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aber, und zwar noch in der Kirche erschien ihr der heilige Antonius mit eben diesem Stein, gab ihr diesen in die Hand und sprach: „Richte Du dem Pater Coluago wieder aus, daß sein Herz härter als Stein, indem er so oft die schnelle Fürbitte Sanct Antonii erfahren und dennoch nicht trauen will, das Roß habe sich schon eingefunden.“ Und so war es denn auch wirklich der Fall, und die Theologen, voran Sigismund Scholz von der Gesellschaft Jesu, führen diese Geschichte zum Beleg der besonderen Schnelligkeit der Hülfe an, welche der heilige Antonius bringt, und des Eifers, mit dem er jeden Zweifel in seine Hülfsbereitschaft widerlegt.

Solch auffallende Thaten hat nun allerdings Johann von Nepomuk nicht vollbracht, weder bei seinen Lebzeiten, noch später, nach seinem Tode, wo für manchen Heiligen erst die schönste Thatenlaufbahn beginnt. Seine Wunder bestehen in einigen Heilungen, in der Wiedererweckung eines Mädchens, welches in die Wattawa gefallen war, in dem Schutz seiner Vaterstadt Nepomuk vor der Pest etc. Als Heiligen bezeichnet ihn vornehmlich nach der Canonisationsbulle, daß nach seinem Morde die Moldau wie mit Flammen geleuchtet, insbesondere aber das Verhalten seiner Zunge, als der ertränkte Leichnam nach langen Jahren wieder ausgegraben wurde. Alles an ihm war Asche, die Hirnschale mit Erde angefüllt; nur die Zunge, „des sacramentalen Beichtsigills unüberwindliche Beschützerin“, war unversehrt wie die eines Lebenden, beweglich, gleichsam lebendig.[1]

Alle diese Wunder und Zeichen, wie sie theils in der Tradition lebendig vorlagen, theils noch sichtbar waren, findet man in dem Buche „Acta utriusque processus in causa canonisationis Beati Ioannis Nepomuceni. Romae 1729“ beleuchtet und einer genauen Durchforschung durch ein Zeugenverhör unterzogen. Der Proceß geht durch drei Instanzen und dauert an zehn Jahre. Wohl an fünfzig Zeugen werden vernommen und bestätigen die einzelnen Wunderthaten. Der Advocatus Diaboli mußte demnach den Kürzern ziehen und Benedict der Dreizehnte konnte die Canonisation vornehmen. Sie fand am 19. März des Jahres 1729 statt und ward noch durch ein besonderes Wunder verherrlicht, als ob der Himmel dieser Feierlichkeit noch eine ganz besondere Sanction geben wollte. Während der Papst im festlich gezierten Lateran mit seiner gebrechlichen Greisenstimme das te deum laudamus anstimmte, die Glocken läuteten und die Kanonen der Engelsburg darein donnerten, wurden die Massen des Volks, das sich draußen stieß und drängte, durch einen seltsamen Eindruck erschüttert. Ein Weib, das lange vom Teufel besessen gewesen und Italienerin von Geburt, welche ihr Lebtag kein Wort Deutsch gekannt, fing auf einmal in dieser Sprache zu reden an, wobei der böse Feind von ihr wich und sie, ohne daß ein Exorcismus bei ihr in Anwendung gebracht worden wäre, allerlei Glas, Nadeln, Haare durch den Mund von sich gab.

Dies Alles giebt einen festen Unterbau von Wundern und Zeichen, und doch – man muß wirklich sagen, daß es ist, als hätten alle Zweige der Forschung sich das Wort gegeben, nichts von alledem gelten zu lassen, was die Kirche statuirt! Vom Augenblicke an, wo die Geschichte Böhmens einer wissenschaftlichen Behandlung anheimfiel, mußten die Gelehrten es auffallend finden, daß die Geschichte wohl einen Johann von Pomuk kennt, dieser aber ein ganz Verschiedener von dem ist, den die Canonisationsacte bezeichnet! Eine kritische Opposition war zwar schon 1747 rege geworden, jedoch fast unbeachtet geblieben, später erst, da die böhmische Geschichte immer mehr Bearbeiter fand, konnten arge und weit um sich greifende Bedenken nicht mehr unterdrückt werden. Des Prager Canonicus, der 1383 ertränkt worden sein sollte, erwähnte kein gleichzeitiger Chronist, ja die Archive wiesen nach, daß es keinen Canonicus dieses Namens gegeben, hingegen war allerdings zehn Jahre später ein Priester Johann von Pomuk ertränkt worden, jedoch aus ganz anderen Ursachen. Er war in seiner Stellung als Generalvicar mit König Wenzel wegen der Abtei Kladrub in Streit gerathen, weil er den neuerwählten Abt Albert Olonus dem königlichen Willen entgegen bestätigt.

Es gab, als diese Thatsache aufgestellt wurde, einen argen Lärm. Broschüren folgten auf Broschüren. Der Ritter von Reinsberg, der zuerst den Muth zu „kritischen Bemerkungen“ gehabt, eilte nach München und fand im dortigen Staatsarchiv, daß die Königin Johanna bereits im Jahre 1386 gestorben, somit schon sieben Jahre todt gewesen sei, als der wahre Johann von Pomuk in die Moldau gestürzt wurde. Somit gab es keinen Märtyrer des Beichtsigills mehr, und der freche Reinsberg wagte 1783 den Ausruf, der in einer in Böhmen erschienenen Schrift kühn war, (freilich war damals die Presse freier als heutzutage): „so hat man einen Heiligen canonisirt, der nie gelebt hat!“

Jetzt versuchten Andere die beiden Gestalten in eine zusammenzuschweißen, dies aber wollte durchaus nicht gehen, da einerseits die Canonisationsacten, andererseits die Geschichte so klar sprechen. Und da nun die Existenz des canonisirten Johann von Nepomuk nicht geleugnet werden durfte, die des historischen nicht geleugnet werden konnte, suchte ein seltsamer Kauz, Pater Jos. Zimmermann in seinem Büchlein: „Vorbothe der Lebensgeschichte des heiligen Johann von Nepomuk. Prag 1829“ einen neuen Ausweg: er nahm zwei Johanne an, und nach seiner Auffassung gestaltet sich die Sache so:

In dem kleinen Städtchen Pomuk, welches dazumal höchstens dreißig Familien zählte, werden unter der Regierung Karl’s des Vierten zwei Kinder männlichen Geschlechts geboren, welche beide den priesterlichen Stand erwählen, beide im Lauf der Jahre zu hohen Würden gelangen, beide Johann von Nepomuk heißen und beide unter König Wenzel den Tod in der Moldau finden. Ihr Lebenslauf theilt sich folgendermaßen:

Johann, geboren zu Nepomuk, Prediger an der Theinkirche, Domherr an der Prager Hauptkirche, ist Beichtvater der Königin Johanna.
Die Canonisationsacte weiß von ihm viele Wunder zu erzählen.
Er erregt den Zorn des Königs, weil er die Beichte der Königin Johanna nicht verrathen will.
Er erleidet den Tod in der Moldau 1383.
Er findet sich im Kalender,
Johann, geboren zu Pomuk, öffentlicher Notar. Domherr auf dem Wischehrad, Doctor des kanonischen Rechts, ist Generalvicar.

Die Geschichte weiß von ihm keine Wunder zu erzählen.
Er erregt den Zorn des Königs, der in der Abtei Kladrub ein Bisthum errichten will, weil er bei Erwählung eines neuen Abtes diesen ohne weiteres bestätigt.
Er erleidet den Tod 1393.
Er findet sich in der Geschichte, aber nicht im Kalender.

Die Annahme zweier Johanne hatte den Stempel unwillkürlicher Komik an sich. So gut gemeint das Büchlein war, erregte es großen Anstoß und wurde unterdrückt. Nur wenig Exemplare haben sich erhalten.

Seitdem schläft die Frage nach dem problematischen Heiligen; selbst Palacky weicht in seiner Geschichte Böhmens jeder Erörterung vorsichtig aus, der Cultus der heiligen Persönlichkeit aber wächst und steigert sich mit den Jahren, deren jedes mehr Wallfahrer herbeiführt. Der Forscher, allein unter solchen Menschenwogen, sieht alle Anstalten zur Andacht, die Lichter und Lampen und geschmückten Altäre; in sich kann er es nicht verhindern, daß solche Feste ihn zu interessanten Schlüssen führen. Er sieht ja, wie die Entstehung legendrischer und mythischer Persönlichkeiten noch bis in die letzten Jahrhunderte reicht und somit vielleicht noch immer stattfinden kann. Thatsächlich verhält es sich mit dem wahren Johann von Nepomuk und seinem legendrischen Namensbruder wie mit gewissen Helden auf dem Gebiete der Poetik. Der Dichter kann zuweilen den Helden nicht so brauchen, wie die Geschichte ihn bietet, er versetzt Jahreszahlen, ändert Motive, legt ihm Ideen unter, welche ihm wirksamer scheinen, und so kommt es, daß wir manchmal, wenn das Werk geräth, zwei Persönlichkeiten, neben der historischen eine poetische erhalten, und daß die poetische Persönlichkeit endlich die historische ganz in den Schatten drängt. So existirt neben dem poetischen Egmont ein historischer, neben dem poetischen Don Carlos und Wallenstein ein anderer geschichtlicher Don Carlos und Wallenstein, der jenem gar nicht einmal recht ähnlich sieht. Das heilige Offiz, das den in die Moldau geworfenen Mann canonisirte, war auch ein solcher Dichter, der den Helden nicht so brauchen konnte, wie er vorlag. Einen Geistlichen zu canonisiren, weil er für die Superiorität der geistlichen Macht über die weltliche eintrat, das lag nicht im Ideenkreise des verflossenen Jahrhunderts, daher mußte das Motiv ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_377.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)
  1. Sie theilt diese Eigenschaft mit der Zunge des heiligen Anton von Padua, welche in dieser Stadt, in welcher er starb, ebenso bewahrt wird, wie die Zunge des heiligen Nepomuk in Prag.