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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

auf dem Katheder und jeden Studenten auf der Straße, sie schielten in jede Kneipe und späheten nach jedem Zipfelchen eines Verbindungsbandes, vor Allem lüstern äugelten sie in dem alten Ehrensitz der Burschenschaft, im „Burgkeller“ umher, denn hier ging noch das Schwarzrothgold um, aber nur nächtlicher Weile und in der Manier der Geister, die sich nicht ertappen lassen.

Das arme Schwarzrothgold! Kein krankes Kind ist je sorglicher gepflegt worden, als die Farbe der Burschenschaft und des deutschen Reichs in jener Zeit. Das Licht der Sonne sah es nie. Bei jedem wackelnden Drohfinger aus Preußen oder von Frankfurt her verbargen es die burschenschaftlichen Eigenthümer in dem sichersten Winkel des Pultes oder des Hauses, viele trugen es auf bloßem Leibe und erfreuten sich eines beseligenden Gefühls, wenn sie es von Zeit zu Zeit, im Colleg, auf dem Markt, in der Kneipe, mit den Fingern betasten konnten. Das ist keine Uebertreibung, daran werden sich Hunderte jetzt erst wieder erinnern, die das heute, wo die Farbe ihres geheimen Bundes zur allgemeinen deutschen geworden, längst vergessen hatten.

Da, in dieser magern Zeit für das Burschenherz, machte der Humor sich auf und führte innerhalb der Burschenschaft einen kleinen Kreis von Gleichbegabten zusammen, die in Wort und Bild und lebendiger Rede die Zustände des Welt- wie des Studentenlebens geißelten. Das war die „Unsinnia“. Ihre Sitzungen fanden bald bedeutenden Zulauf innerhalb der Burschenschaft, und selbst die Presse nahm sich freudig ihrer an, ohne daß von der Unsinnia selbst Etwas dem Druck übergeben worden wäre. Dagegen ist nicht zu leugnen, daß durch diese öffentliche Anerkennung die bisherige Gedrücktheit wich und daß sie endlich sogar einem blühenden Uebermuth Platz machte, der den von politischer Aengstlichkeit, von Bundestags- und Preußenscheu aufgestellten Pferch übersprang und mit gleichen Beinen mitten in die grüne Weide akademischer Freiheit hineinhüpfte. Diese schöne Geschichte möge nun Einer von der Unsinnia uns erzählen.




Wir saßen eines Morgens auf der Stube (denn Studiosus sitzt auf, nicht, wie der Philister, in der Stube) des langen Schwarzen, eines Braunschweiger Landeskindes, und lauschten so eben einer Rede, die er an die Wanzen seines Bettes hielt. „Liebe Mitgeschöpfe,“ sprach er, den rechten Zipfel seines Schlafrockes mit ciceronianischer Anmuth über die linke Schulter werfend, „still dahin lebende, treueste Hausgenossen! Im Angesicht dieser zukünftigen Männer deutscher Nation muß ich, wie weh es mir auch thut, Eure nächtlichen Schandthaten aufdecken und ein Wort an Euer Gewissen richten. Wer hat die Milch der frommen Denkart Euch vergiftet? Ich ahne es, denn zu grimmig habt Ihr mich gebissen, als daß dies nicht auf höhere Einflüsterung geschehen sein sollte. Ihr selbst seid nicht so schlecht, wie Ihr ausseht. Aber sitzen nicht in Wien die Minister unserer Landesväter um Metternich herum und verschwören sich auf’s Neue gegen die akademische Freiheit?

Akademische Freiheit! – Biedere Nichtwanzen dieses Raumes, an Euch wende ich mich in meiner akademischen Zerbissenheit: kann unsere Freiheit noch weiter herunter kommen, als auf den Hund, auf dem sie ist? Ist nicht jede öffentliche Aeußerung unserer jugendlichen Kraft auf das Maß jungfräulicher Zimperlichkeit niedergedrückt? Was ist uns von der Herrlichkeit unserer großen burschenschaftlichen Verbindungs-Vorfahren, der „Germanen“ geblieben, die, beinahe sechszig Mann stark, als sogenannte Demagogen alle Throne des deutschen Bundes hinter ihren 700,000 Bajonneten so erschütterten, daß um jeden derselben ein Schutzwall von kaiserlichen, königlichen, großherzoglichen, kurfürstlichen, herzoglichen, hochfürstlichen, landgräflichen und freistädtischen Immediat- und Centraldemagogenverschwörungsuntersuchungscommissionsactenstößen aufgethürmt werden mußte? Und gäbe es eine würdigere akademische Aufgabe für Euch, Ihr irre geleiteten Wanzen meiner friedlichen Kneipe, als diese Acten gründlich zu studiren, um Euch von dem Unrecht zu überzeugen, das Ihr mir allnächtlich anthut? Ja, durchwühlt das ungeheure Werk dieser Untersuchungsrichter, denn wahrlich, wenn das nicht gut für Euch ist, für wen soll’s besser sein!“

So schloß diese schöne Wanzenrede, und der Zipfel des Schlafrocks entsank der bedeutungsvoll zuckenden Achsel. Wir waren gerührt.

Die große Gemüthsbewegung führte zu der stolzen Frage: „Sollen wir, wie die „Corps“, alltäglichem Ulk uns hingeben? Dürfen wir wieder in die Öffentlichkeit treten mit einem schlechten Witz, den nicht eine politische Färbung veredelte?“

„Nimmermehr!“ so schüttelten sämmtliche Lockenhäupter, die braunen Mitteldeutschlands und die blonden des Nordens.

Aber der weise Schwarze sprach: „Beginnen wir mit Bescheidenheit! Ziehen wir uns von den Grenzen der Bundestagsgeschäftsthätigkeit auf das Land Weimar oder auf Jena zurück! Hat nicht irgend eine neue große That unser engstes Staatsleben bewegt?“

„Ja! Herr von Ziegesar (damals Universitäts-Curator), unser oberster Gesetzeswächter, hat einen höheren Orden erhalten.“

„Heureka!“ rief Jettchen, Weimars noch ungeahnter Volksvertreter, „lasset uns die Verherrlichung dieser neuesten Ordensverleihung öffentlich feiern!“

„Aber wie?“ fragte Schtah, der berühmte Nationalökonom der Zukunft. „Vorsicht ist für jedes politische Verbrechen gut, seitdem man um solcher willen auf die Blüthe der Nation tritt und sie in den Casematten verkümmen läßt!“

„Suchen wir für solches Auftreten eine wissenschaftliche Grundlage, so wird die rechte Form sich von selbst geben,“ rieth die philologische Cravatte.

„Alsdann abermals Heureka!“ rief Lips, der Geiger: „da die ochsenäugige Juno eine mythologische Person war, die Mythologie aber ein gar schönes Stück Wissenschaft ist, so sollen wir heute mit Ochsen spazieren fahren.“

Wer konnte dem Reiz des Gedankens einer Spazierfahrt mit Ochsen widerstehen? Die neue „wissenschaftliche Form“ des ersten neuen Auftretens war gefunden; aber sofort fühlte man, daß ihr Rahmen zu groß sei, als daß die Feier einer „Ordensverleihung“ ihn ausfüllen könnte, und so erhob sich die „Unsinnia“ einmüthig zu ihrem kühnsten Entschluß, dieser ersten Festfahrt durch die Gründung eines ihrer allein würdigen Bierstaats,[1] eines „Papstthums in Ziegenhain“ eine weltgeschichtliche Bedeutung zu verleihen.

Die Unsinnia gestaltete sich augenblicklich zu einem Conclave, aus welchem der Schwarze als Papst hervorging und sich feierlich den Namen „Niger I.“ beilegte. So war denn der große Beschluß gefaßt, und die Theilnehmer eilten von dannen, um die Vorbereitung zur Ausführung sogleich für den Nachmittag zu treffen.

Was rennt das Volk durch die Gassen von Saal-Athen? Was toben die Heiden und Philister? Die Fensterflügel aller Häuser fahren auf und flattern fröhlich zur Straße heraus in ihren Angeln, – Kopf an Kopf in wunderbarer Unterschiedlichkeit schießt Haus um Haus weiter, wie der Pulverknaul eines Rottenfeuers, als Straßenwandschmuck hervor. Bald steckt des Auges Thätigkeit auch die des Mundes und der Hände an. „Bravo!“ – „Halloh!“ – „Hoch!“ braust es zwischen den hohen Häusern der engen Gassen auf. Es ist bei allem Volk eine große Freude.

Da kommt der Zug. Voran zwei Reiter, in dem damals in den Straßen Jena’s nicht auffälligen Studentenwichs, mächtige

  1. „Im deutschen Studentenleben spiegelte sich seit den Zeiten der Befreiungskriege das deutsche Volk in seinen besten und schlimmsten Eigenschatten theils verklärt, theils carikirt wieder, denn wie das Ideale nirgends glühender angebetet wurde, so fand auch die materialistische Richtung nirgends energischere Vertreter, als in der Studentenwelt. Zwischen dem ernsten, ja schwärmerischen Streben und der rohen Genußjagd trat nun vermittelnd und in der That auch versöhnend der deutsche Humor auf in den sogenannten Bierstaaten, und diese wurden mit großer Vorliebe namentlich in Jena gepflegt. Jede Verbindung besaß (und besitzt noch heute) ihre Herzogthümer, Grafschaften, Comthureien, Abteien in den berühmten Kneipdörfern Lichtenhain, Ziegenhain, Wöllnitz, Ammerbach. Zwetzen etc., und daß diese endlich bis zu Kaiser- und Papstthum hinaufgipfelten, war ganz natürlich. Mit köstlicher Gewissenhaftigkeit ordnete sich hier der Hof-, Civil- und Militärstaat um das erkorene Oberhaupt, kein Amt, weder geistliches noch weltliches, war vergessen, ja, für besondere Feierlichkeiten der „Hoftage“ stand sogar das entsprechende Costüm den hervorragendsten Charakterpersonen zu Gebote, und öffentliche Aufzüge, Festlichkeiten, Processionen und dergleichen fanden in jedem Bierstaate von Zeit zu Zeit statt. – Wenn ich nun eine Schilderung dieses fröhlichen Treibens in Jena versuche und dazu gerade den ersten Anlaß zur Gründung des Papstthums in Ziegenhain (das wohl noch jetzt besteht) wähle, so muß freilich der Leser selbst so viel gesunden Humors zu diesem Artikel mitbringen, daß er nicht in dieses glückliche Spiel jugendlicher Harmlosigkeit eine verletzende Absicht gegen den Kirchenstaat und das Papstthum hineinlebe, denn darinnen liegt sie nicht.“ So schreibt uns der Herr Verfasser. Trotzdem lassen unsere Erfahrungen in den letzten Jahren uns befürchten, daß die bigotten Erzfeinde der Gartenlaube dennoch neues Verdächtigungscapital selbst aus dieser Studentenfahrt gegen uns machen, weshalb wir es nicht für unnöthig halten, auch in dieser Sache an den verständigeren Sinn unserer deutschen Leser in jeder Kirchengemeinschaft zu appelliren.
    D. Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_426.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)