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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

in der Casern’! Der ganze schwäbische Kreis hat seine Mannschaft aufgeboten gegen uns … eine halbe Compagnie ist unterwegs gegen uns: da hat’s dem guten Kerl keine Ruh’ gelassen, er hat mir’s vergelten wollen, daß ich ihm beigestanden bin … auf die Gefahr hin, daß er, wenn er erwischt wird, seiner Lebtag den Karren schieben muß, hat er sich weggeschlichen, um mich zu warnen … hat mir auch sonst noch eine wichtige Nachricht gebracht …“

„Was für eine Nachricht?“

„Mein Schlafcamerad hat’s gar wohl gewußt, warum ich’s in dem Soldatenrock nit ausgehalten hab’ und immer wieder desertirt bin … ich hab’s nit ertragen können, den ganzen Tag in der Casern’ oder auf dem Exercirplatz sich hudeln zu lassen; wär’s nur in’s Feld gegangen, ich wär’ gewiß nit davongelaufen. Die Nachricht, die er mir gebracht hat, ist die, daß es wieder losgeht, daß es wieder Krieg giebt! Wie und warum, das weiß ich nicht, aber der alte Fritz von Preußen rührt sich wieder und seine Werber sitzen schon in Ulm …“

Ueber Hiesel’s Mienen ging eine rasche Bewegung, doch er schwieg.

„Ich will Dir was sagen, Hiesel,“ fuhr Studele nach kurzem Innehalten fort und trat ihm näher, als habe er ihm ein Geheimniß zu vertrauen. „Das Wort ist mir in den Sinn gefahren, wie der Funken in’s Pulver … es brennt lichterloh und läßt mir keine Ruhe mehr … ich will fort, Hiesel, will nach Ulm, Handgeld von den Werbern nehmen und in den Krieg marschiren …“

Mit einem Blick der Ueberraschung und des Vorwurfs sah ihm Hiesel in’s Gesicht und faßte nach seiner Hand. „Du willst mich verlassen?“ rief er. „Der beste von allen meinen Cameraden will von mir gehn’?“

„Das will ich nit, Hiesel … ich mein’, wir sollten erst recht beisammenbleiben: ich mein’, Du solltest mit mir gehn, Hiesel, und auch fortmarschiren …“

Hiesel ließ seine Hand fahren. „Was fallt Dir ein?“ sagte er. „Haben wir’s nit Alle einander versprochen und zugeschworen, daß wir nit von einander lassen, so lang ein lebendiger Blutstropfen in uns ist?“

„Ich weiß nit, Hiesel … aber mir kommt’s vor, als wenn das Versprechen uns nimmer lang binden sollt’ … als wenn’s mit uns zu End ging’ und Alles auseinander fallt … es ist am End’ gescheidter, wir gehn freiwillig, eh’ wir müssen …“

„Ich nicht!“ erwiderte Hiesel fest. „Und wenn’s noch schlimmer stünd’, als es steht, von mir soll Niemand sagen, daß ich die Courage verloren hab’ … daß ich das, was ich mir vorgenommen hab’, nit hätt’ ausführen können, und wenn Alle gehn, will ich der letzte sein!“

„Red’ nit so, Hiesel! Hast doch oft gesagt, daß Du gern ein Kriegssoldat werden möchtest!“

„Das ist früher gewesen,“ erwiderte Hiesel düster, „damals waren noch andere Zeiten, das ist lang zu spät!“

„Es ist nit zu spät, versuch’s nur, Hiesel, und geh’ mit mir! Bei den Werbern kennt uns Niemand … wir sind gute Schützen, sie werden nit so genau nachfragen und nehmen uns gewiß …“

„B’hüt Dich Gott!“ sagte Hiesel kurz, „ich bleib’ da!“

„Hiesel!“ rief Studele warm werdend, „ich kann nit so von Dir gehn! Ich hab’ Dich gern, es kommt mich zu hart an, wenn ich denken soll, daß ein Kerl wie Du, der wohl zu was Besserem auf der Welt ist, vielleicht zu Grund gehen muß auf eine schlechte, elende Weis’! Im Krieg kann Jeder Alles werden, Du könntest Dich aufschwingen, wer weiß, wie weit, könntest zu Ehren kommen …“

„Zu Ehren kommen?“ entgegnete Hiesel stolz. „Ich brauche nicht zu Ehren zu kommen, denn ich hab’ meine Ehr’ nit verloren! Meine Ehr’ ist der Stutzen da, meine Ehr’ ist, daß ich bei dem aushalt’ bis in den Tod! Ich bin ein Wildschütz ’worden und hab’ gewußt, was ich thu’ … ich will ein Wildschütz bleiben!“

„Ein Wildschütz?“ erwiderte Studele mit Bedeutung. „Wenn’s nur das wär’, meinst, mich brächten dann vier Ross’ von Dir weg? Hab’ ich’s nit auch so im Sinn gehabt, wie Du? Aber der Nam’, den sie uns geben, ist ganz ein anderer.“

Hiesel sah ihn durchdringend an. „Und wie ist der Nam’, den sie uns geben?“ fragte er.

„Ich mag’s Dir nit sagen … lies es selbst!“ entgegnete Studele und zog einen breiten Zettel mit großen gedruckten Buchstaben aus der Waidtasche hervor. „Solche Placate haben sie heut in allen Dörfern ausgetheilt und an allen Kirchthüren und Wirthshäusern angeschlagen.“

Es war ein Steckbrief des Gerichts zu Dillingen gegen Mathias Klostermair, der bairische Hiesel genannt, und gegen seine Bande – Niemand solle sie beherbergen, Niemand ihnen Nahrung reichen bei schwerer Strafe; ein Preis von tausend Gulden war ausgesetzt auf den Kopf des Räuberhauptmanns.

Hiesel las, ohne daß eine Wimper seines Auges zuckte. „Räuberhauptmann!“ sagte er dann. „Ich hab’ es vorher gewußt, daß es einmal so kommen wird – aber was liegt daran, wie mich diejenigen nennen, die dem Volke feind sind, wie mir? Ich bin der Freund des Volks und das giebt mir einen andern Namen … Nimm, Anderl! Das ist ein prächtiges starkes Papier … das giebt treffliche Kugelpfropfen … Lad’ mir meinen Stutzen, Bub’ … ich will ihnen den Räuberhauptmann als Antwort zurückschicken!“

„O Hiesel, Hiesel, nimm es nicht zu leicht!“ rief Studele bittend, während Anderl lachend das Placat zerriß und die Büchse lud. „Ich kann Dir nicht sagen, wie es mir schwer ist um’s Herz … Ueberleg’ Dir’s noch einmal und geh’ mit!“

„Eilt’s denn gar so sehr?“ rief der Bub’ und ließ den Ladstock aus dem Rohre springen. „Wir müssen es uns doch erst überlegen! Jetzt können wir nit fort … die Soldaten sind in der Näh’, wir warten, bis sie kommen, das Davonlaufen überlassen wir Andern!“

Studele machte unwillkürlich eine Bewegung, als wollte er die Büchse von der Schulter reißen; er besann sich aber und erwiderte finster: „Ich red’ nit mehr mit Dir – das Davonlaufen wirft mir im Ernst Keiner vor, und Du danke Gott, wenn Dir nicht einmal das Herz mehr im Leib’ zittert, als mir! … Ich will jetzt gleich gehn und die Streif’ nit abwarten und ich glaub’, es ist keine Schand’, wenn ich es sag’: der bairische Hiesel wird auch ohne mich mit den Soldaten fertig – ich aber will nit meinem alten Schlafcameraden als Feind gegenüberstehen und ihm vielleicht zum Dank eine Kugel in sein gutes Herz schießen … Du verstehst mich, Hiesel, nit wahr? Ich geh’ – und wenn’s denn wirklich sein muß, daß ich allein gehen soll … so b’hüt’ Dich Gott!“

„B’hüt’ Gott …“

„Darfst mir wohl die Hand geben,“ fuhr Studele fort, da Hiesel unbeweglich stand und finster zu Boden sah. „Ich hab’ manches Mal nit Ja gesagt zu dem, was Du gesagt hast und gethan … aber ehrlicher hat’s Keiner mit Dir gemeint, als ich! Solltest wohl meine Hand fassen, Hiesel, und – nimmer loslassen!“

Schweigend reichte ihm Hiesel die Hand und ging dem Lagerplatze zu; Studele schaute ihm nach, bis er unter den Bäumen verschwunden war. –

Als Hiesel dem Lagerplatze der Bande näher kam, sah er eben den Sternputzer von seiner Sendung in’s Dorf zurückkehren.

„Nun,“ rief er dem Heraneilenden entgegen. „Klingt es schon in Deiner Tasche? Sind die Bauern schon unterwegs, uns entgegen zu laufen?“

„Hab’ nichts davon verspürt!“ erwiderte der Sternputzer. „Exemplum statuiren, Hauptmann – ich sag’ es noch einmal, sonst ist die Reputation verloren!“

„Hast Du mit den Bauern gesprochen? Haben sie die Lumperei nit gleich zusammengelegt? Sie haben … es kann nit anders sein!“

„Laß mich nur erzählen, Hauptmann … ich kam in’s Dorf und habe mich schon von fern darauf gefreut, dem alten Mauthner einen Streich zu spielen; ich hab’ die Aepfel noch nit vergessen, die er uns nit vergönnt hat, aber wie ich hinkam, war’s nichts damit, das Haus war nach allen Seiten verschlossen und die Läden zu … Hm, dacht’ ich, wird ihm wohl der Geizteufel den Kragen umgedreht haben, und ging weiter; war aber kaum ein paar Schritte weit, als ich einen Mann spornstreichs quer über die Felder laufen sah … war’s richtig mein Alter! Er hatte feinere Augen gehabt, als ich, hatt mich kommen sehen und sich bei Zeiten aus dem Staube gemacht! Im Dorf wollt’ mir’s auch nit scheinen, als wenn sie Triumphpforten für uns bauen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_339.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)