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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 18. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

An einem heißen Junimorgen war wieder eine größere Streife gegen den Wildschützen ausgezogen. Die Sonne brannte so schwül hernieder, als habe sie ihre Lust daran, den Streifern das mühselige Geschäft auch ihrerseits zu verleiden. Müd’, matt und verdrossen zog die bewaffnete Schaar einen Hügel hinan, über welchem die Landstraße steil emporstieg, um an der andern Seite eben so steil in die Ebene hinabzuführen, welche sich nach drei Seiten hin weit ausbreitete. Auf dem Hügel stand eine kleine nischenartige Feldcapelle, hinter welcher ein Waldstreifen hinzog; die Ebene bestand aus halbreifen Saatfeldern, nach allen Seiten von Wäldern, wie von einem weiten dunklen Rahmen, umfaßt.

Die Schaar hatte die Höhe ziemlich ordnungslos erreicht und es sich droben, ohne erst ein Commando abzuwarten, möglichst bequem gemacht. Die flinksten hatten sich im Schatten der Capellen-Nische einquartiert. Einige saßen am Rande des Straßengrabens. Andere hatten ihre Musketen an einander gelehnt und sich auf dem weichen Grasboden gelagert. Die dreieckigen Hüte wurden abgenommen und die Röcke aufgeknöpft, um sich den Schweiß abzutrocknen und Kühlung zu verschaffen. Jetzt, im Zustande der Zerstreuung und Ruhe, trat es erst recht hervor, welch bunten Anblick die ganze Schaar darbot. Sie bestand aus etwa zwanzig Mann, aber nur sechs davon schienen zu einander zu gehören: sie trugen auf den blauen aufgeschlagenen Röcken breite rothe Aermelklappen, kurze rothe Büsche auf den Hüten und über der Brust gekreuzte weiße Lederriemen für Patrontasche und Säbel. Von den übrigen waren immer höchstens zwei oder drei einander ähnlich: sie hatten verschiedene Röcke von allerlei Zuschnitt, Hutbüsche und Aufschläge von den schönsten Farben, hellgrün, rosenroth und himmelblau. Der Rest bestand aus einigen Jägern und einem Förster, die sich aber seitwärts und zusammen hielten, als läge ihnen daran, nicht zu der übrigen Mannschaft gerechnet zu werden.

„Das wird wohl die Capelle sein, die als Sammelpunkt bezeichnet ist?“ sagte der Anführer der sechs Gleichartigen, ein altgedienter Feldwebel mit ungeheurem Schnurrbart und bärbeißigem Gesichte. „Nicht so, Herr Förster?“

„Ja,“ erwiderte dieser, ein schöner stämmiger Mann von dunkler Gesichtsfarbe, dunklem Haare und noch dunkleren entschlossenen Augen, „das ist die Achatius-Capelle, und was da vor uns liegt, ist der Hartwald, in welchem der Hiesel jetzt seinen Unfug treibt.“

Der Feldwebel warf einen musternden Blick auf die von aller Disciplin gelöste Schaar. „Es sind noch nicht alle Mannschaften da,“ sagte er dann, „wir müssen auf sie warten und darüber versäumen wir am Ende die beste Zeit und Gelegenheit!“

„Dort unten beim Bach,“ sagte, mit vollen Backen kauend, Einer der Hellgrünen, der am weitesten umhersehen konnte und aus seiner Patrontasche Wurst und Brod hervorgeholt halte, „da ist gerade Einer durchs Wasser gewatet; jetzt sitzt er auf dem Markstein und zieht Schuh und Strümpfe wieder an. Er hat eine Muskete und einen Federbusch … wird also wohl auch ein Soldat sein.“

„Was? Ein einziger Mann?“ rief der Feldwebel und trat diensteifrig vor: „wo mag er herkommen? Er muß von seinen Corps versprengt worden sein … Soldat Blümelhuber,“ fuhr er dann, zu Einem seiner Mannschaft gewendet, fort, „stell Er sich da hinaus auf die Straß’ als Schildwach’ und ruf Er den Soldaten an; er kommt richtig auf uns zu.“

Der Aufgerufene war eben im Begriff gewesen, ein bischen einzunicken, er war daher von dem Commando nicht sehr erbaut und bezog seinen Posten mit einer Miene, als ob er einem Kampfe auf Leben und Tod entgegengehe. Der Ankömmling mußte seinen Aerger entgelten, denn mit einer Bärenstimme, die im fernen Walde nachhallte, brüllte er demselben sein „Halt! Wer da?“ entgegen.

Der Herankommende war eine sonderbare Erscheinung: ein alter Kerl mit verschrumpftem Gesicht und einem halblahmen Bein, das ihn etwas zu hinken nöthigte. Das Körperchen steckte in einem Soldatenrocke wie ein vertrockneter lockerer Nußkern in der Schale; aber auf dem Hute nickte ein mächtiger citrongelber Federbusch. Die Aermel und Rockklappen waren von gleicher Farbe und über der Brust baumelten zierliche citrongelbe Quastenschnüre.

Auf den kriegerischen Anruf versuchte der Mann sich ebenfalls ein soldatisches Ansehen zu geben und krähte dem Wachposten mit aller Anstrengung seiner dürren Kehle und in der blühendsten Mundart eines Stockschwaben zu: „Ich bin das Reichscontingent vom Stift Wetterhausen!“ Damit stand er schon mitten unter den Uebrigen und fuhr, ohne sich um Commando, Meldung oder Feldwebel zu bekümmern, in der heitersten Laune fort: „Grüß’ Gott bei einander, grüß Gott, Männer! Hän’t Ihr scho’ ebbes gfange’? Ich bin auch da zum Streife!“

„Wer ist Er?“ schnauzte ihn der Feldwebel im Gefühl seiner verletzten Würde an. „Was ist die Parole?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_273.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)