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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

kurzen Zeitraume aus dem bescheidenen Anfange ein so großartiges Geschäft hervorgehen würde, wie es in gleicher Weise in ganz Europa nicht zum zweiten Male gefunden werden kann.

Schon drei Jahre später (1839) übernahm Hermann Gerson das bisher gemeinschaftlich geführte Geschäft für alleinige Rechnung auf seinen Namen, und von diesem Zeitpunkte an gewann das noch so junge Unternehmen jenen fast beispiellos raschen Aufschwung. Gerson sah bald ein, daß er dem immer rascher anwachsenden Geschäfte nicht allein mehr vorstehen könne, und es lag ihm wohl nichts näher, als die treueste und zuverlässigste Hülfe in seiner eigenen Familie zu suchen. Geboren zu Königsberg in der Neumark hatte Gerson noch sechs Brüder, einen älteren und fünf jüngere, und auf diese Angehörigen richtete er nun sein Augenmerk. Von seinen Brüdern nahm er einen nach dem andern als Theilhaber in sein Geschäft auf, welches in der Gunst des Publicums fortwährend stieg, so daß in der Bauakademie eine stete Vergrößerung der Localitäten nöthig wurde, bis endlich im Jahre 1840 die Uebersiedelung nach dem jetzigen Locale am Werder’schen Markte erfolgte. Obgleich schon damals fast das ganze Haus in großartigster Einrichtung geschäftlichen Zwecken gewidmet war, so stellte sich doch durch die immer steigende Frequenz nach und nach die Nothwendigkeit heraus, große Räume in den nächstgelegenen Häusern zu Niederlagen, Arbeitssälen u. s. w. einzurichten.

Ebenso wurde die Einrichtung eines eigenen Geschäftes unter der Gerson’schen Firma in Paris nöthig, welches zwar nicht in gleicher Weise wie in Berlin den Verkauf, sondern vielmehr die nöthigen Einkäufe in der Hauptstadt der Moden zum Zwecke hat. Einer der Gebrüder Gerson steht diesem Pariser Geschäfte vor und hat eine durchaus nicht leichte Aufgabe, welche große Aehnlichkeit mit den Bestrebungen der Uebersetzer dramatischer und anderer belletristischer Neuheiten besitzt. Wie diese Herren auf literarischem Gebiete alles Neue womöglich schon im Entstehen mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen, um das irgend Uebersetzungswürdige für Deutschland oder für andere nach fremden Producten schmachtende Nationen sogleich genießbar zu machen, so hat der Chef des Gerson’schen Geschäfts in Paris eine sehr ähnliche Vermittelung zu bewirken. Was in Sachen des Luxus und der Mode nur Neues auftaucht, wird von ihm, sobald es geschmackvoll gefunden worden ist, auf dem directesten Wege nach Berlin spedirt, um dort die wie überall nach Frankreichs Moden sehnsüchtige Damenwelt zu entzücken.

Der Gerson’sche Bazar ist nicht nur eine Merkwürdigkeit, er ist im eigentlichsten Sinne des Wortes eine Nothwendigkeit für Berlin geworden. Ganz abgesehen von seinem factischen Vortheile für die Damenwelt, würde es diese unendlich schmerzlich berühren, wenn durch das plötzliche Verschwinden ihres Lieblingsaufenthaltes auch ihrer Unterhaltung das Lieblingsthema entrissen würde. Und nun gar die Männer, welche ihren Ehefrauen gegenüber irgend ein begangenes Unrecht wieder gut zu machen haben! Wie verzweiflungsvoll würden sich diese armen Verbrecher nach einer andern Firma umsehen, deren Name allein schon in vielen tausend Fällen hinreichend gewesen ist, ein heranziehendes, oder selbst ein schon losgebrochenes Gewitter am Ehehimmel zu beschwichtigen!

Das Aeußere des Hauses läßt kaum die darin aufgehäuften Schätze des Luxus vermuthen. Die Schaufenster zeigen nicht jenen raffinirten massenhaften Aufputz, den man häufig bei Geschäften von weit geringerer Bedeutung findet, wo oft der größte Theil der Vorräthe sich hinter den mächtigen Spiegelscheiben dem vorübergehenden Publicum augenfällig präsentirt, während zuweilen im Innern die traurige Leere der Waarenfächer den Uebergang zu einer bevorstehenden Insolvenz anzeigt.

Der Strom der Käufer, oder besser gesagt – Käuferinnen, welche zum Gerson’schen Local ziehen, ist immer ein gewaltiger, in der Weihnachtszeit sogar ein ununterbrochener. Vor den Thüren baut sich oft eine wahre Burg von Miethwagen und herrschaftlichen Equipagen auf, und gähnende Kutscher sowie brummende Diener harren verdrießlich ihrer Gebieterinnen, denen unterdessen beim Anschauen der Toilettenherrlichkeiten Stunden zu Minuten werden.

Durch das Entree gelangen wir fast unmittelbar in den großen Hauptraum zu ebener Erde, der sein Licht durch ein Glasdach von oben erhält, während sich nach allen Seiten kleinere Abtheilungen abzweigen, von denen die links gelegenen für die Comptoir- und Cassenzwecke reservirt sind. Von diesem großen Parterrelocale führt eine breite Doppeltreppe nach dem ersten Stockwerke, und die rings um dasselbe laufende Galerie gewährt einen überraschenden Blick auf das rege Wogen und Treiben zu unseren Füßen. An diese Galerie stoßen wiederum eine Menge einzelner Abtheilungen, welche wie unten entweder allein oder vielleicht in Verbindung mit der nächstfolgenden Localität immer nur von einer bestimmten Waarengattung in Anspruch genommen werden. Auch das zweite Stockwerk umfaßt noch eine Anzahl ähnlicher Räume, die sämmtlich mit Waaren angefüllt sind und wo wir überall zahlreichen Käufern und Verkäufern begegnen.

Staunenerregend ist die Menge der verschiedenartigsten Artikel, welche der Gerson’sche Bazar zur Auswahl darbietet. Von dem einfachsten baumwollenen Futterstoffe; von dem nur wenige Pfennige kostenden schmalen Spitzengewebe bis zu dem Kostbarsten, was die luxuriöse Mode vorschreibt, findet man hier Alles in einer unglaublichen Mannigfaltigkeit vertreten. Nicht fern von dem einfachen Tuche, welches die genügsame Handwerkerfrau erwirbt, um sich damit Jahre lang zu schmücken, sind echte indische Kaschmirshawls ausgestellt, von denen das Stück tausend bis fünfzehnhundert Thaler kostet. Und, merkwürdig, gerade diese Shawls, nach deren Besitz so manche vornehme Dame sehnsüchtig strebt, sind im Vergleich zu den ähnlichen Tüchern Wiener oder französischen Ursprungs geradezu häßlich zu nennen. Die Farben sind meist sehr grell und in einer Reihenfolge zusammengestellt, die den gewöhnlichen Geschmacks- und Schönheitsregeln völlig widerspricht; dagegen ist der zu den Kaschmirshawls verwendete Rohstoff von wunderbarer Feinheit, und die bei den geringen mechanischen Hülfsmitteln jener Länder fast unbegreifliche Sauberkeit der Ausführung muß auch den Nichtkenner mit Staunen erfüllen. Die zu den Kaschmirshawls verarbeitete Wolle gleicht an Feinheit fast der Seide, und jeder dieser Shawls besteht aus einer Menge kleiner Theile wie Palmen, Blätter, Streifen und Kanten, welche so fein zusammengefügt sind, daß auch ein geübtes Auge nur schwer die Nähte zu erkennen vermag.

Einen nicht geringeren Luxus entfaltet die Abtheilung, in welcher die feinsten Brüsseler Spitzen zu finden sind; doch auch hier gehört ein Kenner, oder – verzeihen Sie, meine Damen! – vielmehr eine bewährte Kennerin dazu, um die oft fabelhaft klingenden Preise mit dem geringen Umfange der Waare in Einklang zu bringen. Ein geklöppeltes Spitzentuch für dreihundert Thaler, der Spitzenbesatz eines Kleides, welcher eben so viel oder gar noch mehr kostet – das sind Gegenstände, bei denen der vorsichtige Gatte seine entzückte Ehehälfte wie an einem Verderben drohenden Strudel rasch vorbeiführt. Aber dicht daneben droht dem für seine Casse besorgten Ehemanne eine nicht minder gefährliche Stelle, denn die hier entrollten prachtvollen Seidenstoffe sind gleich verführerisch und Kleider zu hundert bis hundertfünfzig Thaler gehören nicht zu den Seltenheiten.

In den oberen Räumen sehen wir die Niederlagen der Meubelstoffe und Teppiche aller Gattungen, wie sie von der bürgerlichen Wohnung bis zum fürstlichen Palaste ihre Verwendung finden. So manche schwerseidene und mit Gold durchwirkte Damaste sind vielleicht bestimmt, stumme Mitwisser der wichtigsten Staatsgeheimnisse zu werden, und diese kostbaren Teppiche englischen und holländischen Ursprunges werden wahrscheinlich dereinst auch nicht von profanen bürgerlichen Fußtritten belästigt. Die in Smyrna gefertigten, doch fast nur unter dem Namen „persische Teppiche“ bekannten Gewebe contrastiren mit den europäischen Fabrikaten bedeutend in Farben und Mustern, denn diese sind oft plump und häßlich.

Von großartigem Umfange ist das Geschäft in fertigen Damengarderobeartikeln, welche sich ebenfalls im ersten Stockwerk befinden. Dies ist indeß wahrscheinlich diejenige Abtheilung des Gerson’schen Bazars, in welche zumal leicht zur Eifersucht geneigte Frauen ihre Männer nicht gern als Begleiter mit sich führen; nicht etwa aus übertriebenem Zartgefühl, denn Toilettengeheimnisse giebt es bei dem Einkauf von Mänteln, Mantillen und dergleichen jedenfalls nicht, wohl aber dürften die hier angestellten Verkäuferinnen, deren junge junonische Gestalten die zu verkaufenden Artikel beim eigenen Anproben ganz vorzüglich empfehlen, manchen Ehemann zu bedenklichen Vergleichen verführen.

Eine bittere Erfahrung dieser Art machte (so erzählt man) hier einst eine Lady, welche in Begleitung ihres Gemahls den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_265.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)