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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

recht gut heute Abend vor Sonnenuntergang erreichen. Doch einmal auf dem Wege, besann er sich auch nicht lange, und ohne selbst abzusteigen, nickte er der Frau Reed’s einen herzlichen Gruß zu und verfolgte seinen Weg, bis er endlich gegen Abend auf seinem, jetzt ziemlich müden Pferd, in einen breiten, durch den Wald gehauenen Weg einlenkte, den eine an einen Baum genagelte und beschriebene Schindel als „Mainstreet“ oder Hauptstraße bezeichnete.

Es war die Hauptstraße der künftigen Stadt, von der eben solche Seitenstraßen nach links und rechts abzweigten, aber er konnte ihr nicht einmal folgen, obgleich er von hier aus kaum noch zweihundert Schritt auf den „Marktplatz“ hatte, denn die darin gefällten Bäume lagen noch genau so, wie sie die Axt umgeworfen, wirr und toll durcheinander. Jenkins mußte sich denn auch seine Bahn durch den Wald suchen, um diese „Hauptstraße“ zu passiren, und erreichte endlich den eigentlichen Verkehrstheil der Stadt, eine kleine Gruppe von drei Blockhütten, die hier innerhalb einer Lichtung von fünf oder sechs Ackern Maisfeld zusammen standen.

Das eine von diesen war das Courthouse (Rathhaus), aber auch nur aus unbehauenen Stämmen aufgeführt, wie die übrigen, das andere die „Grocery“, ein kleiner Laden, der die Bedürfnisse für die Nachbarschaft – und die Hauptsache – Whisky enthielt, und das dritte das eigentliche Farmhaus, das die anderen Beiden hervorgerufen: die Wohnung des ersten Ansiedlers hier, der jetzt zu gleicher Zeit, neben der Bestellung seiner Felder, die Aemter eines Postmeisters und Friedensrichters verwaltete.

Der Platz war auch, da er mitten im County lag, von den Ansiedlern zu einem sogenannten county seat ernannt worden, und zu gewissen Zeiten im Jahre versammelten sie sich hier, um ihre Rechtshändel auszugleichen. Diese Zeit war gegenwärtig nicht; Jenkins mußte deshalb erstaunt sein heute eine ungewöhnliche Zahl von Menschen hier zu treffen, denn auf dem offenen Platze zwischen den drei Häusern, von dem man die gefällten Bäume, bis auf ein paar Stumpfe und Stammreste, sorgfältig entfernt hatte, traf er etwa fünfzehn oder sechzehn Ansiedler aus der Nachbarschaft, d. h. einige von zwanzig und mehr Miles Entfernung, die sich lebhaft miteinander unterhielten.

Als sie zuerst den nahenden Reiter ansichtig wurden, verwunderten auch sie sich über den Besuch, aber im Nu hatten sie den alten Jenkins und sein braunes Jagdpony erkannt, und laute, herzliche Zurufe begrüßten ihn.

Aber was führte ihn gerade heute zufällig hierher?

„Jungen,“ sagte da der alte Mann, auf die rasch an ihn gerichteten Fragen, „vor allen Dingen muß mein armes Pony etwas zu fressen haben, denn das ist den ganzen Tag auf den Füßen gewesen, und ich möchte einen Schluck Whiskey, mir ist die Kehle wie ausgebrannt.“

Beiden Anforderungen wurde rasch entsprochen, das Pferd übergab man einem der Neger, und fünf, sechs Arme mit Whiskey-Bechern streckten sich dem lachenden alten Mann zu gleicher Zeit entgegen.

„Und was führt Euch gerade heute hierher, Jenkins?“ rief der Postmeister, „denn zu gelegenerer Zeit hättet Ihr gar nicht eintreffen können. Wir hatten sogar nach Euch geschickt, aber Billins fand Euer Haus nicht und behielt nur eben Zeit hier wieder einzutreffen.“

„Billins fand mein Haus nicht?“ lachte der Alte, „das ist nicht übel, da wundert’s mich nur, daß er sich hier wieder hergefunden hat.“

„Zum Henker auch,“ rief der junge Backwoodsman, „Ihr steckt so im Dickicht drin, wie ein Bär im Winter, und die zahllosen kleinen Bäche sehen einer aus wie der andere. Ich gerieth in den verdammten Schilfbruch, wo die Red-River-Sümpfe beginnen und hörte da drin einen Hund bellen. Nun glaubt’ ich, dort wär’s, kam aber nicht durch, band mein Pferd an, verirrte mich im Schilf und dankte Gott, als ich nur endlich die Stelle wieder fand, wo ich mein Thier gelassen. Nachher war’s zu spät noch weiter nachzusuchen.“

„Da habt ihr Euch viel zu nördlich gehalten,“ lachte der Alte. „Aber darf man erfahren, was Ihr heute vorhabt?“

„Gewiß,“ rief Border, der Postmeister, „denn Euch geht es ebensogut an, wie uns. Ihr wißt doch, daß wir schon seit einiger Zeit gespürt haben, wie irgend Jemand hinter unseren Pferden her sei.“

„Hol sie der Böse,“ rief Jenkins, „meinen Rappen haben sie sich auch geholt.“

„Aha,“ lachte ein Anderer, „und den sucht Ihr wohl gerade hier bei uns?“

„Das nicht, aber –“

„Nun hört nur weiter,“ sagte Border. „Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß wir einen Antheil von jenem aus Arkansas und Missouri verjagten Gesindel auch in unsere Nachbarschaft bekommen haben, und unsere nach allen Richtungen hin zerstreuten Wohnungen und Weideplätze machen ein Zusammenwirken nichtswürdig schwer. Man braucht ja wahrhaftig immer eine Tagereise dazu, um zwei oder drei Nachbarn aufzutreiben, und ehe ein Raub nur bekannt wird, sind die Halunken über alle Berge.“

„Und habt Ihr denn noch auf Niemanden Verdacht gefaßt?“

„Ja hört nur, das ist ja die Geschichte,“ fiel Border ein. „Am Cypressensumpfe, der Bearbayou und oben am Rand des Schilfbruchs haben sich seit einiger Zeit einige Strolche niedergelassen, die Niemand von uns kennt und die auch verwünscht wenig Staat mit ihrer früheren Lebensbeschreibung machen. Dem Einen fehlt sogar ein Ohr; er behauptet freilich, ein Bär habe es ihm einmal auf der Jagd abgerissen, aber ich denke mir beinah, er hat’s irgendwo in einer fatalen Geschichte sitzen lassen, denn die in Arkansas drüben machten sich manchmal den Spaß, einige Gauner, die sie bei Lumpereien erwischten, auf die Art zu zeichnen, um nicht mehr durch ihre Gesellschaft belästigt zu werden.“

„Aber Boyd, dem das Ohr fehlt,“ rief Jenkins, „beklagt sich am bittersten, daß ihm schon zwei seiner besten Pferde gestohlen wären.“

„Ja,“ sagte Border, „aber Pferde, die Keiner von uns je zu Gesicht bekommen, und ob’s wahr ist, wer weiß es? Das ist sicher, diese Gesellen, und ein Paar von ihnen, die am Stierkopf und am Alligatorteich wohnen, machen das meiste Geschrei und neulich – aber kennt Ihr Ashley?“

„Bob Ashley? werde ich Ashley nicht kennen!“ rief Jenkins, „wir waren ja alte Nachbarn in Oiltrove-Grund am Withe-River – ’s ist Einer der ältesten Jagdgefährten, die ich auf der Welt habe.“

„Und er ist ein braver ehrlicher Kerl?“

„Bei Gott, ich möchte den Mann sehen, der in meiner Gegenwart das Gegentheil behauptete!“ rief der Alte heftig.

„Nun gut,“ fuhr Border fort, „und wißt Ihr, was mit Ashley vor ein Paar Tagen geschehen ist? – Die Regulatoren haben ihn gelyncht.“

„Die Regulatoren?“ schrie Jenkins, „was für Regulatoren?“

„Eine Bande von Kerlen, deren Namen wir noch nicht kennen,“ sagte Border, „die Sache war so: Neulich Morgens – aber Billins, erzählt Ihr lieber die Geschichte, Ihr wißt mehr davon.“

„Und haben sie Ashley umgebracht?“ rief Jenkins, und die Hand des Alten faßte krampfhaft seine Büchse.

„Das nicht,“ sagte Billins, „Ihr wißt, ich wohne etwa vier Miles von Ashley entfernt, ich bin der nächste Nachbar, den er hat. Vorgestern Nacht, es war schon elf Uhr vorbei, und wir lagen Alle im Bett, schlagen die Hunde an. Ich springe auf, fasse meine Büchse und laufe hinaus, da ruft eine Kinderstimme: ‚O um Gottes willen, Mr. Billins, halten Sie die Hunde, daß sie mir nichts thun!‘ Ich zwischen die Hunde hinein und jage sie hinter’s Haus, und das kostete Mühe genug, aber brachte sie doch endlich still, dann geh ich an die Fenz, und wer ist’s? Ashley’s kleines Mädchen, Jenny, ein Kind von kaum zwölf Jahren, das in der Nacht den ganzen weiten Weg durch den Wald allein zu Fuß gekommen.

‚Aber um Gottes Willen, Kind!‘ rief ich aus, ‚was bringt Dich mitten in der Nacht hierher. Hast Du Dich verirrt?‘

‚Nein,‘ sagt die Kleine und faßt meine Hand, ‚helfen Sie, Mr. Billins, helfen Sie meinem Vater, schnell, sie haben ihn oben in einen Baum gebunden.‘

‚In einen Baum gebunden, wer?‘ rief ich.

‚Die Regulatoren,‘ sagt die Kleine, ‚o schnell, schnell, sonst muß er da oben sterben, und die Mutter ist vielleicht jetzt schon todt.‘

Mit Mühe kriegt’ ich jetzt aus dem armen Ding heraus, was geschehen war. Eine Bande Schufte war angeritten gekommen, hatten Ashley beschuldigt, ihnen zwei Pferde gestohlen zu haben, sagten, daß sie die Regulatoren wären, die dem Unfug hier ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_370.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)