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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ein Heldenweib der Unions-Armee.
I.
Die Krankenwärterin im Felde. – Ausmarsch der Potomac-Armee. – Der Vorabend der ersten Schlacht. – Der erste Todte. – Das Kampfgewühl am Sonntag. – Der tapfere Kaplan.– Grausiger Anblick des Schlachtfeldes.– Panischer Schrecken und Auflösung unter den Unionstruppen. – Die Kirche voller Verstümmelter. – Die Wahnsinnige am Feuer. – Das Versteck unter dem Reisighaufen.– Der Jammerruf der Verwundetenen nach Wasser. – Der Sterbende und sein Medaillon.

Wenn wir in unserer deutschen Geschichte nach Beispielen der höchsten patriotischen Opferfähigkeit suchen, so wendet sich unser Blick zuerst zu den heldenmütigen Frauen und Mädchen, welche in den Befreiungskriegen nicht nur ihren Schmuck auf den Altar des Vaterlands niederlegten, sondern von den liebsten Schätzen ihrer Herzen, dem Bruder, dem Bräutigam, dem Sohn, dem Gatten, dem Vater freudig schieden, wenn diese zum Kampfe zogen, ja, von denen einige sich selbst in das Soldatenkleid verbargen, um in den Reihen der Männer für das Vaterland Noth und Tod entgegenzugehen.

Seit jenen großen Tagen hegt das deutsche Volk die innigste Theilnahme für jede Nation, deren Freiheitskämpfe durch den Opfermuth der Frauen veredelt werden: die griechischen Heldenmütter, die polnischen Jungfrauen, die italienischen Frauen erwarben ihren Völkern mehr Sympathien in Deutschland, als alle Waffentriumphe der Männer vermocht hätten. Freuen wir uns deß als eines Zuges des ritterlichen Herzens unseres Volks.
Kein Wunder, daß wieder dieser Zug es ist, der die Deutschen fast sammt und sonders (die Ausnahmen im Junkerlager zählen sich selbst nicht zu den Deutschen) in dem furchtbaren Bruderkampf für die Waffen der Union begeisterte. Und in der That stellen die Thaten des Opfermuths, die wir auf jenem unermeßlichen Kampfgebiete gerade von den Frauen vollbracht sehen, sich zu dein Bewunderungswürdigsten, von dem die Kriegsgeschichte aller Völker und Zeiten berichten kann.

Anstatt Geschichtsbilder aus jenem Kampfe stellen wir den Lesern der Gartenlaube lieber eine der kühnsten Heldinnen des Kriegs selbst vor, die ihre „Kranken und Spionendienste für die Unions-Armee“ in einem illustrirten Werke erzählt hat. Folgen wir der tapferen S. Emma E. Edmonds nur zu einigen ihrer „Abenteuer und Erfahrungen in Hospitälern, Lagern und auf dem Schlachtfelde“, so werden wir den entsetzlichen Einzelheiten der Aeußerungen wildester Parteiwuth so nahe geführt, daß Jedem ein schwaches Bild des Ganzen von selbst vor der schaudernden Seele aufsteigt. Emma Edmonds erzählt: Fünf Jahre vor der Zeit, wovon ich schreibe, verließ ich meine ländliche Heimath, nicht weit von den Ufern des St. John’s Flusses in der britischen Provinz Neu-Braunschweig, und reiste nach den Vereinigten Staaten. Ein unauslöschlicher Durst nach höherer Ausbildung führte mich zu diesem Entschlusse, denn ich glaubte damals wie noch jetzt, daß das Feld „religiöser Bekehrung im Auslande“ dasjenige sei, worin ich früher oder später arbeiten müsse. Ich kam hier als eine Fremde an und hatte nichts weiter, um mich bei dem biederen Volke dieses Landes zu empfehlen, als ein Schreiben von dem Prediger der Kirche, zu welcher ich gehörte, und ein anderes von dem Vorsteher meiner Classe in der Sonntagsschule. Nichtsdestoweniger fand ich gütige Freunde, die mir in allen meinen Unternehmungen halfen, und sowohl in Geschäften, in geistiger Ausbildung, als in religiöser Entwickelung fand ich einen Beistand, der meine kühnsten Erwartungen überstieg. Ich danke Gott, daß mir in dieser Stunde der Bedrängnis meines Adoptiv-Vaterlandes verstattet ist, einen schwachen Theil der Dankbarkeit, die ich für das Volk der Nordstaaten fühle, auszusprechen.

Zehn Tage nach dem Erlaß der Proclamation des Präsidenten war ich bereit nach Washington abzureisen, nachdem ich von der Regierung in Dienst genommen und mit allen nöthigen Bedürfnissen versehen worden war. Ich sollte mich zur Fronte der Armee begeben und an der vollen Aufregung des Schlachtgetümmels Theil nehmen, oder mit andern Worten eine „Kankenwärterin im Felde“ sein.

Um diese Zeit war ich Augenzeuge des Ausmarsches der ersten Truppen des Westens, die nach Washington aufbrachen.
Die Regimenter waren in gerader Linie aufgestellt – zu ihrer Reise vollkommen ausgerüstet – ihre glänzenden Bajonnete blitzten in der Morgensonne. Es war in der Hauptstraße eines lieblichen Städtchens von etwa tausend Einwohnern, wo es kaum eine Familie gab, die nicht einen Vater, Gatten, Sohn oder Bruder in jener Schaar von Kriegern hatte, die dort bereit standen, ihnen, Lebewohl zu sagen, vielleicht für Jahre – vielleicht für immer.

Eine Abschiedsanrede wurde von dem Prediger des Ortes gehalten und ein Neues Testament jedem Soldaten mit folgender Inschrift überreicht: „Setze dein Vertrauen auf Gott – und halte dein Pulver trocken.“

– – „Marschbefehle heut empfangen – in zwei Tagen wird die Potomac-Armee auf dem Wege nach Bull-Run sein.“ Ich finde diese Worte in meinem Tagebuche unter dem 15. Juli 1861 verzeichnet, ohne weitere Bemerkungen. Doch ich bedarf keines Tagebuches, um mein Gedächtniß in Bezug auf die Ereignisse jener beiden Tage der Vorbereitung, die auf den Empfang des Befehles folgten, aufzufrischen. Die Potomac-Armee sollte bald dem Feinde zum ersten Male entgegentreten – eine große Schlacht sollte geliefert werden. O, welche Aufregung und Begeisterung jener Befehl hervorrief! – nichts sonst war zu hören als die wilden Hurrahrufe der Soldaten, sowie ein Regiment nach dem andern seine Befehle erhielt. Die Möglichkeit einer Niederlage schien niemals einem Einzigen in den Sinn zu kommen.

– – Der 17. Juli dämmerte hell und klar herauf; Alles war in Bereitschaft, und die Potomac-Armee trat ihren Marsch nach Manassas an. Frohen Muthes zog das Heer dahin; die Lust ertönte von dem Spiel der Regimentsmusikcorps und von den patriotischen Gesängen der Soldaten. „Auf nach Richmond!“ erscholl es und fand seinen Wiederhall, sowie jene gewaltige Heeresschaar rasch durch das Land dahinzog. Ich fühlte in mir einen seltsamen Mißklang mit dem wilden, freudigen Geiste, der die Truppen beseelte. Wie ich so langsam dahin ritt und mir jene langen Reihen von Bajoneten, die im Sonnenlichte glitzerten und blitzten, betrachtete, dachte ich daran, daß viele, ja sehr viele jener begeisterten Männer, die von Begierde nach einem Strauße mit dem Feinde brannten, niemals zurückkehren würden, um den Erfolg oder die Niederlage jenes stattlichen Heeres zu erzählen. Selbst wenn der Sieg ihre Banner krönen sollte, und ich hegte daran keinen Zweifel, so mußte doch manches edle Leben geopfert werden, ehe derselbe errungen werden konnte.

Früh am nächsten Morgen schlug die Reveille, das ganze Lager war bald in Bewegung, und nach einem leichten Frühstück aus den Tornistern wurde der Marsch wieder angetreten. Der Tag war sehr heiß, und es war sehr schwierig Wasser zu bekommen, dessen Mangel den Soldaten große Beschwerden verursachte. Viele der Leute wurden vom Sonnenstich befallen, und andere fielen vor Erschöpfung aus den Gliedern. Alle solche, welche nicht fähig zu marschiren waren, wurden in Ambulanzen gebracht und nach Washington zurückgeschickt. Während des ganzen Tages herrschte beträchtliche Aufregung, da wir jede Stunde erwarteten dem Feinde zu begegnen.

Unsere Aerzte begannen sich auf die bevorstehende Schlacht vorzubereiten, indem sie mehrere Gebäude für die Verwundeten einrichteten, unter andern die steinerne Kirche in Centreville, eine Kirche, deren mancher Soldat gedenken wird, so lange seine Erinnerung dauert. Als ich an jenem Abend spät in Begleitung des Mr. und der Mrs. B. (ein Kaplan und dessen Gattin, welche ebenfalls als „Krankenwärterin im Felde“ diente) aus dieser Kirche zurückkehrte, schlug ich vor, daß wir durch das ganze Lager gehen möchten, um zu sehen, wie sich die Jungend an diesem Vorabende ihrer ersten Schlacht beschäftigte. Wir fanden Viele am Schreiben bei dem flackernden Lichte des Lagerfeuers – Soldaten pflegen Schreibmaterialien auf dem Marsche mit sich zu führen; manche lasen in ihrer Bibel, vielleicht mit mehr als gewöhnlicher Andacht, während andere in Gruppen dasaßen und sich leise und ernst unterhielten; aber die große Masse lag auf dem Boden ausgestreckt, in ihre Teppiche gewickelt, in festem Schlafe und ganz unbewußt der Gefahren des morgenden Tages.

Nachdem General McDowell die Stellung des Feindes ermittelt hatte, beorderte er drei Divisionen unter dem Befehl von Heinzelmann, Hunter und Tyler zum Vorrücken, während Miles

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_392.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)