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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Er wanderte lange draußen umher … er vermied die Wege, die er früher betreten, durch die Wiesen, durch sein Gehölz … er schritt über die Ackerfluren an den Rainen entlang; erst die Dämmerung mahnte ihn an die Heimkehr; so kam er an dem Pfarrhof vorüber, an der hinteren Hecke, welche den Garten des Pfarrers von der Feldflur trennte. Markholm sah zwei Gestalten in den dunkelnden Schatten der Obstbäume auf- und abgehen, die eine war Max; das Mädchen neben ihm mußte Elisabeth Kramer sein … sie war freilich keine Mythe, dies junge, schlanke Wesen, das neben Max elastisch, als wenn sie den Boden unter ihren Füßen nicht fühle, einherschritt, das Haupt mit den blonden Ringellocken zu ihm emporgewandt.

Beide waren viel zu sehr in das, was sie sich zu sagen hatten, versunken, um etwas von dem melancholischen gebeugten Manne wahrzunehmen, der so nahe bei ihnen, nur durch eine Hecke getrennt, vorüberschritt.

„In Anderer Glück sein eigenes finden!“ sagte sich Markholm einen Augenblick stehen bleibend, um sie zu betrachten, „wer es könnte! Giebt es so selbstverleugnende Naturen? Wenn man selber das Glück des Andern geschaffen hat … ja, dann vielleicht! Aber wenn es nur der ewige Spiegel des Glücks ist, das man selber nicht fand … ist es dann möglich?“

Er kam in seiner Wohnung an … die Zimmer, in denen tiefes Abenddunkel herrschte, waren öde und leer und kalt. Er klingelte und die Dienerin kam, das Kaminfeuer zu entzünden; währenddeß trat er in sein neben dem Salon liegendes Zimmer, um die Lichter auf dem Schreibtisch zu entzünden, er wollte versuchen, ob er in der Arbeit Vergessen finden könne.

In diesem Augenblick hörte er die Glasthür, die in den Garten führte, sich öffnen … ein leichter Schritt nahte sich durch den Salon … Markholm’s Herz schlug plötzlich so hoch auf, als ob es ihn ersticken wolle; er setzte die eben aufflammende Kerze mit zitternder Hand nieder und wandte sich –

„Elisabeth!“ rief er aus.

Es war Elisabeth. Aber wie eigenthümlich sah sie aus! So blaß, so scheu, so ganz anders als sonst, wenn sie ihn mit ihren großen fragenden selbstbewußten Blicken ansah. Sie stand neben der offenen Thür, deren Schwelle sie eben überschritten, an der Wand, die Hände hinter sich, als ob sie einen Anhalt suche an der Wand oder sich nicht weiter in den Raum hineinwage.

„Elisabeth!“ rief er noch einmal, „Sie?“

„Verzeihen Sie mir … es ist so spät … schon dunkel … ich muß auch gleich zurückkehren … aber Ihr Bote erzählte, daß Sie Anstalten zur Abreise träfen … ich mußte Sie noch einmal sehen … ich … ich glaube, daß ich Ihnen Unrecht gethan … es ließ mich nicht ruhen … daß wir uns nicht verstehen sollten!“

„Elisabeth … Sie so vor mir wie eine um Verzeihung Bittende … was könnten Sie mir zugefügt haben, was dies nicht für ewig aus meinem Gedächtniß löschte!“

Er hatte ihr die Hand gereicht, und als sie die seine nahm, führte er sie zurück in den Salon, an die wärmende Flamme des Heerds.

„Lassen Sie sich an meinem Heerde nieder, und dann … gewiß wir werden dahin kommen, uns zu verstehen!“

„Ich habe Ihnen Unrecht gethan, ich glaube es. Ihr Brief hat mir die Augen geöffnet. Sie haben mich nicht täuschen, nicht hintergehen wollen. Was Sie für Ihren Neffen sprachen, war das Ergebniß eines harten und schweren Kampfes mit sich selbst.“

„Bei Gott, das war es!“ rief Markholm aus, „das war es!“

„Und dafür muß ich Sie nur um so mehr achten, Markholm … und … sehen Sie, ich bin keine leidenschaftliche Natur, ich kenne die Accente der Leidenschaft nicht; ich konnte Sie deshalb so völlig falsch beurtheilen, ich konnte glauben, Sie handelten aus Beweggründen, die Ihrer nicht würdig waren. Ihre Zeilen zeigten mir, wie tief mein Irrthum war … wie thöricht mein Mißtrauen, wie vergebens der ganze Schmerz gewesen, der mich erfaßt hatte, weil ich zweifeln müssen an Ihnen! Verzeihen Sie es mir, ich habe so sehr darunter gelitten! Ich bin ein thörichtes Geschöpf … aber wenn Sie mich wollen, so wie ich bin, mit einer ehrlichen Neigung, mit dem aufrichtigen Verlangen mich ganz dahin zu geben für Ihr Glück, mit der Ueberzeugung, daß mir kein größeres Glück je werden kann, als das Bewußtsein für das Ihre zu leben … dann … da ist die Hand, um die Sie geworben haben!“

Markholm war keines Wortes mächtig … er wäre gern vor ihr auf die Kniee gesunken, wenn sie ihn nicht so groß und ruhig ernst und doch mit weicher inniger Hingebung angesehen hätte, daß er sich schämte, seiner Leidenschaftlichkeit nachzugeben … er nahm nur ihre Hand und umschloß und drückte sie mit seinen beiden, und sagte nach Athem ringend:

„Elisabeth, die Götter meines Heerds hören Ihr Gelübde und – meinen Schwur.“




Blätter und Blüthen.

Ein Käfer als Lebensretter. Im Jahre 1793 irrte ein Mann von etwa dreißig Jahren, verkleidet und verlassen, den Schrecken der Revolution entflohn und überall mit dem Tode bedroht, in Frankreich umher. Seine Lieblingswissenschaft, die Insectenkunde, war das Einzige, was ihm in so trüben Tagen Erheiterung schaffte. Wo er nur hinkam, da sammelte und beobachtete er Insecten. So kam er denn auch in die Nähe von Bordeaux, und hier ereilte ihn endlich das längst gefürchtete Schicksal, gefangen zu werden. Vor den Thoren der Stadt überfiel ihn eine Schaar zerlumpter, fanatischer Weiber und brachte ihn in das Gefängniß. Schon nach sechs Stunden war sein Proceß entschieden, da er frei und offen gestanden, wer er sei; schon am nächsten Tage sollte das Todesurtheil an ihm vollzogen werden. Während er seine Mahlzeit hielt, erzählte ihm sein Kerkermeister von den Hinrichtungen, die bis jetzt stattgefunden, kam dabei auch auf den Präsidenten des Gerichts zu sprechen und bemerkte dabei, daß dieser sich keine andere Erholung von seinem blutigen Amte gönne, als im Freien herumzuschweifen und Schmetterlinge und Käfer zu suchen.

Dies err[e]gte natürlich sogleich die Aufmerksamkeit des Gefangenen und schnell gefaßt nahm er einen seltenen Käfer aus seiner kleinen Sammlung und steckte, indeß der Kerkermeister erzählte, dies Insect geheimnißvoll mit einer Nadel unten an den Pfropfen seiner Flasche. Dem Kerkermeister war dies nicht entgangen, er vermuthete darin wahrscheinlich etwas Gefährliches, sagte zwar nichts, eilte aber mit der Flasche und dem Käfer sogleich zum Präsidenten. Bald darauf sah man Letzteren und den Gefangenen, Alles um sich her vergessend, als Freunde und nicht als Richter und Verurtheilten lange beisammen sitzen. Der Käfer hatte den jungen Mann, wie er gehofft, gerettet. Er erhielt von dem Präsidenten Geld, Empfehlungsschreiben und die besten Zeugnisse seiner republikanischen Gesinnung. Der Gerettete war der später so berühmte Naturforscher Pierre André Latreille, der am 6. Februar 1833 als Professor der Entomologie am Museum der Naturgeschichte in Paris starb.




Des alten gemüthlichen Dorfbarbiers letztes und schönstes Büchlein ist unbestritten sein Erinnerungsbüchlein, das er in Folge seines Rücktritts als Dorfbarbier, unter dem Titel: „Die Familie des Generals von Pulverrauch oder ein Flüchtling auf dem Lande, herausgegeben von Ferdinand Stolle,“ seiner neunzehnjärigen getreuen Kundschaft übergeben hat. Dr. Feodor Wehl in der sächsichen constitutionellen Zeitung sagt darüber: „Der Verfasser schreibt wie mit dem Pinsel des Malers. Das Grün der Birken, der Wiesen, das Blau des Himmels, die lachende Buntheit der Baumblüthe, der blitzende Sonnenschein, der dämmernde Mondstrahl, die tausend Blümchen im Gras – das Alles hat Stolle reizend über seine Erzählung auszubreiten verstanden. Sie ist wirklich wie ein Frühlingsgedicht, wie ein blühendes Eden, in welches das deutsche Gemüth und der deutsche Humor eine köstliche Landpartie unternehmen. – Wahrlich es muß Jedem wohl werden um’s Herz, der dieses Buch liest. Es ist ein echt deutsches Buch, ein Buch, das alle Mißklänge des Lebens harmonisch austönen macht. Wenn man es liest, ist es einem, als läge man draußen im Freien im Grase und höre die Bienen summen, die Lerchen jubeln, die Blätter wehen, die Quellen rauschen, kurz als läse man den Frühling selbst.“

Das Dresdner Journal äußert sich unter Anderm: „Zu besonderem Danke ist aber der Lehrerstand dem Verfasser verpflichtet, denn in dem Lehrer Reinhold ist das Leben und Wirken eines berufsfreudigen Schulmannes so würdig und anziehend geschildert, daß gewiß in den Kreisen, die sich sonst um die fortgeschrittene Pädagogik nicht kümmern, geläuterte Ansichten über die Bedeutung der Volksschule Raum gewinnen werden. Ungemein ergreifend ist ein Lehrergreis geschildert. An ihm kann man wahrnehmen, daß der Umgang mit Kindern dem Leben noch Frühlingsduft im Alter und dem Sinne eine kindliche Einfalt giebt. Der gesunde und kernhafte Humor erhöht den Werth des Buches gar wesentlich, und eine Figur wie z. B. die des Schneidermeisters Wetz darf man sicher zu den Prachtexemplaren deutscher Novellistik auf komischem Gebiete zählen. In Summa führt Stolle’s Dichtung von Neuem den Beweis, wie über allem poetischen Leben zugleich ein sittliches stehen soll, und so möge denn dieses Erinnerungsbüchlein, in dem Ernst und Scherz erquicklich Hand in Hand gehen, allseitig verdiente Beachtung finden.“


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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