Seite:Die Gartenlaube (1865) 317.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Berlin schmücken, jene riesigen Typen der Geschichte der Menschheit, die eben nur ein Kaulbach zu schaffen vermochte.

Als wir eintraten, sahen wir uns vergebens nach dem Meister um. Zugegen war er, denn das kräftige „Herein!“, das auf mein bescheidenes Pochen antwortete, war jedenfalls von ihm. Endlich bemerkte ich hoch oben in den Lüften zwei Beine, und noch ehe er gerufen: „Ich bin hier oben und werde gleich herunterkommen!“ sahen wir auf der Spitze einer hohen Doppelleiter den Meister balanciren und in dieser immerhin etwas schwierigen Position ganz ruhig seine Cigarre rauchen und an einem der an der Wand ausgespannten großen Cartons zeichnen.

„Wen bringen Sie mir denn da, lieber Freund?“ fragte er gemüthlich, von seinem hohen Sitz heruntersteigend.

Ich machte die Herrschaften mit einander bekannt, und bald hatte sich ein lebhaftes Gespräch zwischen ihnen entsponnen. Kaulbach ist als der liebenswürdigste Wirth bekannt, nicht allein in seinem reizenden Hause in der Gartenstraße, sondern auch namentlich in seinem Atelier. Jedermann hat zu gewissen Tageszeiten Zutritt, und so ergießt sich hauptsächlich in den Sommermonaten eine wahre Völkerwanderung von Fremden durch sein Atelier. Inmitten aller dieser fremden Leute arbeitet Kaulbach ruhig weiter, gewinnt immer noch Zeit mit den ihm Bekannten zu plaudern oder selbst Fremde, die ihn durch ihr Aeußeres interessiren, anzusprechen und kann dabei, namentlich Damen gegenüber, eine Galanterie entwickeln, die Alles entzückt.

So auch bei unserm Besuche. Es war mir ein eigenes Gefühl diese beiden Leute nebeneinander zu sehen. Der Künstler, dessen Name für alle Zeiten leuchtend dastehen wird in der Geschichte, dem es wie Wenigen vergönnt war, noch im frischesten Mannesalter stehend, im glücklichsten Schaffen begriffen, schon zu ernten, was er mühsam gesäet hatte, er, Kaulbach, der Vielgefeierte, hatte trotzalledem an äußern Erfolgen das nie genossen, was der kleinen Frau da vor ihm zu Theil geworden. Sie aber mochte doch recht gut fühlen, welche Bedeutung der Mann habe, der so liebenswürdig und freundlich mit ihr sprach, und schaute mit einer gewissen Scheu und Ehrfurcht zu ihm herauf, welche mir an der kleinen Grille, die sich schon so oft und so energisch für das „nil admirari“ ausgesprochen, ganz neu war.

Während die Beiden so beieinander standen, schoß mir eine lange Gedankenreihe durch den Kopf. Beide sind sie berühmt und gefeiert, und wenn auch ihr Wirken himmelweit verschieden, so treffen sie sich doch im Ausgangs- und Endpunkte. Schöpft nicht der Künstler die Kraft, mit der er den wunderbaren Fries z. B. geschaffen, in welchem die ganze Weltgeschichte als schalkhaft humoristisches Märchen durch reizende Kindergruppen versinnlicht wird, aus derselben Quelle, aus der Friederike Goßmann die Fähigkeit nimmt, die Tausende von Zuschauern, die sich stets in’s Theater drängen, wenn sie spielt, lachen und weinen zu machen? Können nicht ihre reizenden Gemälde, wie sie deren so viele geschaffen, so kurz und vergänglich auch leider ihre Wirkung ist, doch wenigstens in dieser verglichen werden mit den ewigen Schöpfungen des großen Meisters? Beide, der gereifte Maler und die junge, schöne, elegante Frau, sind sie Jünger des göttlichen Humors, ob sie auch seine Offenbarungen in verschiedenster Weise und auf verschiedensten Wegen wiedergeben.

„Den alten Fritz hier müssen Sie sich doch auch anschauen, ich glaube, Sie kennen ihn auch noch nicht,“ wandte sich Kaulbach, meine Träume unterbrechend, zu mir.

„Wann haben Sie denn einen Friedrich den Großen gemacht?“ fragte ich neugierig; „das hätte mir, der ich fast tagtäglich im Atelier war, unmöglich entgehen können.“

„Vorgestern Nachmittag, als Sie fortgingen, habe ich ihn angefangen, und just ehe Sie hereinkamen, hatte ich den letzten Strich daran gethan und ihn umgedreht,“ sagte der Meister lächelnd. „Jetzt helfen Sie mir wohl, ihn wieder an’s Licht zu bringen?“

Wir faßten Beide den großen Carton an und drehten ihn herum. Da saß der „alte Fritz“ in Lebensgröße.

Alle, wie wir da waren, brachen in ein lautes „Ah“ aus. Die Zeichnung, zu einer Reihe historischer Compositionen des Meisters gehörig, trotzdem sie nur mit schwarzer Kreide ausgeführt war, wirkte doch ungemein lebendig. Man meinte, der alte Herr müsse sich jeden Augenblick vom Throne erheben und den sieggewohnten Degen auf’s Neue ziehen.

„Wahrlich, so oft auch der alte Fritz abgebildet worden ist,“ bemerkte die Baronin, „so habe ich doch noch kein Bild von ihm gesehen, das so auf mich gewirkt hätte. Das wunderbare Auge macht, selbst von uns abgewendet, den Eindruck, als ob wir seinen Blick nicht ertragen könnten, wenn es uns anschaute. Wie packt die Faust den Degen. Man fühlt, daß die Faust und der Degen in Deutschland und Europa gefürchtet waren. Welche Kraft und welche Größe in dieser Ruhe!“

Freundlich lächelnd hörte der Künstler der schönen kleinen Frau zu, die sich an dem Bilde gar nicht sattsehen konnte.

„Und das haben Sie vorgestern erst angefangen, Herr Director?“

„Gewiß, vorgestern Nachmittag, als Sie vor dem Nero[1] sich so sehr vertieft hatten, machte ich die ersten Striche.“

Ich hatte freilich gesehen, daß er ein neues großes Papier vor sich hatte, als ich an jenem Nachmittag fortging. Ich mochte aber nicht fragen, was es für ein Bild werden solle, da ich schon längst gemerkt hatte, daß der Meister neugieriges Fragen nicht liebe, auch oft irgend eine Idee auf einen Carton hinwerfe und die weitere Ausführung einer späteren Zeit erst überlasse; gleichsam eine Notiz im Großen. Dieses Kraftstückchen, bei dem man immer bedenken muß, daß das Original lebensgroß ist, mag ein kleiner Beweis sein von der ungeheueren Arbeitskraft des Meisters, der allein wir die lange Reihe seiner unsterblichen Werke zu verdanken haben. Kaulbach wirft Sachen, an denen Andere Monate arbeiten würden, in Tagen auf’s Papier oder auf die Leinwand. Nun denke man sich diese riesige Arbeitskraft in nie ermüdendem, gleichmäßigem Schaffen ununterbrochen fortwirkend, dann wird es Einem erst klar, wie es möglich war, daß Kaulbach neben dem ungestörten Fortwirken an seinen großen Lebensaufgaben – den Wandgemälden des Berliner Museums – neben den zahlreichen größern Sachen, die theils beendigt, theils fortgesetzt, theils angefangen wurden, in den letzten Jahren noch die große Goethegalerie geschaffen hat!

„Wird denn der alte Fritz nicht photographirt, Herr Director?“ fragte Friederike Goßmann, „ich möchte gar zu gern eine Abbildung davon haben.“

„Heute noch will Albert den Carton holen lassen und ich werde Ihnen in diesen Tagen noch eine Photographie übersenden können, schöne Frau.“

„Ich weiß nicht, ich möchte den alten Fritz nicht photographirt haben,“ meinte ich, „ich möchte ihn lieber kräftig in Holz geschnitten sehen, so in der Art und Weise, wie die prachtvollen Menzel’schen Zeichnungen seiner Generale. Der alte Fritz ist, wie er da sitzt, ein Volksbild. Es ist ein Mann, der Allen theuer und werth ist im deutschen Vaterlande –“

„Na, von wegen dessen, da kommen Sie ’mal nach Oesterreich und fragen Sie da nach,“ brummte der Baron hinter mir –

„– und deshalb sollte ein so ausgezeichnetes Bild von ihm auch Allen zugänglich sein. Ein schöner Holzschnitt davon z. B. in der Gartenlaube, das wäre die richtige Art und Weise der Verbreitung nach meiner Meinung. Da würde das Bild Nationaleigenthum, da freuten sich Millionen daran, denn die Gartenlaube wandert wöchentlich in viele hunderttausend deutsche Häuser; in’s Museum nach Berlin kommen aber das Jahr über nur wenige Hunderte, und um Photographien zu kaufen, hat auch nicht Jeder das Geld.“

„Ihr Gedanke ist nicht schlecht,“ meinte Kaulbach sinnend, „nur habe ich mit den Holzschnitten noch immer Unglück gehabt. Ich habe nicht Zeit und nicht Lust, selbst auf Holz zu zeichnen, es muß also jemand anders meine Zeichnung übertragen, da geht schon ein Stück Originalität fort, dann kommt der Xylograph daran, der schneidet das, was etwa noch übrig geblieben, gründlich zusammen, und wenn das Ding schließlich fertig ist, so sieht es gottsjämmerlich aus und macht Einem Kummer und Mitleiden, aber keine Freude. Da lobe ich mir die Photographie, die giebt treu wieder, was ich gemacht habe. Das ist mein Autograph und bei jeder einzelnen, die ich von meinen Sachen sehe, bin ich fröhlich. Nur geht es zu langsam und ist noch viel zu theuer. Ja, wer ein Mittel wüßte, eine Photographie zu drucken wie einen Holzschnitt!“

„Ich glaube, das Mittel hat unser trefflicher Hofphotograph, Herr Albert, bereits gefunden. Er photographirt wenigstens jegliche

  1. Ein prachtvoller Carton Kaulbach’s in der Entstehung begriffen, von dem wir später vielleicht erzählen werden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_317.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)