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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die Brust durchdrang. Nach gewonnener Schlacht trugen sechzehn Mann des Regiments Tarragona vor der Avantgarde her den Sterbenden nach Castel de Sol. Hier starb er ruhig am folgenden Tag, umgeben von vielen befreundeten Officieren.

Als der General, der zu Bette lag, die Todeskunde vernahm, legte er, überwältigt von Schmerz, die Hand vor die Stirn und verhüllte sein Haupt mit der Decke; schweigend zeigte sich sein Schmerz tiefer, als es Worte gethan haben würden. Am 30. Januar wurde die Hülle des Gefallenen feierlich in der Kirche beigesetzt.

So ist das Bild des edlen deutschen Fürstensohnes an unsrer Seele vorübergezogen, und wen hat sein Leben und Streben nicht mit der innigsten Theilnahme erfüllt, welches deutsche Herz fühlt sich nicht ergriffen beim Hinblick auf sein frühes Ende? Aber hat es uns nicht zugleich bei der Betrachtung der Vaterlandsliebe und der politischen Anschauungen des Fürstensohnes wie etwas Seltsames, Fremdartiges überkommen, daß er, der Fürstensohn, uns solche Gesinnungen offenbart hat? Es ist nicht gut, daß uns das seltsam dünkt, es wäre besser, wenn wir das sehr natürlich fänden. Doch wir wollen diesem Gedanken nicht weiter nachgehen. Vieles von dem, was jener edle Fürstensohn geglaubt und gehofft hat, ist in Erfüllung gegangen, und das mag uns wieder in der Ueberzeugung stärken, daß ein Streben, welches aus wahrer Vaterlandsliebe und Bürgertugend entspringt, dem Vaterland nicht verloren geht.

Wir wollen das Andenken des gefallenen Helden mit den Worten Arndt’s ehren, die, wie dem Schreiber dieses, vielleicht auch manchem Leser eine Thräne in das Auge drängen:

Da ist der Held gefallen in jenem großen Jahr,
Als des Tyrannen Wallen gen Moskau schaurig war;
Er hat nicht mehr gesehen, was seine Seele rang,
Das Vaterland erstehen aus Jammers Ueberschwang.
Doch ist er auch gestorben für’s deutsche Vaterland
Und hat den Kranz erworben, der Ehre höchstes Pfand;
Den Kranz, wodurch die Freien im Himmel herrlich stehn,
Die gegen Tyranneien durch Feu’r und Eisen gehn.
Drum schreibt die deutsche Treue mit goldnem Strahlenschein
Dich, kühner Schlachtenleue, in ihre Tafeln ein;
So lang in festen Kreisen noch Mond und Sonne reist,
Wird man Dich, Siegreich (Victor) preisen, wo man die Freiheit preist.
O, Land der Catalanen, so stolz und ritterlich,
In dir pries seine Ahnen der Victor Siegerich,
In dir hat er vergossen sein junges, frisches Blut,
In dir ist ausgeflossen sein Leben und sein Muth.
O, Land der Catalanen, du Land der alten Kraft!
Stets wehten deine Fahnen für hohe Ritterschaft;
Drum Klagen weint und Sorgen hier keinem Ritter nach,
Hier schläft er wohlgeborgen bis an den jüngsten Tag.   F. B.




Schwarze Melancholie.

Von E. V.

Jedes Land hat eine Krankheit, welche sein ausschließliches Eigenthum ist, welche vielleicht dann und wann in andern Ländern ebenfalls auftritt, aber unter einem platten Dutzend Namen, verblaßt und verflacht und vereinzelt, kurz, nicht mehr als Nationalkrankheit mit herkömmlicher Berechtigung. So hat Indien das gelbe Fieber, Italien die Malaria-Krankheiten, England den Spleen, und die russischen Länder haben die „schwarze Melancholie“. Viele haben sie schon mit dem Spleen verglichen. Aber schwarze Melancholie und Spleen sind so himmelweit verschieden! Der Spleen wälzt sich wie ein faules Ungeheuer aus dem Nebel heraus und äußert sich in verschlossenem Murrsinn, stumpfem Hinbrüten, in Menschenscheu, Todesgedanken und endlich in einem Pistolenschusse, der in zwei oder drei Häusern von Leicestersquare widerhallt und der dann, nachdem er in einer kleingedruckten Columne der Times ein schwaches Echo gefunden hat, zu den vergessenen und bald zu den nie dagewesenen Dingen gehört. Die schwarze Melancholie dagegen erzeugt sich in feuchten Moderstoffen; sie schleicht in den unheimlichen Gängen alter Steppenschlösser; sie brüllt aus dem Sturme, der über die Haiden von Azow braust; sie lauert in der Atonie des farb- und lichtlosen Himmels der ruthenischen und walachischen Länder; sie dunstet aus den unheimlichen Gräbern auf, deren Erdschollen der Aberglaube aufwühlt; sie steht wie ein Gespenst hinter dem Opfer und faßt es mit unerbittlicher Hand; sie sträubt ihm das Haar empor und treibt es ruhelos hin und her. Die schwarze Melancholie äußert sich im Gegensatze zum Spleen in einer fieberhaften Furcht vor dem Tode, in der Einbildung, von Gespenstern umringt zu sein, in einem krampfhaften Jagen nach fröhlicher Gesellschaft, in einem krankhaften Entsetzen vor Einsamkeit und Finsterniß.

Ich habe in den polnischen und russischen Ländern schon oft dergleichen Melancholiker gesehen, habe aber nur ein einziges Mal in meinem Leben einen näheren Umgang mit einem solchen Geisterseher gewagt, und mir ist wahrhaftig alle Lust benommen, den Versuch ein zweites Mal zu riskiren.

Graf George Kypreanitsch Kras … ist einer der reichsten Gutsbesitzer der Bukowina. Seine Freunde, Gäste und Schmarotzer nannten ihn (sobald er den Rücken gewendet hatte, natürlich!) einfach verrückt, während seine Dienerschaft sich mit der Andeutung begnügte, ihr Herr habe die „schwarze Melancholie“. Er war ein sehr blasser, recht hübscher, noch junger Mann, welcher selten lachte, aber fortwährend lächelte. Dieses Lächeln war jedoch kein Zeichen des Frohsinns, sondern ein permanentes, nervöses, unwillkürliches Zittern und Zucken seiner Lippen, welches Einem auf die Dauer gespensterhaft vorkam und an das man sich sehr schwer gewöhnte. Die Aerzte sagten, es sei eine Folge physischer Schwäche und Blutleere. Ich hatte ihn in Czernowitz bei einem beiderseitigen armenischen Freunde kennen gelernt und Seine melancholische Erlaucht hatte soviel Gefallen an meiner Wenigkeit gefunden, daß sie mich auf die graciöseste Weise von der Welt ersuchte, ihr für einige Monate auf ihr einsames Schloß in den schönen sonnenblumenbewachsenen Bergen der Bukowina zu folgen.

„Mein Arzt ruft mich auf’s Land, und ich will den Winter dort zubringen,“ sagte er.

„Sie werden sich mit dem Narren einsperren?“ fragte mich eine entsetzensbleiche Gouvernante im Fensterwinkel.

„Warum nicht, sobald er mich nicht beißt?“ antwortete ich achselzuckend.

Aber als ich Abends mit meinem Armenier am Kamin saß, fragte ich ihn doch mit einer etwas unsicheren Stimme, worin denn eigentlich die „schwarze Melancholie“ des guten Grafen George bestehe – denn für gewöhnlich sah man ihm dieselbe ganz und gar nicht an – und erfuhr zu meiner größten Ueberraschung, daß er sich einbilde, einmal von einem Vampyr angesaugt worden zu sein.

Von einem Vampyr angesaugt! Wenn man Dir das in einem Salon Deutschlands erzählt, lieber Leser, so wirst Du darüber ebensogut lachen, wie ich. Aber Ort und Umgebung haben einen unglaublichen Einfluß auf den Geist. In einem Kreise von Ungläubigen glaubt man sicher an nichts. Ist man aber von aufrichtigen Gläubigen umgeben, so lacht man wenigstens nicht über die Märchen, die für sie Glaubensartikel sind, und unser Haar sträubt sich gefällig mit empor. In der Bukowina, der Moldau und in den russischen Ländern nun liegt der Glaube an die Vampyre[1] in der Luft wie eine Malaria, deren Ansteckung

  1. Die Serben, die Walachen, die Moldauer, die Armenier, die Russen, die Montenegriner und die Griechen theilen den Glauben an die Vampyre. Die ersten Christen schon glaubten, daß der im Kirchenbann Gestorbene im Grabe keine Ruhe habe. Er stehe des Nachts wieder auf, suche nach Nahrung und bleibe dabei immer frisch und schön.
    Die Vampyre liegen (nach dem Dafürhalten obiger Völker) im Grabe mit dem Gesichte nach unten. Ihre Wangen glühen, ihr Auge ist glänzend und offen. Sobald die Nacht hereinbricht und der Vollmond auf die Gipfel der Karpathen und auf die Steppen von Azow niederglänzt, erheben sie sich aus dem Grabe. Sie betäuben die Schlafenden und saugen ihnen das Blut aus. Die Vampyre werden fett, ihr Blut bleibt warm und roth, und sie schwitzen im Grabe am Munde, am den Lenden und am Magen Blut aus. Sobald ein Vampyr ein Haus betreten hat, weicht alle Ruhe aus demselben. Man hört in den ruthenischen Bezirken schauerliche Beschreibungen von dem Aufruhr, der sich in der entsetzten Natur in solchen Nächten kundgiebt, wo ein Vampyr sich vorbereitet, sein Grab zu verlassen. Die alten Leute erzählen, daß es Einem dann gerade so vorkommt, als habe die Natur eine menschliche Stimme und könne menschliche Gestalten annehmen; es wimmert und stöhnt in den Lüften, und die hohen Bäume und Büsche und Steinblöcke gleichen lauernden Unholden, und die jagenden Wolken ballen sich zusammen wie ein Gebirge über den Bergen,
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_410.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)