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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 28.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Balbina.
Sittenbild aus unsern Tagen.
Von Franz Hedrich.
(Fortsetzung.)

„Mich trifft der Schlag!“ rief Leonhard aus, den Balbina’s Antwort außer sich gebracht hatte.

„Weshalb?“ entgegnete das Mädchen ruhig. „Deine Liebe kann nicht so weit her sein!“

„Liebe hin, Liebe her,“ rief Leonhard. „Eine fest abgemachte Geschichte bricht man nicht! Das ist erzschlecht, elend – Du mußt!“

„Ich muß?“ versetzte Balbina mit einem Ausdruck des Stolzes in allen Mienen. „Mir ist nicht zum Lachen, daß Du solches Zeug sprichst.“

„Ja, Du mußt,“ schrie Leonhard unbändig. „Deinetwegen hab’ ich Brigitta fahren lassen!“

„Hättest Du es nicht gethan!“ warf Balbina mit der kühlsten Gleichgültigkeit hin. „Mach’ aber keinen solchen Lärm über Etwas, worüber sich auch ruhig sprechen läßt. Ich will Dir sagen, wie es so gekommen ist, und Du wirst mir nicht bös sein können, aber wenn Du es wärst, so würde es Dir auch nichts helfen.“

„Also heraus damit!“ rief Leonhard in größter Bestürzung über die sich immer steigernde Entschiedenheit des Mädchens. „Gewiß muß mich Jemand bei Dir angeschwärzt haben!“

„Glaub’ es nicht,“ versetzte Balbina. „Es liegt anderswo. Du weißt, daß es mir vor und nach dem Tode meines Vaters nicht an Bewerbern gefehlt hat, ich aber von keinem Etwas wissen wollte –“

„Ich weiß,“ fiel ihr Leonhard mit einer gewissen Beziehung höhnisch in’s Wort. „Ich weiß auch, warum!“

„Unterbrich mich nicht!“ fuhr ihn das Mädchen heftig an.

„Wie Dich das aufbringt!“ rief Leonhard lebhaft mit schadenfroh funkelnden Augen. „Aber sprich nur weiter.“

„Am letzten Lichtmeß,“ fuhr Balbina nach einer kleinen Pause fort, „war ich schon zweiundzwanzig Jahre. Da sagte meine Mutter, als ich aus der Kirche kam: ‚Warum Du nicht heirathest! Gar so jung bist Du auch nicht mehr. Ich bin alt und kann für die Wirthschaft nichts mehr leisten, ich bin kränklich und Du kannst früher, als Du denkst, ganz allein dastehen. Unser Hof braucht längst einen Mann, heirathe, folge mir! Der Stegwirth ist ein kreuzbraver, thätiger Mann, und ich habe gehört, daß er ein Auge auf Dich hat, aber sich gar nicht hervortraut, weil gar kein Mann weiß, was er aus Dir machen soll!‘ So hat sie den ganzen lieben Tag in mich hineingeredet, ich habe es mir überlegt und endlich der Mutter den Willen gethan, einen Mann in unsere Wirthschaft zu bringen. So kam es, daß ich den Stegwirth geheirathet hätte, wenn Du mit ihm nicht am letzten Sonntag den neuen Plan ausgeheckt hättest. Der Stegwirth wollte auf einmal die Brigitta, und sie wollte ihn, und ich habe nichts dagegen gehabt, Dich zu nehmen, aber merke Dir ja gut, daß ich der Mutter versprochen habe, für unsern Hof einen Mann zu schaffen!“

Sie hatte den letzten Satz mit einer besonderen Betonung gesprochen, damit der für Leonhard unschmeichelhafte Sinn durchaus nicht mißverstanden werden könnte.

„Und was bringt Dich davon ab?“ fragte Leonhard mit der peinlichsten Spannung.

„Sieh,“ fuhr Balbina fort, „es ist mir damit Ernst gewesen. Im Gerichtssaale hab’ ich mich bis in den Boden hinein geschämt, bin aber nicht abgesprungen; noch gestern hab’ ich es Dir zugesagt. Mir war dabei, als wär’ ich bei den Haaren fortgezogen, aber ich wollte mich so fortziehen lassen; heute geht es nicht mehr, heute denk’ ich anders, himmelweit anders! Ich habe eine Nacht gehabt zum Verrücktwerden und kann es nicht mehr thun und thäte es nicht, wenn mein seliger Vater im Leichentuche vor mir erscheinen und mich bitten würde, Dich zu heirathen, damit ich seine arme Seele aus dem Höllenfeuer erlöse!“

Ihre wunderschönen Gesichtszüge, welche immer liebliche Ruhe und süße Sanftmuth waren, und ihre großen, von langen schwarzen Wimpern beschatteten, tiefblauen Augen hatten sich durch den Ausdruck einer wild kämpfenden Energie ganz verändert, aber ihre Schönheit war so vollständig und unverwüstlich, daß dieselbe auch in einem solchen Affect auf eine unerwartet neue Art leuchtete und fesselte.

„Du sprichst schrecklich,“ erwiderte Leonhard klagend und eine Hand in die Haare einwühlend, von dem Aussehen des Mädchens gepackt und von den vernommenen Worten zerschmettert. „Aber,“ fuhr er mit aufsteigendem Zorne fort, „warum Du plötzlich so wortbrüchig wirst, geht mir doch in den Kopf, es wäre denn, daß Du bei Gott und allen Heiligen Dein Seelenheil verpfändet hast, auf den Veit so lange zu warten, bis er auf dem Schub wieder heimgekommen ist!“

„Fängst Du schon wieder an?“ ermahnte ihn Balbina gereizt und böse.

„Nun,“ versetzte Leonhard rasch darauf, „warum thust Du so über Nacht Deiner Mutter den Willen nicht mehr?“

„Weil ich in mich gegangen bin,“ sprach das Mädchen im Tone der Reue, ja der Zerknirschung: „weil mir neulich die Rede des Herrn Hofraths in’s Herz gefahren ist.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_433.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)