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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

eine kräftig Stimme von seltenem Klang und gebrauchte sie gern, besonders seit der Bube bei ihm war, denn dieser besaß auch eine frische glockenhelle Knabenstimme und gutes Gehör, und wenn sie Abends im Walde oder in einer Schenke sangen, lauschte die ganze Schaar und die Gäste tranken aus Behagen einen Krug mehr als gewöhnlich. Es war ein munteres Jägerlied, das sie sangen: es schilderte Waidmannslust im grünen Forst; als aber der Absatz an die Reihe kam, in welchem des Liebchens gedacht war, übersprang es Hiesel und fing gleich den letzten Absatz zu singen an. „Das kommt ja noch nicht,“ rief der Bub’, aber Hiesel sang zu Ende, ohne darauf zu achten, und eilte dann wieder stumm und in sich gekehrt den Andern voran.

Nach einiger Zeit gesellte sich Studele zu ihm, der seines gesetzten Wesens halber viel bei ihm galt und sich wohl ein vertrauteres Wort herausnehmen durfte. „Ich hab’s wohl gemerkt,“ sagte er, „Du hast das Gesätzl von des Jägers Schatz mit Fleiß ausgelassen, und kann mir wohl auch einbilden, warum Du’s gethan hast … wer sich mit den Weibern einläßt, hat’s allemal zu bereuen! Wirst wohl auch so was hinter Dir haben – aber sie ist schon wieder da gewesen …“

„Wer?“ fragte Hiesel staunend.

„Nun, das Mädel,“ erwiderter Studele, „das nun schon ein paarmal dahin gekommen ist, wo wi gelagert waren, und verlangt hat mit Dir zu reden … Du hast nichts wissen wollen davon, so hab’ ich sie allemal fortgejagt, – aber gestern hab’ ich sie wieder geseh’n, wie sie von fern um unser Lager herumgeschlichen ist …“

„Es wird eine Kundschafterin sein, die uns ausspioniren will …“

„Nein,“ lachte Studele, „es steht wohl was Anderes in dem Gesicht: sie will durchaus nicht sagen, wer sie ist, aber sauber ist sie, wie ich nicht leicht ‘was gesehen hab’!“

Hiesel erwiderte nichts; so oft von diesen geheimnißvollen Besuchen die Rede war, stieg der Gedanke in ihm auf, es könnte Monika sein, welche ihre Härte bereute und wieder zu ihm käme, aber dann strahlten ihm aus der Erinnerung ihre blauen Augen so rein und strenge entgegen, daß er den Gedanken als eine Thorheit von sich wies, und doch lag in dieser wenn auch noch so thörichten Möglichkeit ein Reiz, mächtig genug, daß er es vermied, Gewißheit zu verlangen, und darum die Unbekannte immer von sich fern hielt.

Mit einmal stand er still und ein Laut der Ueberraschung entfloh seinem Munde.

Um eine Ecke beugend waren sie auf eine schöne grüne Waldblöße getreten und mitten in derselben lag, wie er es oft geträumt, das anmuthige Jägerhaus mit den lustigen grünen Läden, dem stattlichen Hirschkopf über der Thür, und um den Traum vollständig zu machen, stand auf der Schwelle derselben eine weibliche Gestalt, welche den Herankommenden eifrig zuwinkte.

„Wie geschieht mir denn?“ sagte Hiesel. „Träum’ ich denn und gilt das Winken uns?“

„Gewiß,“ sagte Studele schmunzelnd; „die Frau sieht uns für Jäger an … wir sollten uns wohl den Spaß machen, ihrem Winken zu folgen …“

„Ist es die Frau des Försters, den wir eben erst unter den Händen hatten?“

„Nein, der wohnt an der andern Seite des Waldes,“ war die Antwort, und schon hatte Hiesel in den Wiesenpfad eingebogen, der zu dem Hause führte. Die Jägerin, ein hübsches rundes Weibchen, eilte den Kommenden einige Schritte entgegen und rief schon von Weitem: „Grüß’ Gott, Ihr Herren … sputet Euch doch! Die Andern sind schon vor zwei Stunden fort, ich habe das Frühstück schon zweimal vom Feuer genommen und wieder hingesetzt …“

„Das ist recht schade,“ sagte Hiesel hinzutretend mit freundlichem Gruß und folgte der geschäftig Voraneilenden in’s Haus; „wir haben Euch Mühe gemacht! Hätten wir früher gewußt, was für eine schöne Jägerin da auf uns wartet, wir wären schon längst gekommen!“

„Nur geschwind herein und zum Tisch gesetzt!“ rief die Frau, indem sie Teller, Gläser und Schalen auf dem schon gedeckten Tische zurecht stellte. „Da ist Kaffee, Schnaps, Schinken und Brod, wie mein Mann es angeschafft hat!“

Hiesel war mitten im Zimmer stehen geblieben, während seine Gefährten sich sofort über die Mahlzeit hergemacht hatten – das einfache Stübchen fesselte seine Blicke. An den Wänden hingen Waidtasche, Gewehre und Jagdgeräth, in einem halboffenen Wandschränkchen lagen des Jägers Rechnungen und Bücher, unter dem Ofen war den Hunden ein Lager bereitet … in der Nebenkammer stand ein mächtiges Himmelbett mit sauberen Vorhängen und am Fußende desselben eine Wiege, in der ein Knabe mit rothen Pausbacken schlummerte; es war Alles so wohnlich, so traulich, so ganz wie er es oft im Geiste vor sich gesehen: er mußte sich mit Gewalt losreißen und seine ganze Fassung zusammennehmen, um nicht weich zu werden.

„So?“ rief er mit lautem Lachen, „der Mann hat es angeschafft, daß Ihr uns so bewirthet? Er soll leben, der Mann! Das muß ein Muster von Jäger sein, wie mir noch keiner vorgekommen ist.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein untergegangener Dichter.

Am 24. September des Jahres 1715 wurde in der alten schlesischen Stadt Schweidnitz eine neue Tragödie unter dem Titel „Die von Theodosia bereu’te Eifersucht“ durch die dortige Schuljugend aufgeführt. Der Verfasser derselben war selbst noch ein Schüler Namens Johann Christian Günther, der Sohn eines Arztes aus dem benachbarten Striegau. Von Jugend auf zeigte der von der Natur auch körperlich sehr reich begabte Knabe einen unwiderstehlichen Wissensdrang und Neigung zum Dichten, wogegen der strenge, durch mancherlei Mißgeschick verbitterte Vater vergebens ankämpfte. Das deutlich ausgesprochene Talent erwarb ihm jedoch einen Gönner in der Person des Doctor Thiem zu Schweidnitz, der in großmüthiger Weise für ihn sorgte. Christian erfüllte in vollstem Maße die von ihm gehegten Erwartungen; er machte die bedeutendsten Fortschritte und fand trotz seiner Jugend die größte Anerkennung, so daß ihm eine glänzende Zukunft zu lächeln schien. Bei seinem Abgange von der Schule zur Universität hatte er die genannte Tragödie geschrieben, welche seine Lehrer für würdig erklärten, öffentlich aufgeführt zu werden. Der zum Theater umgewandelte Saal faßte kaum die Zahl der Zuschauer, unter denen sich der würdige Magistrat der Stadt, der Oberprediger und fromme Liederdichter Benjamin Schmolk und viele adlige Familien aus der Umgegend befanden. Mit großer Theilnahme verfolgte das auserwählte Publicum den Gang der Handlung und besonders das Geschick der schönen Kaiserin Eudoxia, der Gemahlin des eifersüchtigen Theodosius, welcher die Unschuldige eines geheimen Einverständnisses mit seinem edlen Rath Paulinus verdächtigt und diesen hinrichten läßt. Zu spät überzeugt sich der grausame Kaiser von seinem Irrthum, indem Eudoxia, vor ein Gericht gebracht, sich von jedem Verdacht reinigt und im Glanze der Tugend siegreich aus der Prüfung hervorgeht. Mit himmlischer Milde vergiebt sie ihm zwar, aber sie verläßt ihn, um sich in ein Kloster nach Jerusalem zurückzuziehen. – Von tiefster Wirkung waren ihre rührenden Klagen, welche folgendermaßen lauteten:

„Ich seh’ die Wetter schon am Himmel streiten,
Den der Verleumdungs-Dunst mit dicken Wolken schwärzt,
In welchen Blitz und Schlag mit Donnerkeilen scherzt,
Gott, meiner Väter Gott! der Du den Frommen lohnest,
Ich halte Deiner Hand in Allem gerne still
Und weigre, hat Dein Zorn was über mich verhangen,
Mich auch für diesmal nicht, die Strafe zu einpfangen,
Die ich vielleicht verdient; doch denk an Deine Huld,
An Deine Vater-Treu und gieb mir stets Geduld,
Die väterliche Zucht mit Freuden anzunehmen
Und sonder Murren mich Dir also zu bequemen,
Wie es Dein Wille fügt und mein Gehorsam heißt.“

Kein Auge blieb thränenleer und selbst der ehrwürdige Oberprediger nickte beifällig mit dem Kopfe und stimmte in den allgemeinen Beifall ein, der am Schlusse dem jugendlichen Dichter zu Theil wurde. Dieser mußte nach der Vorstellung auf der Bühne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_276.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)