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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wenige lesen sie. Mein Geist ist nicht stark, nicht genial, nicht dämonisch genug, um Gebilde wahrer Kunst zu schaffen; er ist nicht reich und originell und tief genug, um das Reich der Gedanken wahrhaft zu mehren. Ein Romanschreiber leistet nur Gutes, wenn er ein Stück vom Teufel im Leibe hat – und das habe ich nicht! Ein weicher scheuer Mensch wie ich, wie kann der die von der Tarantel gestochene Gesellschaft von heute schildern! Ich bin zu träge, zu indolent, mich nur hineinzumischen, um sie zu studiren. Mir graust vor ihren Abgründen! Wer dieser Welt nützen soll, der muß die Blitze des Erhabenen unter sie schleudern, durch die Donner einer leidenschaftlichen Größe sie aus dem Taumel schrecken! Mein Feuer ist ein gemüthliches stilles Licht, aber Blitze sprühen nicht daraus, und daher sind meine Bücher nichts. Was ich je Gutes gethan, das ist, daß ich meinen Neffen zu einem Menschen erzogen, in dem die Keime des Guten ausgebildet sind, daß ich ihm eine Existenz schaffe, worin er der Menschheit nützen kann.

Und das soll ich ungethan machen, diese Existenz vernichten, indem ich um einer Thorheit wegen mit diesem Neffen in Kampf und Hader gerathe, den erbittertsten, den es zwischen zwei Männern geben kann, und mich obendrein lächerlich mache! Haben sie nicht schon gelacht über mich? … hat nicht diese Elisabeth jedes Wort, das ich ihr gesagt, Max hinterbracht? … o, solch ein Weib ist so herzlos, so gottlos, wenn ihre Eitelkeit einen Triumph feiern kann … und so thöricht! Ja, so herzlich thöricht, so thöricht, wie die ganze Welt, die sich begeistert und schwärmt für solch ein junges Liebespaar und die schöne Zeit der ersten Liebe! Ich muß darüber lachen, über all diese gerühmten heiligen, allmächtigen, himmlischen Gefühle. Im Herzen eines Baumes ist mehr himmlischen Triebes, als in diesen kindischen Menschen; es ist mehr Feuer unter der Rinde eines alten Eichbaumes! Die Liebe ist für sie eine Einbildung, weiter nichts. Um lieben zu können, muß man ein reifer Mensch, müssen die Stürme des Lebens durch unsere Brust gezogen sein, um uns weicher und tieffühlender, größer und stärker zu machen. Man muß erfahren haben, was eine Menschenseele ist, was sie in sich birgt, was eine der andern sein kann. Man muß mit tiefem Schmerz und langem Sehnen das Gefühl der Einsamkeit in sich getragen haben. Man muß das Leben haben um sich verarmen sehen, die Illusionen schwinden, die Hoffnungen untergehen, den Himmel nächtlich werden; und dann, dann muß man einen Stern erblicken, um an diesen Stern all sein Sinnen und Träumen, all sein Dichten und Trachten, seine ganze Seele zu hängen, um mit einer Leidenschaft nach ihm zu streben, die Tod und Verderben trotzt!

O, nur ein reifer Mann kann lieben!“

Markholm legte mit einem tiefen Seufzer den Kopf auf die Lehne des Ruhebettes zurück und dann bedeckte er sein Antlitz mit beiden Händen. Er blieb lange so; ein paar Tropfen rieselten langsam an den Händen nieder, die über seinen Augen lagen. Dann sprang er plötzlich auf, stampfte mit dem Fuß den Boden und murmelte zwischen den Zähnen:

„Genug! Fort damit. Ich will Allem unwiderruflich ein Ende machen. Ich will meine Schiffe hinter mir verbrennen, um meiner selbst sicher zu sein.“ –

Als Max vorher das Haus verlassen hatte, wanderte er in dem Garten auf und ab und dann schlug er, heiter und ohne alle Ahnung, welchen Sturm er in seinem Onkel hervorgerufen hatte, eine Opernmelodie trällernd, den Weg zwischen den Wiesen nach dem Wäldchen ein.

In der Mitte der Allee, welche durch dieses Gehölz führte, war zur Seite eine Rasenbank angebracht. Als Max in die Allee einbog, erblickte er ein weibliches Wesen auf der Bank, nach einigen Schritten erkannte er, daß es Elisabeth war.

Sie saß dem Anschein nach völlig versunken in eine alte Pergamenturkunde, die aufgerollt in ihrem Schooße lag.

Max trat ihr nahe und begrüßte sie mit einer tiefen Verbeugung.

„Sie hier, mein Fräulein?“ sagte er.

„Finden Sie, daß ich zu oft in Ihr Gebiet eindringe, Herr von Markholm?“ versetzte sie.

„O, ganz und gar nicht, und wenn mein Onkel wüßte …“

„Wenn er wüßte,“ fiel Elisabeth den Neffen mit ihrem großen Blicke anschauend ein, „was ich hier habe, so würde er mir freilich nicht zürnen, daß ich schon wieder komme, ihn zu stören.“

„Sie stören ihn gewiß nicht, ich bin ganz überzeugt, daß er Sie freudig bewillkommnet, auch ohne das alte Pergament da! Was ist es? es sieht mit seinen wurmzerfressenen Siegelkapseln respectabel genug aus. Es ist doch nicht gar die famose Lehnsurkunde …“

„Ich weiß es nicht,“ fiel Elisabeth ein. „Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und helfen Sie mir es lesen. Wenn ich doch nur mehr Latein könnte … und diese alte Schrift ist so schwer zu lesen!“

Max schien nicht zu wagen, der Einladung, sich neben Elisabeth zu setzen, Folge zu geben; aber er beugte sich über sie und sagte nach einer Weile:

Anno domini millesimo quingentesimo tertio, in profesto nativitatis … das bring’ ich heraus.“

„So klug bin ich auch!“ fiel Elisabeth lächelnd ein, „ich lese sogar noch ein wenig mehr und sehe, daß hier feudum oblatum in curia nostra apud turrim Sancti Petri steht … auch hat mein Vater, der freilich leider auch kein Latein versteht, mir gesagt, daß es vielleicht die richtige Urkunde sei und daß ich sie immerhin Herrn von Markholm zeigen solle, er werde am besten daraus klug werden …“

„Woher haben Sie das Document?“

„Der Rentmeister hat es mir gegeben, er hat es erst heute Morgen zwischen seinen alten Papieren gefunden.“

„Sollte man ein so wichtiges Blatt zwischen alten Papieren vergessen haben?“

„Warum sollte das nicht möglich sein?“

„Und Ihr Herr Vater selbst hat Sie aufgefordert, es meinem Onkel zu zeigen, der freilich vortrefflich mit dem alten Zeuge umzugehen versteht?“

„Eben deshalb!“ versetzte Elisabeth, ihn mit einem ihrer sprechenden Blicke ansehend. Sie brauchte die stolz und kühl gesprochenen Worte: „Mein Vater ist ein Ehrenmann!“ nicht hinzuzusetzen, sie lagen vollständig in diesem vorwurfsvollen Blick.

Trotzdem mochte Max die Sache für unwahrscheinlich halten und sein Urtheil über Elisabeth’s Vater mochte auch nicht so fest stehen, wie sie es aussprach. Er schüttelte den Kopf und erwiderte:

„Ich wünsche von Herzen, daß das Document das richtige sein möge; aber wenn es nicht der Fall wäre und also damit Alles geschlichtet, so möchte ich Sie um Eines bitten.“

„Und was ist das?“

„Daß Sie mich des Wortes entbinden, welches Sie mir an diesem Morgen abnahmen, als ich die Ehre hatte, Sie zu geleiten.“

Elisabeth sah lebhaft auf.

„Weshalb wollen Sie nicht in der kleinen Verschwörung mit mir bleiben? Ich habe Ihnen gesagt, wie sehr mir daran gelegen ist, jetzt, wo der Zufall mich mit Ihrem Onkel bekannt gemacht hat, ihn mit meinen Eltern zu versöhnen, den bittern Haß allmählich in Frieden und Versöhnung zu wenden. Sie selbst haben mir eingeräumt, daß ich dies nicht kann, wenn Ihr Onkel weiß, daß ich nicht Elisabeth Kramer, die Tochter des Pfarrers, bin, für die er mich hielt, sondern Elisabeth Morgenfeld, die Tochter des Mannes, den er am meisten auf Erden haßt.“

„Es ist wahr,“ versetzte Max, „und deshalb habe ich auch eingewilligt, gegen meinen Onkel zu schweigen, ihm seinen Irrthum nicht aufzuklären … aber es ist etwas, was mir die Sache bedenklich macht.“

„Und das ist?“ fragte Elisabeth, gespannt in seine Züge blickend.

Max erröthete leicht; er suchte offenbar nach Ausdrücken für das, was er sagen wollte.

„Es könnten,“ sagte er ein wenig stotternd, „Gefahren damit verbunden sein für meinen armen alten Onkel“ – dem zweiundzwanzigjährigen Max kam der Onkel natürlich wie ein Methusalem vor – „mit einem solchen Incognito-Verkehr zwischen Ihnen und ihm.“

„Gefahren?“

Elisabeth blickte groß und ernst in Maxens Züge bei diesem Wort, als ob sie allen Gefahren mit der ernstesten Seelenruhe in’s Auge sehen wolle.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_306.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)