ihre Landsleute auf fremden Befehl. Viele der Schill’schen meinten, die Landsmänner würden sich nicht allzusehr wehren. Man verabredete ein Losungswort. Einer sollte drei Mal in kurzen Absätzen das Wort: „Vos! Vos! Vos!“ ausrufen. Beim dritten Rufe sollte Alles auf die Wachen stürzen. Die Wuth, die Verzweiflung verdarben den Anschlag, denn die durch Kolbenstöße und Bajonnetstiche zum Aeußersten gereizten Gefangenen der Haupt-Colonne fielen beim ersten Rufe über ihre Peiniger her. Dadurch ward der Angriff geschwächt, die hinten marschirenden Soldaten gewannen Zeit sich zu sammeln, man überwältigte die Empörer. Abends zog die traurige Schaar über die Haide dahin, und die Hände eines Jeden waren mit Hanfstricken geknebelt.

Wieder ward ihnen ein freudiger Tag in Frankfurt a. M. bereitet. Durch lange Gassen von weinenden Menschen zogen sie, aber die Frankfurter ließen es nicht bei den Thränen bewenden. Sie achteten keine Gefahr, keine Drohung, sie liefen zum Commandanten, und endlich ward ihnen gestattet, den deutschen Fechtern eine ansehnliche Geldsumme, manches Kleidungsstück und eine gute Zufuhr von Lebensmitteln überreichen zu dürfen. Abends schwammen die Gefangenen in Kähnen den Main hinunter; endlich trug der alte Vater Rhein seines gefesselten Landes gefesselte Söhne und im Glanze der untergehenden Sonne funkelte gluthroth die Kuppel des Domes von Mainz. Die Boote legten an. „Aux armes!“ „Halte là!“ tönt es vom Ufer. Eine lange Reihe Infanterie spinnt sich den Kai entlang, an ihren Czakos blitzen die kaiserlichen Adler. Die Schill’schen Krieger sind von jetzt ab nicht mehr unter deutscher Bewachung, sie werden an Frankreich abgegeben. Das Loos wird vielleicht doppelt hart, aber die Schmach hat an Gewicht verloren. Es sind wenigstens fremde Henker, welche ihre Blicke an dem Unglück weiden, ihre rohen Fäuste in den Rücken der Ermatteten bohren. Aber noch in Seesen hatte ein westphälischer Corporal dem Gefreiten Schultze den Kolben in den Rücken gestoßen, daß er ohnmächtig niedersank, worauf der Schurke ihn mit Hieben zum Weitergehen zwang, bis der Lieutenant herbeikam und mit den Worten: „Schäm’ Er sich, Bube! wir haben deutsche Landsleute vor uns,“ den Niederträchtigen bei Seite schleuderte.

Der Commandant von Mainz ließ sich die Gefangenen vorführen. Seine Reden klangen nicht tröstlich. Diese napoleonischen Soldaten betrachteten die Schill’schen Reiter als eine Heerde von Freibeutern. Wahrscheinlich aus diesem Grunde wies man ihnen als erstes Quartier in Mainz den Holzthurm an. Es war dasselbe Gefängniß, in welchem einst der Raubmörder Schinderhannes und seine Genossen gesessen hatten. Und darum den Säbel geschwungen für Deutschlands Befreiung vom Joche des Fremden? Darum geblutet, verhöhnt, verlassen?

Der Trompeter Böck kam beim Einsperren in das Gefängniß zunächst der Wand zu sitzen. Das enge Gelaß war nämlich dergestalt mit Menschen gefüllt, daß die Meisten über einander lagen. Böck bemerkte bald, daß unten am Fuße der Mauer ein großes Loch befindlich sei. Er fühlte, von Hoffnung auf Freiheit getrieben, weiter um sich und kroch zuletzt in eine Höhlung, welche groß genug für ihn war. Leider fand er gleich, daß kein Ausweg vorhanden, doch verschaffte ihm die Entdeckung wenigstens eine ruhige Nacht. Am folgenden Tage erfuhr er, daß die Höhlung von dem berüchtigten Spießgesellen des Schinderhannes, dem schwarzen Jonas, gebrochen worden sei, um von da aus zu entwischen. Als später Böck seine Schicksale erzählte, pflegte er immer zu sagen: „Und darin hab’ ich ehrlicher Leute Kind geschlafen.“ Die Kost der Gefangenen war hier Brod, dicker Hirse in Wasser gekocht mit einer starken Zuthat von Salz, – offenbar deshalb so reichlich dazugethan, damit die noch im Besitze von Geld Befindlichen dem Concierge sein saures Bier und den schlechten Wein abkaufen sollten.

Bald darauf erhielten die Eingekerkerten Ordre nach Metz. Es hieß, der Courier, welcher diese Ordre gebracht, sei zugleich der Ueberbringer eines General-Pardons gewesen, denn eigentlich hätten sämmtliche Gefangene in Mainz erschossen werden sollen. Nun koppelte man die Schill’schen Leute in Abtheilungen von je zwanzig Mann zusammen und escortirte sie durch Gensd’armen über Landshut, Kaiserslautern und Zweibrücken; hier war es, wie der Oberjäger Grund erzählt, wie Böck und viele Andere bestätigen, wo der Concierge des Gefängnisses sie mit Hohnlachen empfing. „Nun, Banditen,“ rief er, „in den Hohlwegen geht Euer Handwerk, aber auf freiem Felde nicht. Wenn aber nur erst den Hauptmann der Teufel geholt hat, kommt die Bande nach.“ Hier war es, wo einem braven, kernigen Husaren mit langem Barte der Bart gezaust ward; hier war es endlich, wo Grund, der bei furchtbarer Hitze für sich und seine schmachtenden Cameraden Wasser verlangte, die scheußliche Antwort hören mußte: „Für Euch Räuber ist kein Wasser da. Ihr müßt verhungern, verdursten oder gerädert werden.“ Als Böck um einen Topf bat, sich Wasser zu schöpfen, rief ein Sergeant: „Sauft aus dem Trog, Canaillen.“ Sie erhielten endlich die Erlaubniß aus dem Viehtroge trinken zu dürfen. Ueber Metz ging der traurige Marsch nach Verdun, woselbst in der Todtenkammer Quartier gemacht wurde, und voll der trübsten Ahnungen langte die Colonne in Sedan an.

Bittres Loos! schreckliches Tagwerk! und doch ist ihnen hier eine unnennbare Freude bereitet. Sie finden die zweite Abtheilung ihrer Leidensgefährten, die auf anderen Wegen hierhergelangt sind; mit diesen Leuten sind die elf Officiere gekommen. Die ersten, welche die Neuangekommenen freudig begrüßten, waren Carl und Albert von Wedell, Friedrich von Trachenberg und Daniel Schmidt, lauter junge, blühende Männer, strotzend von Kraft und Lebensmuth. „Kinder,“ rief Carl von Wedell, „Kinder, wie seht Ihr aus?“ Das war ein Jubel, ein Händedrücken. Kein Unterschied des Standes, der Stellung zog seine hemmende Schranke, es waren Waffenbrüder – Unglücksgenossen, die sich hier zusammenfanden in der Ferne, inmitten ihrer Henker. Dieses Unglück schien geringer, denn sie konnten sich umarmen, sie stärkten sich gegenseitig, sie richteten sich an einander auf. Lange gönnte man ihnen das Zusammensein nicht, die Gensd’armen trennten sie.

„Lebt wohl, brave Cameraden,“ rief Trachenberg, „Euer Schicksal wird nicht so hart sein wie das unsrige.“

Böck sagte: „Mein Lieutenant, wissen Sie denn schon Ihr Urtheil?“

„Nein,“ sagte Fleming düster lächelnd, „aber soviel ist gewiß, daß wir erschossen werden.“

Die Soldaten fuhren entsetzt zusammen, unwillkürlich perlten Thränen über die braunen Wangen.

„Das ist nicht möglich,“ riefen sie, „das darf, kann nicht geschehen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_246.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)